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Anschlag in Magdeburg: Eltern des jüngsten Opfers fühlen sich im Stich gelassen

Anschlag in Magdeburg

Eltern des jüngsten Magdeburger Anschlagsopfers fühlen sich im Stich gelassen

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    „Warum?“, hat jemand auf einen Zettel geschrieben und ihn in Magdeburg zwischen Blumen und Kerzen gelegt. Dort war am 20. Dezember 2024 ein Mann mit einem Auto in Weihnachtsmarktbesucher gerast.
    „Warum?“, hat jemand auf einen Zettel geschrieben und ihn in Magdeburg zwischen Blumen und Kerzen gelegt. Dort war am 20. Dezember 2024 ein Mann mit einem Auto in Weihnachtsmarktbesucher gerast. Foto: Christoph Soeder, dpa

    Das Video, das Mutter und Stiefvater des getöteten André am Silvestertag in sozialen Medien veröffentlichen, verbreitet sich schnell. Fast zwei Wochen liegt der Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt mit insgesamt fünf Toten zurück, doch noch immer hätten sie den Leichnam ihres neunjährigen Sohnes nicht sehen dürfen. Vor einem Foto des Kindes an einer Zimmerwand sprechen sie direkt in eine Kamera. Sie kämen sich „verarscht“ vor, sagt der Stiefvater. Der Staat sowie Magdeburg ließen sie derzeit „tierisch im Stich“ und machten ihnen das Leben schwer. „Mit jeder Sekunde schwindet die Hoffnung, dass wir unser Kind nochmal sehen dürfen“, sagt Andrés Mutter. Sie verstehe nicht, warum man eine Mutter so leiden lasse. Die Schuld am Tod ihres Sohnes liege beim Täter, sagt sie – Taleb A., ein 50-Jähriger aus Saudi-Arabien, der seit 2006 in Deutschland lebt. Und sie liege, so die Mutter, bei der Regierung. Denn diese habe nicht gehandelt, obwohl Taleb A. als „Terrorist“ bekannt gewesen sei.

    Schnell wird das Video von Andrés Mutter und Stiefvater instrumentalisiert

    Es sind schwere Vorwürfe. Während sich staatliche Stellen dazu erst allmählich äußern, instrumentalisieren Rechte die Kritik der sichtlich verzweifelten Mutter und des Stiefvaters. Der frühere Bild-Chef Julian Reichelt nimmt das Video zum Anlass, um Bundeskanzler Scholz frontal anzugehen. Er sei es, der die Opfer von Magdeburg „für sein bedeutungsloses Gesülze instrumentalisiert“ habe. Die niedersächsische AfD-Landtagsabgeordnete Vanessa Behrendt verbreitet das Video mit den Worten: „Ein importierter Terrorist hat ihren Sohn ermordet und die Regierung lässt sie eiskalt im Stich!“ Im Frühling war André mit seiner Mutter in das niedersächsische Örtchen Warle gezogen, gut 80 Kilometer von Magdeburg entfernt. Sie kamen aus Floß in der Oberpfalz, wo nach wie vor Andrés leiblicher Vater und Geschwister wohnen.

    Der katholische Pfarrer von Floß, Max Früchtl, ist am Donnerstag am Telefon noch hörbar erschüttert. Er war gerade in der Kirche, in der er dem Regensburger Bischof Rudolf Voderholzer die Krippe zeigte. Beim Altar, neben der Krippe, ist ein Foto von André aufgestellt worden, zusammen beteten sie dort für den Jungen. Auch der Bischof sei sehr betroffen, sagt Früchtl. Der 70-Jährige kannte André von der Schule und den Sternsingern. „André war so ein liebenswürdiger, sympathischer Bub“, erinnert er sich. „Er konnte auch humorvoll, schelmisch sein. Jeder hat ihn gern gemocht.“ Als er die Sternsinger am Mittwoch in einem Gottesdienst ausgesandt habe, habe eine große Betroffenheit und Trauer geherrscht. „Man kann es immer noch nicht fassen, dass André nicht mehr da ist. Wenn man das Bild von ihm in der Kirche anschaut, meint man, er müsste jeden Moment wiederkommen.“ Früchtl steht in engem Kontakt mit der Familie, aktuell gehe es um die Gestaltung der Trauerfeier – und darum, wo André bestattet werde. Er werde der Familie selbstverständlich weiterhin beistehen.

