Mit einer Mischung aus Wehmut, aber auch Vorfreude kehren in diesen Tagen Älplerinnen und Älpler ins Tal zurück. Nach dem Viehscheid und den letzten Aufräumarbeiten auf Weiden und Hütten verlassen sie nach und nach die Berge. Runter von der Alpe, rein in den Alltag. Die Veränderung vollzieht sich auch optisch: Die Männer stutzen oder rasieren die typischen Älpler-Bärte. Das Haar verschwindet ähnlich wie das Gefühl von großer Freiheit.
Im Sommer in der Käsküche – ab November wieder in der Rehaklinik
Dafür stimmt die Aussicht auf ein Wiedersehen mit Freunden, Kollegen und Bekannten froh. „Es ist jedes Mal eine Umstellung. Aber das macht das Leben abwechslungsreich“, sagt Angelika Schuchard von der Sennalpe Thalhoferberg in Missen (Kreis Oberallgäu). „Auf der Alpe“, erzählt sie, „da steh ich auf, geh zwölf Stiegen runter – und steh schon an meinem Arbeitsplatz“. Und zwar am Kupferkessel der Käsküche, an dem sie nach alter Handwerkskunst jeden Sommer mindestens sechs Tonnen Bergkäse herstellt. Bis Ende Oktober bleibt sie auf der bewirtschafteten Alpe, auf deren Weiden im Sommer etwa 150 Jungrinder, Milchkühe und Kälble grasen. Ein Großteil der Tiere steht jetzt bereits wieder in den Ställen der Besitzer. Es ist ein schrittweiser Abschied. Ab November hat dann der Alltag Angelika Schuchard endgültig wieder: Statt Gummischürze trägt sie einen grünen Kittel bei der Arbeit.
Die 48-Jährige ist Krankenschwester im Schichtdienst in einer Rehaklinik für Kinder und Jugendliche in ihrer Heimatgemeinde Oy-Mittelberg. Für den Sommer auf der Alpe nimmt sie Überstunden und unbezahlten Urlaub. „Ich bin sehr gern auf der Alpe, wo ich die Natur hab und mein eigener Chef bin. Aber ich arbeite auch gern mit Kindern und generell mit Menschen zusammen“, sagt sie. Die Mischung macht’s.
Ähnliches erzählen viele Hirten auf den 700 Alpen im Allgäu. Die meisten sind gelernte Handwerker und arbeiten im Herbst, Winter und Frühjahr in ihren angestammten Berufen. „Zum Beispiel als Zimmerer, Schreiner oder Maurer“, heißt es beim Alpwirtschaftlichen Verein Allgäu. Viele Betriebe würden den Wert der Alpwirtschaft für Tierwohl, Tradition und Kulturlandschaft erkennen und sie unterstützen. Dazu gehörten auch Lifte und Bergbahnen. Dort seien etliche Älpler im Herbst und Winter angestellt, beispielsweise als Pistenraupenfahrer. Im Sommer geht es dann mit den Tieren hinauf in die Berge.
Handwerkliches Geschick ist für Älpler wichtig
Doch es gibt auch Selbstständige unter den Älplern. Landwirte zum Beispiel. Oder Geschäftsinhaber wie Andreas Schuchard. Der Ehemann von Angelika Schuchard ist Maler- und Lackierermeister und hat sich mit seinem Betrieb auf Innenausbau spezialisiert. „Wenn Not am Mann ist, verlässt er im Sommer schon mal die Alpe und fährt beim Kunden vorbei“, erzählt Angelika Schuchard. Handwerkliches Geschick ist für Älpler übrigens wichtig. Besonders im Hochgebirge, wo sie auf sich allein gestellt sind – und sich garantiert kein Kundendienst auf den Weg macht.
Nur wenige Alpen im Allgäu genießen das Privileg einer ganzjährigen Bewirtschaftung. Dazu gehört die Alpe Schneidberg oberhalb von Wiedemannsdorf (Kreis Oberallgäu). Die Landalpe liegt auf 850 Metern Höhe. „Sie ist unser Zuhause“, sagt Sandra Schmeiser, die dort mit ihrem Mann Franz, Schreiner in Teilzeit, und zwei Buben lebt. Auch nach dem Abzug der Tiere bewirtet die Familie täglich Gäste – bis auf Mittwoch. Nach dem Ende der Herbstferien Anfang November hat die Alpe noch am Samstag und Sonntag geöffnet. Um den Traum vom Älpler-Dasein zu leben, packen auf den meisten Alpen viele Familienmitglieder an. Vom Schulkind bis zu Oma und Opa. „Anders würde es nicht gehen“, sagt Angelika Schuchard.
„Oben am Berg ist man sein eigener Herr“
Das sieht auch Reinhold Höchenberger von der Sennalpe Bärenschwand bei Oberstaufen so. Der 62-Jährige war als Schüler Hirtenbub und wurde mit dem sprichwörtlichen Älplervirus infiziert. Seit fast zehn Jahren ist er nun selbst Senn und verbringt im Sommer drei Monate auf der Alpe in etwa 1000 Metern Höhe. Ermöglicht wird ihm das auch durch seinen Arbeitgeber: die Bundeswehr. Dort arbeitet der Maurer seit über 40 Jahren als Zivilangestellter in der Standortverwaltung Sonthofen. „Ich frage jedes Jahr an, ob ich auf die Alpe darf. Und zum Glück hat es immer geklappt“, erzählt er.
Und wie funktioniert der Wechsel von Älpler-Dasein auf Tal-Arbeit? Es sei nicht immer leicht, verrät Höchenberger grinsend: „Oben am Berg ist man sein eigener Herr. Jetzt muss man sich wieder einordnen.“ Kleiner Trost: Mit diesem Gefühl ist er nicht allein. Es kennt wohl jeder Alphirte.
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