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Analyse: Ministerpräsident Markus Söder ist kein politischer Superstar mehr

Analyse

Ministerpräsident Markus Söder ist kein politischer Superstar mehr

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    Es gibt eine lange Liste von Versäumnissen, die Markus Söder in diesem zweiten Corona-Winter vorgehalten werden.
    Es gibt eine lange Liste von Versäumnissen, die Markus Söder in diesem zweiten Corona-Winter vorgehalten werden. Foto: Sven Hoppe, dpa

    Es ist etwas passiert, und in der CSU stellt man sich die bange Frage, wie es vor sich gegangen ist und wohin das führt: Der Parteichef ist kein politischer Superstar mehr. Innerhalb von etwas mehr als zwei Monaten ist Markus Söder in der öffentlichen Meinung deutlich zurückgefallen. Noch in den Tagen vor und nach der Bundestagswahl rangierte er gleich hinter der Bundeskanzlerin auf Platz zwei der beliebtesten Politikerinnen und Politiker in Deutschland. Mittlerweile reiht sich Bayerns Ministerpräsident in den Ranglisten irgendwo in der Nähe von Sahra Wagenknecht ein. Robert Habeck, Christian Lindner und – selbstverständlich – auch Olaf Scholz sind an ihm vorbeigezogen. Doch nicht nur die neuen starken Männer in der Bundeshauptstadt ließen Söder – den politischen Helden des ersten Corona-Winters – hinter sich. Auch der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann, die weißhaarige Eminenz der Grünen, hat Söder in einer Umfrage überholt.

    Was ist der Grund für Söders Absturz?

    Einige außerbayerische Medien präsentieren einfache Erklärungen und setzen gleich noch einen groben Klotz obendrauf. „Seine restriktive und erfolglose Corona-Politik hat Markus Söder vom enorm populären Die Welt – was übrigens völliger Quatsch ist, weil er in der zitierten Umfrage nur hinter Kretschmann, aber nicht hinter allen anderen Ministerpräsidenten liegt. Ein Kommentator von Spiegel Online ätzt: „Die Katastrophenbilder aus Bayerns Krankenhäusern zeigen, was vom selbst ernannten Corona-Kraftprotz zu halten ist.“ Söder sei nicht „Team Vorsicht“, sondern „Team Maulheld“. Und eine Kollegin vom Nachrichtenmagazin Der Spiegel fragt hämisch: „Wann kommt die Bundesnotbremse für Auftritte von Markus Söder?“ Es ist dieselbe Kollegin, die ihre erst in diesem Jahr erschienene Biografie über Söder noch mit den fast schon bewundernden Sätzen eingeleitet hatte: „Markus Söder ist ein faszinierender Mensch. Niemand kann ihn besonders gut leiden. Trotzdem folgen ihm alle. Auch ich.“

    Selbst nachdem er Armin Laschet (links) als Kanzlerkandidat der Union den Vortritt hatte lassen müssen, konnte Markus Söder sich von CSU-Generalsekretär Markus Blume noch zum "Kanzlerkandidaten der Herzen" ausrufen lassen.
    Selbst nachdem er Armin Laschet (links) als Kanzlerkandidat der Union den Vortritt hatte lassen müssen, konnte Markus Söder sich von CSU-Generalsekretär Markus Blume noch zum "Kanzlerkandidaten der Herzen" ausrufen lassen. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Woher kam einst die Faszination? Woher kommen jetzt Spott und Häme? Im ersten Corona-Winter überzeugte Söder durch Führungsstärke. Der Zufall hatte es so gewollt, dass er just in dem Moment, als es mit der Pandemie ernst wurde, die Ministerpräsidentenkonferenz leitete. Er hatte unvermittelt die ganz große Bühne und konnte sich neben Bundeskanzlerin Angela Merkel als klar argumentierender und entscheidungsfreudiger Krisenmanager inszenieren. Außerdem haftete ihm die Aura der Zukunft an. Für einige Zeit war er der nächste mögliche Kanzler.

    Söders Aura ist verflogen

    Doch selbst nachdem er Armin Laschet als Kanzlerkandidat der Union den Vortritt hatte lassen müssen, konnte Söder sich von CSU-Generalsekretär Markus Blume noch zum „

    Nun hat sich der Wind gedreht. Über die politische Zukunft in Deutschland bestimmen jetzt erst einmal andere. Söders Aura ist verflogen. Er hat im Bund an Bedeutung verloren und wird außerhalb Bayerns nur noch als ein Ministerpräsident unter vielen wahrgenommen. Gleichzeitig hat seine Inszenierung als Corona-Krisenmanager durch die Entwicklung der Pandemie in Bayern an Glaubwürdigkeit eingebüßt.

