Früher war es doch überall so: Am Vormittag oder Mittag des Heiligabend wurde der Baum von der Terrasse hereingeholt und festlich für den Abend geschmückt. Heute sieht man durch die Terrassenfenster schon seit Tagen allerorten geschmückte Christbäume. Weihnachten ist nicht mehr das Fest von drei Tagen, auf das ab dem ersten Advent langsam hingefiebert wird. Der Trend geht zum frühen Fest. Aber warum eigentlich?
Kulturwissenschaftler: Weihnachten ist zu einem Konsumfest geworden
„Weihnachten hat sich gewandelt. Es ist von einem christlichen zu einem Unterhaltungs- und Konsumfest geworden“, sagt Gunther Hirschfelder, Professor für Vergleichende Kulturwissenschaft an der Universität Regensburg. Und so habe sich auch das Weihnachtsgeschäft in den vergangenen Jahren immer mehr ausgedehnt. Im September gebe es schon Weihnachtswaren im Angebot, und „ab Halloween sind Weihnachtsdekoration und weihnachtsspezifische Speisen auf dem Markt. Die Menschen werden also immer früher mit Weihnachten konfrontiert“.
So auch beim Weihnachtsbaumverkauf: Jährlich landen etwa 25 Millionen Christbäume in deutschen Wohnzimmern. Und der Tannenbaum wird in Deutschland immer früher ins Wohnzimmer geholt und geschmückt. Der Trend geht dahin, dass aus einem Weihnachts- ein Adventsbaum wird. So schmücken die Bäume schon Anfang Dezember die Wohnzimmer, um eine vorweihnachtliche Stimmung zu verbreiten. Das bestätigen die Christbaumverkäufer.
"Von besinnlich kann nicht die Rede sein"
Die Corona-Pandemie hat an dieser Entwicklung nach Hirschfelders Ansicht nichts Grundlegendes geändert, obwohl der Trend etwas abgeschwächt worden sei. Die Menschen haben sich gezwungenermaßen in die eigenen vier Wände zurückgezogen und im kleineren Kreis, etwa mit wenigen Verwandten gefeiert. Dadurch entstünden „soziale Erosionen“, glaubt der Kulturwissenschaftler. Dass es durch intimere Feste und engere Interaktion zu einer grundsätzlichen Rückbesinnung auf die christlichen Elemente von Weihnachten kommt, kann Hirschfelder sich aber nicht vorstellen. Vielmehr finde eine „Re-Eventisierung“ von Weihnachten statt. „Weihnachtsmärkte mit Oktoberfestcharakter wurden zwar weniger und alles wurde etwas leiser. Von besinnlich kann aber nicht die Rede sein.“
Der frühe Christbaum ist demnach bei weitem nicht das Einzige, was sich geändert hat. Auch andere Weihnachtsbräuche haben sich grundlegend gewandelt oder seien gar verschwunden, sagt Hirschfelder. „Von Bräuchen kann man nur noch sehr eingeschränkt sprechen, denn Bräuche sind verbindlich.“ Und diese Verbindlichkeit sei schon vor Jahren verloren gegangen. „Etwa einen Adventskranz zu basteln und zu verschenken oder am Adventssonntag gemeinsam zu feiern, Kuchen zu essen und zu singen, ist nicht mehr verbindlich. Wer will, macht es. Wer nicht will, lässt es eben sein.“
Kirche wird mit "komischen Typen" assoziiert
Diese christlichen Bräuche seien in der heutigen Zeit also nur schwer aufrechtzuerhalten. Und Hirschfelder glaubt nicht, dass sich das ändern werde. Das habe vor allem mit der Kirche selbst zu tun. „Die Kirche steht heute immer unter Generalverdacht. Sie wird nicht mehr mit Tradition, Glauben, Seelsorge oder Spiritualität assoziiert, sondern mit komischen Typen, Missbrauchsskandal und Finanzunterschlagungen. Der Ruf der Kirche hat sich dramatisch verändert.“ Und dadurch gerate das Christliche an Weihnachten – etwa das Geburtsfest Jesu Christi – in die Defensive. An ein Wiedererstarken glaubt der Kulturwissenschaftler nicht. „Weihnachten könnte stattdessen zu einem spätherbstlich-winterlichen Grundrauschen werden.“
Doch wenn nun all das Christliche für die Menschen immer weniger Bedeutung hat, warum werden der Advent und Weihnachten dann als die wohl wichtigste Zeit des Jahres gesehen? „Jahreszeit und Winterimagination sind wichtiger als die Geburt Jesu“, sagt Hirschfelder. „Und der Advent ist ökonomisierbar.“ Außerdem sei er ein Taktgeber. Menschen bräuchten kontinuierliche Kulturphänomene, um die Jahreszeit und damit auch die Lebenszeit erfahrbar zu machen. „Und das schaffen Weihnachten und Advent.“