    Nach Anschlag in Magdeburg: Das sagt ein Pfarrer, der der Familie nahesteht

    Beistand leisten auch Notfallseelsorger. Der Peitinger Pfarrer Dirk Wollenweber, Beauftragter für Notfallseelsorge der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern, kennt das Video von Andrés Mutter und Stiefvater nicht. Er kann allerdings erklären: „Grundsätzlich ist es so, dass in einem solchen Fall der Tod und die Person eindeutig festgestellt werden müssen. Ein DNA-Abgleich dauert bisweilen länger, und für Angehörige ist das eine schlimme Situation.“ Zur Trauer gehörten verschiedene Aufgaben, die bewältigt werden müssten. Eine erste Aufgabe sei das Begreifen, dass ein geliebter Mensch nicht mehr da ist – „und zwar auch haptisch, indem der Verstorbene zum Beispiel nochmals berührt wird“, so Wollenweber. „Wenn ein Leichnam beschlagnahmt wurde, und das passiert immer wieder, ist das natürlich zunächst nicht möglich. Als Notfallseelsorger können wir in dieser oder ähnlichen Situationen erklären, wie etwa die Polizei vorgeht. Vor allem aber können wir versuchen, die Situation gemeinsam mit den Angehörigen auszuhalten.“ Manchmal helfe dabei ein Ritual, ein Bild, ein Gebet, um die Zeit des Wartens erträglicher zu machen.

    Der MDR zitierte am Donnerstagmorgen aus einem Schreiben an die Landtagsfraktionen, in dem sich der Innenstaatssekretär von Sachsen-Anhalt zu den Vorwürfen von Andrés Mutter und Stiefvater geäußert hatte. Es sei außerordentlich bedauerlich, dass bisher noch kein Termin für die Eltern zur Verabschiedung von ihrem Sohn ermöglicht werden konnte, heiße es darin. „Der Grund hierfür ist, dass zwar die Freigabe des Leichnams des verstorbenen Jungen seitens der Justiz relativ schnell erfolgt ist. Polizeilich konnte der Leichnam ... aber noch nicht freigegeben werden, da bei einem solchen Ereignis ... die bundesweit geltenden Standards der Identifizierungskommission des Bundeskriminalamts eingehalten werden müssen.“ Die Identifizierung von Toten müsse über den Abgleich mit Fingerabdrücken oder DNA-Material oder Zahnstatus erfolgen. Da im Landeskriminalamt bekannt gewesen sei, zitierte der MDR weiter aus dem Schreiben, dass es der Mutter des Jungen sehr schlecht gehe, sei man aus Gründen der Pietät erst am Silvestertag an sie herangetreten, um Vergleichs-DNA-Material zu erhalten.

    Das Landeskriminalamt Sachsen-Anhalt bestätigt am Donnerstagnachmittag unserer Redaktion, „dass die kriminaltechnischen Untersuchungen zur Identifizierung des verstorbenen 9-jährigen Jungen für ein beweissicheres Strafverfahren abgeschlossen sind“. Diese erfolgten nach einem international vereinbarten Standard und gewährleisteten „eine sichere Opferidentifizierung, wenn Personen bei großen Schadensereignissen ums Leben gekommen sind“. Pfarrer Früchtl aus Floß sagt im Gespräch, dass der Leichnam des Kindes „definitiv“ freigegeben worden sei – der leibliche Vater sei zu ihm unterwegs. Zuvor hatten sich bereits Mutter und Stiefvater von André in einem Video abermals öffentlich zu Wort gemeldet. Sie dürften ihren Jungen nun sehen. Das sei wichtig für sie, sagt seine Mutter in dem Clip. Um besser verarbeiten zu können.