    Tatsächlich gibt es eine lange Liste von Versäumnissen, die dem Ministerpräsidenten in diesem zweiten Corona-Winter vorgehalten werden: Er hätte schon im Sommer vorsichtiger sein müssen. Er hätte nicht nur vom „Impfturbo“ reden, sondern ihn auch zünden müssen. Er hätte das Boostern der besonders gefährdeten Heimbewohner früher vorbereiten müssen. Er hätte weder eine Impfpflicht für alle noch einen Lockdown für Ungeimpfte ausschließen dürfen. Und er hätte, als die Infektionszahlen nach oben schossen, besser vorbereitet sein und sowohl schneller als auch eindeutiger gegensteuern müssen, statt Woche für Woche mit immer neuen, komplizierten Corona-Regeln für Verwirrung zu sorgen.

    Einiges an dieser Kritik ist berechtigt, vieles aber ist wohlfeil. Es gehört – gerade angesichts der Unberechenbarkeit der Pandemie – nicht viel dazu, hinterher schlauer zu sein. Unterschlagen wird, dass sich im Spätsommer Politikerinnen und Politiker aller Parteien auf den Bundestagswahlkampf konzentrierten, dass alle hofften, es werde schon nicht so schlimm werden, und dass vor dem Wahltag niemand strengere Corona-Regeln gefordert hat. Politiker von FDP und Freien Wählern haben sogar nach einem „Freedom Day“ gerufen, als wäre die Gefahr längst gebannt. Sie wollen daran jetzt nicht mehr erinnert werden.

    Gerade sagte der CSU-Chef: "Keiner hat die Wahrheit gepachtet"

    Söder dagegen hat – für seine Verhältnisse sogar recht deutlich – eingestanden, dass er sich im Sommer nicht ganz wohlgefühlt hat in seiner Haut. „Dass eine vierte Welle droht, haben viele befürchtet – auch ich“, gestand er schon vor Wochen im Landtag ein und fügte hinzu: „Aber die Dynamik und die Geschwindigkeit haben viele nicht gesehen – auch ich nicht.“ Da hat er vermutlich recht. Und erst diese Woche räumte er im Landtag erneut ein, die Impfbereitschaft unter- und die Mitmachbereitschaft und Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger überschätzt zu haben. „Keiner von uns hat die Wahrheit gepachtet“, sagte Söder.

    Ein Einfallstor für die aktuelle Kritik an seiner Corona-Politik ist die Wucht, mit der die vierte Welle zuerst Bayern traf. Den Freistaat hat es auch im ersten Pandemie-Winter als erstes Bundesland besonders schwer erwischt, aber da war es – rein politisch gesehen – ein Vorteil für ihn. Schneller als andere verantwortliche Politiker, deren Länder noch nicht so hart betroffen waren, realisierte er, dass entschlossen gehandelt werden muss. Das war die Geburtsstunde des erfolgreichen Krisenmanagers. Das katapultierte ihn in der Beliebtheit nach oben.

    Die Situation in diesem Herbst ist völlig anders. Zwar traf auch die vierte Welle zuerst den Süden, weil sich das Virus erneut von Süd nach Nord ausbreitete. Aber dieses Mal gab es Impfstoff. Und prompt wurden die niedrige Impfquote im Freistaat und die explodierenden Infektionszahlen als Beleg gegen Söders Corona-Politik ins Feld geführt. Außer Acht gelassen wird dabei, dass sich zuerst hier zeigte, um wie viel ansteckender die Delta-Variante ist. Der Zeitfaktor spielte eine ganz andere Rolle. Es ging also auch um die neuerliche Überwindung der Sorglosigkeit. Menschen ändern ihr Verhalten nicht von einem Tag auf den anderen. Die Bürgerinnen und Bürger Bayerns waren nicht nur mit dem Impfen im Verzug, sie hatten auch weniger Zeit, sich auf die neue Situation einzustellen.

    Dem selbst gebauten Hamsterrad des pausenlosen politischen Aktionismus entkommt er nicht.
    Dem selbst gebauten Hamsterrad des pausenlosen politischen Aktionismus entkommt er nicht. Foto: Daniel Karmann, dpa

    Außer Acht gelassen wird auch, dass es in Bayern im Sommer nicht am Impfangebot, sondern an der Nachfrage mangelte. Es gibt einige seriöse Hinweise, dass mit zunehmender Nähe zu den Alpen traditionell auch die Impfskepsis zunimmt. Die unterschiedlichen Impfquoten zwischen Franken und dem südlichen Bayern stützen diese These. Die alpenländische Sturschädeligkeit kann auch nachteilig sein.

