Prompt spricht es einer aus. „Unser neuer Kanzler,“ ruft der Mann und der Adressat dieser Worte wirkt nun gar nicht verschreckt. Rom, Freitag, 15.42 Uhr, Fontana di Trevi. Wer ein Bad in der Menge nehmen will, ist hier genau richtig: im Wortsinn. Der Trevi-Brunnen, dieses barocke Meisterwerk aus dem 18. Jahrhundert, ist eine der größten Touristenattraktionen der Ewigen Stadt und mittendrin in diesem Meer von Tausenden ist Markus Söder, Ministerpräsident in Bayern, CSU-Chef und wer weiß, was da noch kommt.
Bayerischer Ministerpräsident Markus Söder trifft auf Fans in Rom
Söders Begleiter versichern inmitten des Trubels, dass der Söder-Fan mit dem Kanzler-Ruf nicht bestellt worden sei. Was für diese These spricht: Wenn es anders gewesen wäre, hätte die Münchner Staatskanzlei heimlich eine ganz Busbesatzung in die Touristenmeile zwischen Spanischer Treppe und Trevi-Brunnen schaffen müssen.
Als sich Söder mit Tross zu Fuß durch die Menschenmenge bewegt, stellen sich ihm Frauen aus Deggendorf, Jugendliche aus China und Herren gesetzteren Alters in den Weg. Gefragt ist ein Selfie mit dem Ministerpräsidenten und das macht er natürlich. Eine Frau aus der Nähe von Nürnberg umarmt den Politiker, dessen Leibwächter zunehmend angestrengt durch dunkle Sonnenbrillen auf das Geschehen blicken. Nur das Paar, das ruft "Markus, hier ist Bayern", das hört Söder in dem Trubel nicht. Sonst wär er wohl vor dem Abstecher zum Erdbeereis stehen geblieben, welches er dann schleckt: Umlagert von Kameras und Hobbyfotografen mit ihren Handys, die diese Bilder weiter verbreiten werden.
Der 57-jährige Söder zählt zu den bekanntesten deutschen Politikern und er arbeitet unermüdlich dafür. Zum Repertoire gehört ein Auftritt im Bierzelt ebenso wie in den sozialen Medien. Söder sagt, was er gerne isst (deftig), trägt schräge Weihnachtspullis und lässt auch mal einen Tyrannosaurus durchs Bild hoppeln, wenn's der Aufmerksamkeit dient. Im klassischen Fernsehen hat er sein Revier längst über den klassischen Politik-Talk hinaus erweitert.
Zuletzt plauderte er in einer Fußballsendung und sang in einer NDR-Aufzeichnung in Hamburg einen alten Freddy-Quinn-Schlager. Heute noch freut er sich diebisch über seine Tanzeinlage zu einem Abba-Song in Schweden. Der Videoschnipsel wurde im Internet ein Renner. Söder kann auch anders: Im Petersdom zeigen die Kameras einen Mann, der bewundernd auf die einmalige Pracht des weltweit wichtigsten Gotteshauses blickt. Dass er dafür eigentlich auf ein wenig ansprechendes Baugerüst schaut, ist zweitrangig. Den Kameraleuten scheint die Perspektive günstig. Wenig später kann Söder dann Michelangelos weltberühmte Pieta ungestört in Augenschein nehmen. Panzerglas schützt das Kunstwerk im Dom, der Besuch aus Bayern darf hinter die Barriere.
Markus Söders Romreise ist die fünfte ins Ausland in seiner zweiten Amtszeit als Ministerpräsident. Sie steht am Ende einer für ihn wichtigen Woche. Beim CDU-Parteitag in Berlin hat er die Einigkeit zwischen CDU und CSU unterstrichen. Er hat betont, dass CDU-Chef Friedrich Merz der Favorit für die Kanzler-Kandidatur der Union sei und damit auch der Favorit auf die Kanzlerschaft – wenn man die jetzigen Umfrageergebnisse zum Maßstab nimmt. Aber bis zur Wahl ist es ein weiter Weg. Endgültig begraben hat Söder seine Träume jedenfalls nicht. Denn wo es einen Favoriten gibt, gibt es auch einen Außenseiter. Und der trommelt weiter für sich. Söders stärkstes Argument sind dabei seine Umfragewerte. Der Franke kommt bei den Deutschen besser an als der Sauerländer Merz.
In Italien blieb der Besuch des bayerischen Ministerpräsidenten beinahe unbeachtet. Das Büro der italienischen Ministerpräsidentin Giorgia Meloni postete vier Fotos und ein kurzes Video von der Begegnung der beiden Politiker auf seiner Homepage, aber so gut wie keinen Text. Die großen Tageszeitungen ignorierten den Besuch komplett. Ein Regionalpolitiker aus Bayern ist für die skandalgewohnte italienische Öffentlichkeit derzeit kein Aufreger.
Auch in Italien dreht man sich schließlich gerne um sich selbst. Fragen wie das Fernsehduell vor der Europa-Wahl zwischen Meloni und ihrer sozialdemokratischen Herausforderin Elly Schlein, die Verlängerung des „Superbonus“, also von Steuerrückerstattungen für umweltfreundliche Renovierungen von Wohnungen und Häusern, bewegen die Gemüter derzeit mehr. Zudem dominierte in den vergangenen Tagen ein Korruptionsskandal die Berichterstattungen. Der Gouverneur der Region von Ligurien war zu Beginn der Woche von der Staatsanwaltschaft unter Hausarrest gestellt worden. Ihm wird Begünstigung und Bestechlichkeit vorgeworfen. Söder hatte es schwer.
