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Analyse: Warum Markus Söder mit seinem taktischen Manöver gescheitert ist

Analyse

Warum Markus Söder mit seinem taktischen Manöver gescheitert ist

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    Markus Söder am Dienstag, als er seine Niederlage im Rennen um die Kanzlerkandidatur einräumt.
    Markus Söder am Dienstag, als er seine Niederlage im Rennen um die Kanzlerkandidatur einräumt. Foto: Peter Kneffel, dpa (Archivbild)

    Sieger sehen anders aus. Hier steht nicht mehr „Markus Söder, der Unverhinderbare“. Hier steht „Markus Söder, der ...“ – ja, wer eigentlich?

    Schon am Vormittag vor dieser vielleicht kürzesten CSU-Pressekonferenz aller Zeiten hieß es aus der Staatsregierung, der Chef sei „erkennbar angefasst“. Dann, um 12 Uhr mittags, der Showdown im Franz-Josef-Strauß-Haus. Söder tritt vor die Landtagspresse. Er versucht, normal zu wirken. Seine Augen verraten ihn.

    Markus Söder war vor der Pressekonferenz "erkennbar angefasst"

    Alles ist anders gekommen, als er es sich erdacht, erhofft, erträumt hat. Er vermeidet – ganz gegen seine Gewohnheit – jeden Blickkontakt, jedes augenzwinkernde Servus. Er spricht kurze, vorbereitete Sätze. Söder sagt: „Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Würfel sind gefallen.“ Er sagt: „Armin Laschet wird Kanzlerkandidat der Union.“ Und er sagt: „Mein Wort, das ich gegeben habe, gilt seit einer Woche.“

    Der Versuch, erhobenen Hauptes als fairer Verlierer eines erbitterten Machtkampfs vom Platz zu gehen, ist erkennbar. Doch der CSU-Chef weiß, dass er noch ein bisschen mehr tun muss. Der Vorwurf des Wortbruchs gegenüber seinem Konkurrenten, dem Vorsitzenden der großen Schwesterpartei CDU, muss so schnell wie möglich von Tisch.

    Es ist fast wie in der weltberühmten Novelle des schottischen Schriftstellers Robert Louis Stephenson: Der ungeheuerliche „Mr. Hyde“ muss sich wieder in den braven „Dr.Jekyll“ zurückverwandeln. Der CSU-Chef will nach einer Woche finsterer Machenschaften wieder auf die helle Seite der Macht.

    Wollte Markus Söder so raffiniert sein wie Captain Kirk?

    Markus Söder begeistert sich für Science Fiction, also Star Wars (Krieg der Sterne), Star Trek (Raumschiff Enterprise) und solche Sachen. Seine Helden heißen Luke Skywalker oder Captain Kirk. Eine Geschichte verdient dabei besondere Beachtung: Der junge James Tiberius Kirk war noch gar nicht Captain, da schaffte er, was vor ihm noch kein Kadett der Sternenflottenakademie geschafft hatte. Er löste den eigentlich unlösbaren „Kobayashi-Maru-Test“. Bei dem Test geht es gar nicht darum, ihn zu lösen. Er soll nur Aufschluss über den Charakter des Kadetten geben und die Frage beantworten, wie er sich in einer ausweglosen Situation verhält. Der ebenso arrogante wie listige Kirk wollte sich dieser Situation allerdings nicht aussetzen und manipulierte kurzerhand die Testbedingungen. Der Schwindel flog auf, aber das stand der grandiosen Karriere des jungen Raumschiffkapitäns nicht im Weg. Kirk setzte neue Maßstäbe im Kampf gegen all die Bösewichte, die ihm in den unendlichen Weiten des Weltraums vor die Phaser-Waffen kamen.

    Markus Söder am Dienstagmorgen vor der Sitzung des bayerischen Kabinetts.
    Markus Söder am Dienstagmorgen vor der Sitzung des bayerischen Kabinetts. Foto: Peter Kneffel, dpa

    In der bundesdeutschen Politik werden Manipulationen üblicherweise nicht geduldet. Karl-Theodor zu Guttenberg, der bekannteste Freiherr aus den Reihen der CSU und einst der mit Abstand beliebteste Politiker des Landes, musste seine Ämter schon wegen einer manipulierten Doktorarbeit abgeben. Sehr zur Freude seines Konkurrenten Söder. Versierte Strategen sahen freilich schon damals den Fehler Guttenbergs nicht so sehr in der Manipulation der Doktorarbeit, sondern in seiner Krisenkommunikation.

    Hätte Guttenberg schnell reagiert und gleich frech gesagt, „was soll’s, sch... auf den Doktor, ich hab doch nur abgeschrieben, wie in der Schule, wie viele andere auch“ – er wäre vielleicht mit einer Schramme davongekommen und ohne Doktortitel Verteidigungsminister geblieben. Von einer paar eingebildeten Akademikern abgesehen, so wurde gemutmaßt, hätte ihm das wohl niemand lange krumm genommen.

