„Ich hoffe, Sie treffen eine kluge und richtige Entscheidung im Interesse des Freistaats und der Gemeinde“: Diese Worte richtete Schwangaus Rathauschef Stefan Rinke an die Bürger. Denn in dem Ostallgäuer Ort könnten die Weichen dafür gestellt werden, dass Bayern eine weitere Unesco-Welterbestätte erhält.
Der Freistaat will diesen Titel für die Königsschlösser von Ludwig II. bekommen und damit auch Schloss Neuschwanstein auf einer Liste zum Beispiel mit der Chinesischen Mauer sehen. Doch die Schwangauer sind sich unsicher, ob sie den Titel wollen. Bei einem Bürgerentscheid am Sonntag treffen die Ostallgäuer eine weitreichende Entscheidung.
Unter Experten gibt es durchaus Verwunderung über den 3300-Einwohner-Ort im Königswinkel, wie der Landstrich im südlichen Ostallgäu gerne genannt wird. Sie habe bisher nie erlebt, dass so ein Titel infrage gestellt wird, sagte Dr. Birgitta Ringbeck bei einer Infoveranstaltung. Sie leitete die Koordinationsstelle Welterbe beim Auswärtigen Amt. „Woanders werden Fördervereine gegründet, wenn so ein Titel in Aussicht gestellt wird.“
In Schwangau gab es keinen Förderverein, sondern erst mal Unsicherheit. Der Gemeinderat war gespalten und entschied, die Bürgerinnen und Bürger zu befragen. Der Freistaat, der sich mit den Königsschlössern (Schloss Neuschwanstein, Herrenchiemsee, Linderhof und das Königshaus am Schachen) für den Unesco-Titel bewerben möchte, reicht den Antrag nur ein, wenn die Kommunen mitziehen. „Unesco-Welterbeanträge in Bayern werden nur mit Zustimmung der beteiligten Gemeinden eingereicht“, sagte eine Sprecherin des Heimatministeriums. Lehnen die Schwangauer ab, wäre der Unesco-Antrag in seiner jetzigen Form hinfällig.
Neuschwanstein bald Unesco-Welterbe? Der Blick geht ins Allgäu
In den Gemeinden der anderen Schlösser – sie haben ihre Zustimmung bereits gegeben – blickt man deshalb gespannt auf den Bürgerentscheid. In Prien (Schloss Herrenchiemsee) erhofft sich Bürgermeister Andreas Friedrich, durch den Unesco-Titel „ganz neue Besuchergruppen für die Chiemsee-Region zu begeistern“. Schloss Neuschwanstein zählte vor den Corona-Jahren bis zu 1,5 Millionen Besucher pro Jahr, ins Schloss Herrenchiemsee kamen dagegen „nur“ knapp über 371.000.
Während man im oberbayerischen Prien gerne mehr Gäste haben möchte, wird im Allgäu diskutiert, ob es nicht jetzt schon genug Tagesausflügler und Touristen sind. Darum blicken die Schwangauer teilweise kritisch auf den Unesco-Titel und dessen Folgen. Bei von der Gemeinde veranstalteten Foren äußerten sie ihre Sorgen. Neben der Frage, ob der Titel noch mehr Menschen anzieht, treibt Schwangauer die von der Unesco geforderte Pufferzone um, die rund ums Schloss entstehen würde. Vor allem Landwirte haben Bedenken: Der Sprecher der Bauernverbands-Ortsgruppe, Otto Lang, sagte kürzlich, dass man mit landwirtschaftlichen Maschinen teilweise schon jetzt nicht mehr durchkomme, weil Wiesen zugeparkt seien. Seit Jahren sei beim Besuchermanagement nichts passiert.
Kritik an Aufnahme von Neuschwanstein in Unesco-Welterbeliste
Experten und Wissenschaftler versuchten, die Bedenken auszuräumen. Da ist zum Beispiel Professor Alfred Bauer, Tourismus-Experte von der Hochschule Kempten. Er sagte: „Mehr Leute kommen nicht, mehr geht nicht.“ Auch andere Experten sind sich einig: Das Schloss sei weltberühmt, viele dächten bereits, es sei Unesco-Welterbe. Ein Vertreter der Bayerischen Schlösserverwaltung sagte, dass man die hohen Besucherzahlen gar nicht mehr erreichen wolle. Auch zum Schutze des Schlosses, das mit Millionenbeträgen saniert wurde – und auch wegen der vielen Besucher, die Spuren hinterlassen. Der Unesco-Titel sei eine Chance, das Schloss weiter zu schützen und Qualitäts-Tourismus zu etablieren, heißt es bei der Schlösserverwaltung. Und Die Pufferzone ändere nichts an der bereits bestehenden rechtlichen Lage rund um das Schloss – etwa am Denkmalrecht.
Es gibt aber auch Befürworter im Ostallgäuer Schwangau. Knapp 30 Gastronomen haben sich zusammengeschlossen und sich für den Titel ausgesprochen. Für andere Bürgerinnen und Bürger wäre es eine Bestätigung des universellen Wertes des Schlosses. Unterstützen die Schwangauer den Welterbe-Antrag des Freistaats, könnte nach einer Bewerbung im Jahr 2025 eine Entscheidung der Unesco fallen.