Markus Söder trifft sich in Rom mit Papst Franziskus II.
Bayerische Fahnen im Vatikan haben da einen etwas anderen Effekt. Das hat vor allem mit dem vor 16 Monaten verstorbenen Papst Benedikt XVI. zu tun, dessen Grab die bayerische Delegation besuchte, und dem immer noch einigermaßen lebendigen Katholizismus in Süddeutschland. Weiß-Blau ist aber natürlich auch die Farbe des argentinischen Papstes, der am Freitag, einen Tag vor der Audienz, mit den Worten Schlagzeilen machte: „Derzeit sind die profitabelsten Investitionen die Produktion von Waffen und Verhütungsmittel: die einen zerstören Leben, die anderen verhindern Leben. Welche Zukunft erwartet uns? Eine hässliche!“
Die Worte von Franziskus sind bekanntlich nicht immer auf die Goldwaage zu legen. Der Papst hält fast täglich Reden, trifft Dutzende Menschen. Am Samstag waren es erst der Chef der Bischofsbehörde, Kardinal Robert Francis Prevost, dann der Chef des Dikasteriums für die Ostkirchen, dazu zwei Bischöfe aus Brasilien und Indien. Schließlich war Markus Söder dran, das tägliche Vatikan-Bulletin kündigte ihn sogar „mit Gefolge“ an. Den Abschluss der Privataudienzen machte nach Söder dann ein Señor Andés Fabían Basso, Vorsitzender des argentinischen Richterbundes.
So reagierte Italien auf Markus Söder
Am Wochenende gesellte sich dann auch im Vatikan ein Skandälchen dazu. 49 Angestellte der Vatikanischen Museen drohten ihrem Arbeitgeber, Kardinal Fernando Vérgez Alzaga, Chef des Vatikan-Governatorrats, wegen angeblich schlechter Arbeitsbedingungen mit Klage. So hätten die Arbeitnehmer im Krankheitsfall kaum Rechte, hieß es. Der Vatikan als Ausbeuter? Der angeblich kapitalismuskritische Papst der Schwachen auf der Seite der kapitalistischen Täter? Vielleicht auch nur ein Sturm im Wasserglas. An Söder wird der Fall vorbeigegangen sein wie eine Wolke Weihrauch.
Für ihn ist wichtig, welche Bilder und Botschaften er in die Heimat schicken kann und Rom ist der perfekte Schauplatz dafür. Politisch sind die Ergebnisse überschaubar: Zusammenarbeit beim Export von Wasserstoff, der gemeinsame Ärger über die Blockabfertigung für Lastwagen in Österreich. Die Begegnung mit der rechtsgerichteten Ministerpräsidentin Meloni zeigt aber, wie sich Söder politisch positioniert. Ausdrücklich lobte Söder eine Flüchtlingsvereinbarung zwischen Italien und Albanien: Italien will zwei Flüchtlingslager auf albanischem Boden betreiben. Ziel ist, die Migration über das Mittelmeer nach Italien und damit in die EU einzudämmen. "Das könnte auch eine Lösung für ganz Europa sein", bekräftigte der bayerische Ministerpräsident. Eigens nach Rom fahren müsste er für diese Erkenntnis aber nicht.
Das gilt auch für den Papst-Besuch, zu dem der Vatikan keine Medienvertreter zugelassen hatte. Rund eine halbe Stunde dauerte die Unterredung mit dem greisen Franziskus und hernach bekräftigt Söder, was ohnehin klar ist. Der Freistaat Bayern ist für die Kirche eine Bank. Dort bleibt das Kruzifix an der Wand und der Religionsunterricht unangetastet.
Ist also was dran an der Kritik, dass es Söder daheim in Bayern einfach langweilig geworden ist? Grünen-Fraktionschefin Katharina Schulze hatte den Ministerpräsidenten im Vorfeld der Reise aufgefordert, sich mehr um Bayerns Belange daheim zu kümmern, anstatt die rechtsgerichtete Meloni zu hofieren.
Söder kontert das in Rom als "Quatsch". Bayern und Italien hätten viele gemeinsame Interessen, deshalb gebe es gute Gründe für den Staatsbesuch, zu dem Söder seinen Staatskanzleichef Florian Herrmann und CSU-Fraktionschef Klaus Holetschek (beide CSU) mitgenommen hatte.
In Bayern wächst die Unzufriedenheit mit Markus Söder
Allerdings: Nach einer Umfrage im Auftrag unserer Redaktion wächst daheim in Bayern die Unzufriedenheit mit dem im Herbst wieder gewählten Ministerpräsidenten – auch wenn er grundsätzlich weiter hohe Zustimmung für seine Politik genießt. Söder scheint auf diese Entwicklung reagieren zu wollen. Nach Pfingsten, so ist zu hören, will er sich mit einer Regierungserklärung zu Wort melden, die dem Freistaat neue Impulse verleihen soll. Gehen soll es dabei unter anderem um die Förderung der Wirtschaft und weniger Bürokratie.
Sicher ist auf jeden Fall, dass Markus Söder spätestens im Herbst seine politische Rolle teilweise neu erfinden muss. Wenn sich die Union auf Friedrich Merz als Kanzlerkandidat einigt – wofür derzeit vieles spricht – dann ist Söder in der Funktion als ewiger Kandidat für die Kandidatur außer Dienst. Wenn nicht – dann könnte ihn sein Weg schon bald wieder in die italienische Hauptstadt führen. Getan dafür hat er in Rom alles. Selbstredend warf er eine Münze in den Trevi-Brunnen.