In Fußfesseln wird der Angeklagte Markus Berktold, weißes Hemd, dunkle Jeans, am Montagvormittag in den Gerichtssaal gebracht. Bevor der Bürgermeister von Seeg (CSU) sich setzt, nimmt ihm ein Polizist die Fußschellen ab.
Der Angeklagte sitzt mit dem Rücken zum Zuschauerraum. Dort haben etwa 20 Besucher Platz genommen - und zahlreiche Pressevertreter. Berktold dreht sich um, sucht Blickkontakt zu den Zuschauern. Anschließend eröffnet der Vorsitzende Richter Dr. Mark Leppich das Verfahren.
Mutmaßlicher Betrugsskandal in Seeg – worum geht es?
Am Montagvormittag hat der Prozess gegen Berktold, Bürgermeister von Seeg (Kreis Ostallgäu), begonnen. Der 49-jährige Jurist und ein weiterer Mann sowie dessen Ehefrau müssen sich wegen gewerbsmäßigen Betruges in Millionenhöhe und wegen des Vorwurfs der Untreue verantworten. Es geht unter anderem um 2,1 Millionen Euro. Im Falle der Frau wird es wegen ihres gesundheitlichen Zustandes laut Gericht einen eigenen Prozess geben.
Um zu verstehen, was die Staatsanwaltschaft den Angeklagten zur Last legt, muss man Folgendes wissen: In Seeg gibt es eine Pflegeeinrichtung, die Ende der 1940er-Jahre entstanden ist. Das Konstrukt dahinter ist besonders: Seeger bauten das Heim unter der Leitung des damaligen Pfarrers auf und ein Trägerverein, die Caritas-Stiftung Seeg, wurde gegründet.
Vor wenigen Jahren gab es dann Veränderungen, an denen der Seeger Bürgermeister massiv beteiligt war. Er gründete vier Gesellschaften rund um die Pflegeeinrichtung und wurde deren Geschäftsführer. Bei den GmbHs ging es um Dienstleistungen, Pflege und um Wohnbau. Außerdem übernahm er den Vereinsvorsitz.
Die stationäre Pflege wurde in eine ambulante Einrichtung umstrukturiert. Heuer sollte dann ein 14 Millionen-Euro-Projekt bekannt gegeben werden – Berktold wollte die Pflege nach eigenen Angaben zukunftsfähig aufstellen. Doch es kam anders. Am 11. Januar durchsuchte die Polizei Gebäude in Seeg und nahm Berktold und einen ehemaligen Leiter der Pflegeeinrichtung fest. Seitdem sitzen die beiden in Untersuchungshaft.
Über eine Stunde benötigt Oberstaatsanwaltschaft Torsten Haase, um die rund 40 Seiten umfassende Anklage zu verlesen. Darin ist die Rede von einer weiteren wirtschaftlichen Basis, die sich Berktold aufbauen wollte. Im Juli 2020 soll er deshalb ein Firmengeflecht gesponnen haben. „Ab diesem Zeitpunkt war sein Handeln von dem Willen bestimmt, seine Firmen um jeden Preis mit frischem Kapital zu versorgen“, sagt die Staatsanwaltschaft. Um die Firmen mit Geld zu füttern und „erhebliche Liquiditätsengpässe“ zu beseitigen, hätten Berktold und der Ex-Leiter einer Pflegeeinrichtung die Coronahilfen und den Pflege-Rettungsschirm zwischen 2020 und 2022 missbraucht.
Betrugsvorwurf in Seeg: Es geht um Millionen
Die Angeklagten sollen gelogen haben, so hätten sie von einer stationären Pflegeeinrichtung gesprochen, obwohl diese bereits eine ambulante war. Berktold erreichte laut Staatsanwaltschaft, dass eine noch gar nicht angeschaffte Schließanlage vom Rettungsschirm bezahlt wurde. Und er habe Rechnungen gefälscht. Berktold soll das Geld aus dem Schirm überwiegend auf Konten seiner Firmen verschoben haben.