    War Söders Kalkül von dieser Art? Wollte er so raffiniert sein wie Captain Kirk? Wollte er mit mehr Chuzpe zu Werke gehen wie Guttenberg? Dachte er wirklich, er könnte die CDU und ihren frisch gewählten Parteivorsitzenden mit einer Finte überlisten? Sein entscheidendes taktisches Manöver vom Sonntag vor einer Woche, das ihm die Kanzlerkandidatur bringen sollte, lässt das vermuten.

    Söder konnte auf eine besondere Stimmung in der CSU bauen

    Söder sagt zur CDU-Führung: Ich bin bereit, wenn die CDU mich will. Die CDU-Führung sagt tags darauf: Nein, wir wollen dich nicht. Söder kontert: Ihr seid aber nicht die CDU. Ätsch. Reingefallen. In „kleinen Hinterzimmern“ wie Präsidium und Vorstand der CDU könne eine Frage von dieser Bedeutung doch nicht entschieden werden.

    Söders große Vorbilder in Sachen moderner politischer Strategie – der französische Präsident Emanuel Macron und der österreichische Kanzler Sebastian Kurz – lassen grüßen. Söder en marche. Ich und das Volk. Was schert mich das alte und träge Establishment der großen Schwesterpartei. Nur kleine Geister oder unverbesserliche Moralisten können die kleine List als Wortbruch geißeln. Hier aber geht es ums große Ganze, um die Zukunft.

    Es greift wahrscheinlich zu kurz, Söder nur auf seinen ausgeprägten Ehrgeiz und sein grandioses Ego zu reduzieren. Die Überzeugung, dass die CDU in weiten Teilen nur noch ein blutleerer Haufen und ein Schatten ihrer selbst ist, ist in der CSU weit verbreitet. Dass ausgerechnet Laschet sich im Rennen um den CDU-Vorsitz durchgesetzt hatte, bestärkte die Christsozialen in Bayern in ihrer Ansicht noch, dass der CDU jede Dynamik und Leidenschaft abhanden gekommen sei. Auf diese Stimmung in seiner eigenen Partei kann Markus Söder seine Bewerbung bauen.

    Die Ausgangslage ist anders als früher. Der CSU-Chef meint, den Zeitgeist auf seiner Seite zu haben. Die Erfahrungen der Vergangenheit zählen nicht. Sein großes Vorbild Franz Josef Strauß, so glaubt er, hat 1980 den Wahlkampf unter ungleich schwierigeren Bedingungen verloren. Sein Gegner: ein respektierter SPD-Bundeskanzler namens Helmut Schmidt. Sein Handicap: eine gemäßigt linksliberale Grundstimmung im Land. Für Edmund Stoiber standen die Chancen gut zwei Jahrzehnte später schon besser. Zwar war in der Wahrnehmung der CSU die CDU nach dem Parteispendenskandal auch damals ziemlich am Boden. Aber Stoiber habe, so sagt es eine hartnäckige Legende in der CSU, die Wahl gegen SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder nur deshalb verloren, weil er nicht schnell genug Gummistiefel zur Hand hatte, um sich den Opfern der Oder-Flut im Osten vor Ort als Retter zu präsentieren. Solch ein Fehler würde Söder nicht unterlaufen.

    Ein CSU-Mann kann nicht gewinnen, wenn er zuvor die CDU klein gemacht hat

    Und überhaupt: Vor 20 Jahren spielte die Linke noch keine nennenswerte Rolle und die AfD gab’s auch noch nicht. Söder muss keine 40 Prozent plus x holen, um Kanzler zu werden. Der scheidenden Bundeskanzlerin Angela Merkel reichten zuletzt 32,9 Prozent.

    Damit wird auch das Argument schwächer, die CDU werde für einen Kanzlerkandidaten aus Bayern nur halbherzig Wahlkampf machen. 2002 war das so. Da gab es, wie der damalige CSU-Generalsekretär Thomas Goppel mit einiger Verbitterung zur Kenntnis nehmen musste, ganze Landstriche in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen, in denen nicht ein einziges Stoiber-Plakat hing. Eine Mehrheit der CDU-Kandidaten konnte davon ausgehen, den eigenen Wahlkreis ohne besondere Anstrengung sicher zu gewinnen.