    Es könnte sachlicher zugehen bei der Beurteilung von Söders Politik

    Und der Vergleich mit Baden-Württemberg macht deutlich, dass das kein speziell bayerisches Phänomen ist. Die Entwicklung der Pandemie dort verlief bei ähnlich niedriger Impfquote nahezu parallel zu der Entwicklung in Bayern, auch wenn die Infektionszahlen in der Spitze nicht ganz so hoch stiegen.

    Es könnte also bei umfassender Betrachtung aller Umstände etwas sachlicher zugehen bei der Beurteilung von Söders Politik. Tut es aber nicht. In der CSU-Landtagsfraktion führt das zwei Jahre vor der nächsten Landtagswahl zu einiger Unruhe. Die Erklärung für den harten Fall, der auf den langen Aufstieg folgte, wird nicht in den politischen Entscheidungen gesucht, sondern in der Psychologie.

    Da wird zum Beispiel die altbekannte Geschichte vom Klassenprimus hervorgeholt. Einer, der immer der Beste ist, werde zwar respektiert. Aber wenn er es zu sehr raushängen lässt, könne das sehr schnell ins Gegenteil umschlagen.

    Ein eigentlich treuer Weggefährte Söders formuliert es noch etwas drastischer: Wenn jemand es lautstark als seinen ganz persönlichen Erfolg verkünde, dass die Sonne scheint, der dürfe sich nicht wundern, wenn er persönlich dafür verantwortlich gemacht wird, dass es regnet.

    Die Stimmungsspirale aus öffentlicher und veröffentlichter Meinung, die Söder erst wie von Zauberhand nach oben getragen hat, dreht sich aktuell in die entgegengesetzte Richtung. Das wirkt tief hinein in die CSU. Ein Rezept gegen die schwierige Stimmung in seiner Partei hat der Vorsitzende noch nicht gefunden. In der Corona-Politik, so heißt es aus seinem Umfeld, sei kein Blumentopf mehr zu gewinnen. Für neue politische Initiativen sei die Zeit noch nicht reif. Im Moment bleibe nichts anderes übrig, als Augen zu und durch.

    Bei CSU-Leuten ist da dieses mulmige Gefühl

    Trotzdem lässt Markus Söder in der Schlagzahl nicht nach. Fordert der Erste eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen, fordert Söder eine allgemeine Impfpflicht. Und kaum wird ernsthaft über die allgemeine Impfpflicht diskutiert, schiebt er die Forderung nach einer Impfpflicht für Kinder hinterher. Wie eh und je richtet sich sein ganzes Streben und Trachten danach, ganz vorne dran zu sein. Er räumt zwar in kurzen Momenten der Demut ein, dass auch er die Wahrheit nicht gepachtet hat. Aber er redet immer noch so, als wäre es so.

    Einige unter den CSU-Leuten sagen: Macht euch keine Sorgen. Söder ist immer noch ganz der Alte. Andere sagen: Genau das könnte auf Dauer zum Problem werden.
    Einige unter den CSU-Leuten sagen: Macht euch keine Sorgen. Söder ist immer noch ganz der Alte. Andere sagen: Genau das könnte auf Dauer zum Problem werden. Foto: Sven Hoppe, dpa

    Dem selbst gebauten Hamsterrad des pausenlosen politischen Aktionismus entkommt er nicht. Sagt er mal ein paar Tage nix, dann heißt es gleich: Wo ist Söder? Springt er von Talkshow zu Talkshow, von Fernsehinterview zu Fernsehinterview, dann heißt es: Schon wieder Söder! Auf allen Kanälen omnipräsent zu sein, ist eine zweischneidige Angelegenheit: Es kann zu wachsender Popularität, aber, je länger es dauert, auch zu Überdruss führen.

    Die jüngste Umfrage – das ZDF-Politbarometer von diesem Freitag – dürfte in der CSU-Landesleitung für einige Entspannung sorgen. Söder liegt zwar unter den Top Ten nach wie vor hinter Spitzenreiterin Angela Merkel und der Führungsriege der neuen Ampel-Regierung auf Platz sechs. Aber er hat sich stabilisiert und in der Bewertung sogar minimal verbessert. Die CSU könnte dieses Ergebnis sogar für ihre Propaganda nutzen und – weil Merkel nicht mehr mitspielt – sagen: Söder ist aktuell der beliebteste Politiker von CDU und CSU.

    Trotzdem ist da dieses mulmige Gefühl in der Magengegend der Partei. Einige in der CSU sagen: Macht euch keine Sorgen. Söder ist immer noch ganz der Alte. Andere sagen: Genau das könnte auf Dauer zum Problem werden.

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