Gab es Verzögerungen bei der Pflegekasse, soll Berktold laut Anklage „mehrfach und beharrlich“ auf seine Vertrauenswürdigkeit als Bürgermeister hingewiesen haben: „Um die Dinge zu beschleunigen und rasch an das Geld zu kommen.“ Über 818.000 Euro wurden nicht ausgezahlt, weil der Schwindel rechtzeitig aufgedeckt werden konnte, so die Staatsanwaltschaft.
Außerdem soll Berktold Geld veruntreut haben: Insgesamt geht es um 825.000 Euro, die er auf sein Privatkonto beziehungsweise auf das Konto einer seiner Gesellschaften überweisen haben soll. Zusätzlich hätte der Verein Pachtforderungen (572.000 Euro) von einer der Berktold-Gesellschaften erhalten sollen – diese seien „grundlos nicht geltend“ gemacht worden. Der Schaden für den Verein beträgt insgesamt fast 1,4 Millionen Euro.
Berktold wird zusätzlich noch unerlaubter Besitz von Waffen und Munition vorgeworfen. Denn am Tag seiner Festnahme fanden die Beamten unter anderem ein Gewehr und eine Pistole sowie über 3000 Stück Munition. 250 Schuss Munition lagerten laut Staatsanwaltschaft ohne Sicherheitsvorkehrungen in einer Plastikdose im Keller des Wohnhauses. Die Kripo Kempten stellte die Waffen sicher.
Staatsanwaltschat wirft Bürgermeister unerlaubten Waffenbesitz vor
Der Ex-Leiter der Pflegeeinrichtung und dessen Frau sollen laut Staatsanwaltschaft viel Geld zur Tilgung privater Schulden benötigt haben. Sie bekamen unberechtigt über 270.000 Euro aus dem Corona-Rettungsschirm, so der Vorwurf. Der Angeklagte soll durch „gezielte Täuschung“ Firmengeld von über 104.000 Euro auf seine Privatkonten überwiesen haben.
Der Vorsitzende Richter berichtete von Vorgesprächen, die es zwischen Staatsanwaltschaft, Kammer und Verteidigung gegeben habe. Demnach ist eine Verständigung erstmal vom Tisch. In den Vorbesprechungen ging es auch darum, ob sich Berktold persönlich bereichert habe. Doch der Oberstaatsanwalt habe bestätigt, dass dieser das Geld für seine Gesellschaften verwendet habe. Dort soll er Finanzlücken geschlossen haben.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Bürgermeister Untreue vor
Die Verteidiger des Bürgermeisters wiesen die Vorwürfe in diesen Gesprächen zurück. Sie beschuldigten den Ex-Einrichtungsleiter der Lüge. Der 42-Jährige hat jetzt vor Gericht ein umfangreiches Geständnis abgelegt. „Mir tut das alles sehr leid, ich will nichts beschönigen“, sagte der 42-Jährige. Als es um die bereits erwähnte Schließanlage ging, sei ihm die Idee gekommen, diese über die Coronahilfen abzurechnen. „Nicht auf einmal, sondern Stück für Stück.“ Er habe Berktold von diesem Plan berichtet. Später habe er Rechnungen gefälscht, weil es Nachprüfungen zu den Corona-Hilfen gab. Weil zum Teil Rechnungen gefehlt hätten, habe er welche erfunden. Der Ex-Einrichtungsleiter belastete den Bürgermeister: Berktold habe davon gewusst und selbst Rechnungen eingereicht.
Der Seeger Bürgermeister nahm zu den Vorwürfen zunächst keine Stellung. Seine Verteidiger wollten zu einem späteren Zeitpunkt eine Erklärung abgeben. Eine Reihe weiterer Verhandlungstage ist angesetzt. Bis zu einem Urteil gilt die Unschuldsvermutung.