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Allgäu zeigt Farbe: Queeres Leben fernab der Stadt entdecken

Queeres Leben

Kühe, Berge und Queerness: Ein Verein zeigt die bunte Seite des Allgäus

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    Der Verein Allgäu Pride organisiert Veranstaltungen für queere Personen, wie hier bei der Pride Parade in Kaufbeuren 2023.
    Der Verein Allgäu Pride organisiert Veranstaltungen für queere Personen, wie hier bei der Pride Parade in Kaufbeuren 2023. Foto: Allgäu Pride E.v.

    Ein Wirtshaus in einer Kleinstadt im Ostallgäu: Karierte Gardinen, rustikale Möbel, an der Wand ein Geweih. An einem langen Tisch am Ende des großen Gastraumes sitzen acht Personen, zwei kleine Kinder turnen auf den Schößen ihrer Mütter. Vor ihnen stehen Schnitzel mit Pommes, Käsespätzle, Spezi oder alkoholfreies Bier. Was auf den ersten Blick aussieht wie ein Treffen von Familie oder Freunden, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als ein queerer Stammtisch. Auf dem Tisch liegen bunte Flyer mit Regenbogenfarben vom Verein Allgäu Pride.

    "Es geht uns mit den Stammtischen vor allem um das Miteinander", sagt Silke Dittmer. Sie organisiert die monatlichen Treffen gemeinsam mit Lisa Frank. Deshalb sind die beiden auch bei jedem Stammtisch dabei. Um das Eis zu brechen, haben sie Spiele mitgebracht: Auf dem Tisch liegen Uno, Phase 10 oder ein Memory, bei dem verschiedene queere Flaggen den richtigen Definitionen zugeordnet werden müssen. Doch die Spiele sind an diesem Abend gar nicht nötig. Einige kennen sich aus privaten Kontexten, zwei sind heute das erste Mal beim Stammtisch. Der anfängliche Smalltalk über die Arbeit entwickelt sich schnell zu einem Gespräch darüber, wie sie dort mit ihrer queeren Identität und der damit verbundenen Diskriminierung umgehen.

    Queeres Leben ist auf dem Land weniger präsent

    Denn die erleben queere Personen noch immer: In einer Studie des Bayerischen Jugendrings gaben knapp 94 Prozent der befragten Jugendlichen und jungen Erwachsenen an, mindestens einmal schon Diskriminierung erfahren zu haben. Das wirkt sich auf ihr Wohlbefinden und ihre Resilienz aus, die Werte für queere Personen liegen deutlich unter denen Gleichaltriger in der Allgemeinbevölkerung. Besonders groß ist die Angst vor Diskriminierung laut der Studie vor allem am Arbeitsplatz, aber auch in der Schule oder der Familie. 

    Insgesamt nennen queere Jugendliche und junge Erwachsene in der Studie drei bis fünf Personen, die sie bei Problemen um Unterstützung bitten können. Teilnehmende aus ländlichen Regionen haben allerdings die wenigsten Bezugspersonen. Sie haben außerdem einen schlechteren Zugang zu queeren Jugend- und Freizeitangeboten. Viele ziehen deshalb vom Land in die Stadt, wie eine weitere Studie belegt. Zwar geht Queerness auf dem Land nicht automatisch mit mehr Diskriminierung einher - in der Öffentlichkeit wird sie beispielsweise in der Stadt häufiger erlebt, in der Schule dagegen auf dem Land -, sie ist aber insgesamt weniger sichtbar.

    Marco Schürmann engagiert sich seit zwei Jahren in dem Verein

    Hier will der Verein Allgäu Pride ansetzen. Gegründet im Jahr 2021, hat er mittlerweile über 100 Mitglieder, davon sind etwa 30 Personen aktiv dabei. Einer von ihnen ist Marco Schürmann. Der 27-Jährige lebt in einer 1000-Einwohner-Gemeinde im Ostallgäu, malerisch am Fuß der Alpen gelegen. 2022 wollte er eine Pride Party in seinem damaligen Wohnort Füssen organisieren und ging deshalb auf den Verein zu. "Wir hatten dann eine Mordsgaudi bei der Party und haben uns sofort verstanden", erzählt er. Seitdem engagiert er sich im Verein und unterstützt ihn seit Januar sogar als Vorstandsmitglied.