    Er hat sich doch durchgesetzt: CDU-Chef Armin Laschet ist Kanzlerkandidat der Union.
    Er hat sich doch durchgesetzt: CDU-Chef Armin Laschet ist Kanzlerkandidat der Union. Foto: Michael Kappeler, dpa

    Das sei, so das offenkundige Kalkül in der CSU, im Jahr 2021 völlig anders. So sehr sie sich über Söders Überrumpelungsstrategie auch ärgern mögen – dieses Mal müssten sich die Bundestagskandidaten der CDU schon allein aus Eigeninteresse voll reinhängen, um grüne (vor allem in Südwesten), rote (von Hamburg bis in den Ruhrpott) und Konkurrenten der AfD (im Osten) im Rennen um Direktmandate auf Distanz zu halten.

    Söders Manöver, das erste Votum der CDU-Führung einfach mal beiseite zu wischen, seine Beliebtheit in Umfragen ganz nach oben zu stellen und offensiv nach der Stimmung der CDU-Basis zu fragen, hat zwiespältige Effekte. Die einwöchige, hitzige Debatte in der CDU macht offensichtlich, dass die vernichtende Analyse der CSU über den Zustand der großen Schwesterpartei einen wahren Kern hat. Seine Provokation bringt vollends die innere Zerrissenheit ans Licht, die sich in der CDU schon bei der endlos langen Suche nach einem Vorsitzenden zeigte. Dass er damit gleichzeitig die Union insgesamt schwächt, bringt ihm aber auch Kritik in den eigenen Reihen ein. Sie bleibt zwar intern, aber sie entfaltet Wirkung. Auch ein populärer CSU-Kanzlerkandidat könne eine Bundestagswahl nicht gewinnen, wenn er vorher die CDU klein gemacht habe.

    Die Botschaft lautete: Söder soll es nicht auf die Spitze treiben

    Das hat, wie aus Kreisen der CSU zu hören ist, dem ehrgeizigen Parteichef am vergangenen Sonntag auch die CDU-Führung mit einiger Wucht klar gemacht. Mit Söder werde die Union die Wahl verlieren, sollen Laschet, Generalsekretär Paul Ziemiak, Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier und Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble der verdutzten CSU-Delegation erklärt haben. Sollte der CSU-Chef seinen Willen bekommen, werde die Lage der CDU noch schlechter, Laschet könne dann nicht Parteichef bleiben. Söder solle es also nicht auf die Spitze treiben.

    Die Folge: Söder tritt den Rückzug an. Am Montag erklärt er, der CDU die Entscheidung zu überlassen. Am Dienstag folgt die endgültige Kapitulation – allerdings nicht ohne Seitenhiebe. Söder bedankt sich ausdrücklich für die Unterstützung, die er aus der CDU erhalten hat – „bei den Jungen, bei den Modernen, bei denen, die auf Zukunft aus waren“. Er bekennt sich zur „Verantwortung für das Land“, fügt aber hinzu: „Es gibt aber auch Verantwortung für die Union.“ Er beteuert: „Wir wollen keine Spaltung. Wir wollen eine geschlossene Gemeinschaft.“ Und er verspricht, die CSU werde Laschet „ohne Groll mit voller Kraft unterstützen“.

    CSU-Generalsekretär Markus Blume (rechts) nennt seinen Chef Markus Söder am Dienstag "Kandidat der Herzen".
    CSU-Generalsekretär Markus Blume (rechts) nennt seinen Chef Markus Söder am Dienstag "Kandidat der Herzen". Foto: Michael Kappeler, dpa

    Bei Bayerns Finanzminister Albert Füracker – er ist ein enger Vertrauter Söders – hört sich das zur gleichen Zeit allerdings schon wieder anders an. Er kommentiert die Entscheidung der CDU giftig: „Fünf Monate vor der Bundestagswahl einen Beschluss gegen die eigene Basis zu fassen, ist schon sehr bemerkenswert“, sagt er. Die Verantwortung liege bei der CDU. „Die Rückmeldungen, die ich bekommen habe, deuten nicht darauf hin, dass der CDU-Vorstand mit diesem Vorgehen einen Beitrag zu neuer Geschlossenheit geleistet hat.“ Auch CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sieht die Probleme der CDU mit der Entscheidung nicht gelöst. „Ich glaube auch, dass so ein Verfahren zu Diskussionen führen wird“, sagt er mit Blick auf die Entscheidung des Vorstands.

    CSU-Generalsekretär Markus Blume schickt der Schwesterpartei noch hinterher, dass das Angebot Söders, als Kanzlerkandidat der Union anzutreten, „ein verdammt gutes Angebot“ gewesen sei. Und er hat auch einen neuen Titel für seinen erstmals unterlegenen Chef. Söder sei jetzt „Kandidat der Herzen“.

    Die Formulierung wurde 2001 populär, als Fußball-Bundesligist Schalke 04 den Titel knapp verpasste und „Meister der Herzen“ wurde. Ähnliche Gefühle? Darüber hätte man reden können, aber Nachfragen sind bei der Pressekonferenz in der CSU-Landesleitung am Tag der Niederlage nicht zugelassen.

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