    Am Donnerstagabend antwortet schließlich noch eine Sprecherin des Innenministeriums von Sachsen-Anhalt auf eine Anfrage unserer Redaktion. „Rechtsextremisten nutzen das Video, um das Narrativ zu verbreiten, dem Staat sei das Leid der eigenen Bevölkerung gleichgültig. Zugleich nutzen sie in diesem Zusammenhang die Gelegenheit, sich selbst als Kümmerer und eigentliche Interessensvertreter der breiten Bevölkerung zu inszenieren“, erklärt sie zum Silvestertags-Video von Andrés Mutter und Stiefvater. Neben „exponierten AfD-Funktionären“ werde es auch von der rechtsextremistischen Plattform „Harz verteidigen“ verbreitet. Die Sprecherin weiter: „Eine solche Vorgehensweise führt unweigerlich zu einer ideologisch motivierten Instrumentalisierung der Ereignisse im Zusammenhang mit dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt.“

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    9 Kommentare
    Ronald Hattensaur

    Julian Reichelt ist untragbar.

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    Robert Miehle-Huang

    So ist es! Was für ein Hetzer!

    Viktoria Reissler

    Warum hört man nach dem Attentat eigentlich nichts von #SayTheirNames? Nach den Morden eines Rechtsradikalen in Hanau wurde sofort -zurecht- gefordert, die Namen aller Opfer zu veröffentlichen. Von den Magdeburgern Opfern ist bis jetzt nur der Name des Jungen bekannt. Von den Opfern am Berliner Breitscheidplatz kennen wir bis heute keine Namen...................................

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    Maria Reichenauer

    Und was hätten Sie davon, wenn die Namen in der Zeitung stehen?

    Robert Miehle-Huang

    "Warum hört man nach dem Attentat eigentlich nichts von #SayTheirNames?" Weil es bei #SayTheirNames darum geht, die Aufmerksamkeit auf Fälle von Polizeigewalt, rassistischer Diskriminierung und Ungerechtigkeit gegenüber Schwarzen zu lenken. Reichlich widerlich, wie Sie jetzt versuchen, diese Bewegung für Ihre Zwecke zu missbrauchen! Abgesehen davon wollen es die Angehörigen der Opfer vielleicht gar nicht, ihre Namen in den Medien veröffentlich zu sehen.

    Thomas Keller

    Persönlichkeitsrechte, bekannt?

    Wolfgang Steger

    Frau Reissler, wie wäre es, wenn Sie sich für Ihren Kommentar entschuldigen würden?

    Marianne Böhm

    Wenn man den Beitrag der Mutter liest die ihr Kind verloren hat, ist es furchtbar dass sich die Verantwortlichen mit den Rechten anlegen statt sich ihrer Verantwortung zu stellen. Immer geht es in die gleiche Richtung, egal was passiert hier die Rechten und gegenüber die Schuldigen mit ihrer Ideologischen Politik.. Faeser will mit aller Härte vorgehen.. wo war sie denn beim letzten mal.. sie redet nur. Und es geht wieder nur um die AFD, es wird mit dem Verfassungsgericht gedroht usw. es wird ein Nebenschauplatz aufgemacht. Radikale Flüchtlinge werden nicht kontrolliert, Warnungen aus dem Ausland wird nicht nachgegangen, man behandelt diese wie die heiligen Kühe in Indien und keiner darf was sagen.. Weder Polizei noch ein anderes Rechtsorgan darf gegen sie vorgehen. Die meisten Flüchtlinge sind anständige Menschen, aber die Täter leben nun mal unter ihnen. Die Eltern tun mir unendlich leid, weil sie erfahren müssen wie kalt unser Land Opfern, Leid gegenüber ist.

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