    Er selbst ist auf einem Dorf in der Nähe von Schwabmünchen aufgewachsen. In seiner Jugend, sagt er, seien queere Personen überhaupt kein Thema gewesen. Obwohl er erst mit 18 öffentlich gesagt hat, schwul zu sein, hat er während seiner Schulzeit Mobbing erfahren. "Wahrscheinlich wussten die anderen Kinder schon, was ich insgeheim auch wusste, auch wenn ich es mir nicht eingestehen wollte", sagt Schürmann. Trotz seiner negativen Erfahrungen in der Schulzeit, konnte sich der gelernte Konditor nie vorstellen, in die Großstadt zu ziehen. "Ich bin einfach ein Landmensch", sagt er. Er liebe das Radfahren, die Berge und die Ruhe. Und: Seit er offen schwul lebt, habe er nie Probleme wegen seiner Beziehung gehabt.

    Queere Stammtische auch in kleineren Allgäuer Orten

    Denn seit über acht Jahren lebt Schürmann bereits mit seinem Mann in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft, seit es die "Ehe für alle" gibt, sind sie verheiratet. Ihn lernte er kurz nach seinem Coming-Out über eine Datingplattform kennen. Denn auf dem Land sei es schwierig für ihn gewesen, einen Partner zu finden. Das erste Match sei dann zugleich das letzte gewesen. Kurze Zeit später zogen die beiden zusammen und ließen ihre Partnerschaft eintragen. Seit seinem Coming-Out, lernt er auch auf dem Land leichter andere queere Menschen kennen. "Allein in unserem Ort kenne ich mehrere Menschen. Es gibt auch auf dem Land Communitys und Bubbles", also Möglichkeiten, sich zu treffen und auszutauschen, sagt er.

    Solche Orte möchte der Verein Allgäu Pride schaffen. Ob Isny, Buchloe, Mindelheim oder Kempten: Bei den Stammtischen ist es wichtig, dass sie mit dem Zug erreichbar sind. "Gerade junge Menschen können vielleicht noch nicht Auto fahren, wollen aber auch nicht unbedingt ihre Eltern fragen, ob sie sie zu einem queeren Stammtisch bringen können", erklärt Schürmann. Denn die Stammtische seien vom Alter her stark durchmischt, erzählt er. Von Teenagern bis Rentner seien alle dabei.

    Queerer Verein im Allgäu: Offen für alle

    Neben Stammtischen veranstaltet der Verein Partys und in diesem Jahr zum dritten Mal in Folge eine Pride Week, inklusive Filmfestival und Pride Parade. Schürmann findet es wichtig, Veranstaltungen für die Community zu organisieren, aber der Verein sucht auch den Austausch mit der Bevölkerung. Während der Pride Week im vergangenen Jahr veranstaltete Allgäu Pride zum Beispiel Marktstände in Kempten und Kaufbeuren, um über die Arbeit des Vereins aufzuklären. Zugleich betont Schürmann, dass der Verein nicht im engeren Sinne als politische Organisation zu verstehen sei: "Bei politischen Fragen sind wir uns gar nicht unbedingt so einig", sagt er.

    Das betont auch Silke Dittmer, die die Stammtische des Vereins organisiert. Es seien alle willkommen, solange sie offen für queere Themen und Menschen sind. Das gilt nicht nur bezüglich der politischen Haltung, sondern auch bei der sexuellen Orientierung. Auch für heterosexuelle Menschen, die sich als Verbündete - sogenannte Allies - verstehen, ist der Verein offen. Dittmar schätzt, dass bei den Stammtischen unterschiedliche Menschen zusammenkommen: "Dadurch bleibt man offen und kreist nicht nur um seine eigenen Leute."

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