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Zweiter Weltkrieg: Im Scheppacher Forst bei Burgau wurde Hitlers "Wunderwaffe" gebaut

Zweiter Weltkrieg

Im Scheppacher Forst bei Burgau wurde Hitlers "Wunderwaffe" gebaut

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    Blick ins Waldwerk Kuno, in dem KZ-Häftlinge Zwangsarbeit leisten mussten. Über den beiden intakt aussehenden Me 262-Maschinen, Hitlers "Wunderwaffe", hängt üppige Tarnung.
    Blick ins Waldwerk Kuno, in dem KZ-Häftlinge Zwangsarbeit leisten mussten. Über den beiden intakt aussehenden Me 262-Maschinen, Hitlers "Wunderwaffe", hängt üppige Tarnung. Foto: Us National Archives And Record

    Ihre Familiengeschichte geht unter die Haut: Vier jüdische Schwestern überleben gemeinsam die mörderischen Jahre des Nazi-Terrors. Während ihre Eltern in Treblinka in die Gaskammer geschickt werden, müssen Helen, Bela, Regina und Sonia Garfinkel aus dem polnischen Chmielnik in verschiedenen Rüstungsanlagen arbeiten. Mehrmals schauen sie dem Tod ins Auge. Sie erleben, wie andere Juden gequält und getötet werden. Neben Brutalität und Hunger ist die Angst ein ständiger Wegbegleiter.

    Auch in Burgau (Landkreis Günzburg), wohin die Schwestern in einem Zugtransport im März 1945 gebracht werden. Weil sie sich nach der mehrtägigen Fahrt unter schlimmsten Verhältnissen noch auf den Beinen halten können, sollen sie wie 120 andere jüdische Frauen im nahe gelegenen Waldwerk Kuno im Scheppacher Forst arbeiten. Dort wird die Me 262 montiert, der erste serienreife Düsenjäger der Welt. Die jungen Frauen schnappen ein Gerücht auf: Sobald Hitlers vermeintliche „Wunderwaffe“ gebaut ist, sollen alle Juden getötet werden.

    Schwestern geben sich gegenseitig Mut

    So weit kommt es nicht. Ende April rücken die Amerikaner vor. Sie staunen, als sie im Wald die Rüstungsanlage entdecken. An der Autobahn stehen dutzende Me 262 zum Abflug bereit. Die jüdischen Frauen wurden bereits ins „Schonungslager“ Türkheim verschleppt. Von dort müssen sie bald weiter: Sie werden auf Todesmärsche geschickt. Wer nicht mehr laufen kann, wird erschossen. Viele marschieren barfuß. Tag und Nacht. Später sagt Sonia Garfinkel-Nothman über die stillen Zeugen des Leidens: „Wenn nur die Bäume reden könnten.“

    Die Garfinkel-Schwestern stützen sich gegenseitig. Regina verliert ihren Lebenswillen. Sie fleht ihre Schwestern an: „Bitte lasst mich sterben.“ Die Schwestern ziehen sie mit. „Nur ein bisschen noch“, sagen sie immer wieder. Alle überleben den Marsch. Auch ihre Freundin Cesia Zajfman, die im Waldwerk ist. Bei Dunkelheit schleicht sie sich mit drei anderen Frauen davon. Zwei Tage kauern sie in einer Scheune, bis die US-Soldaten kommen. „Meine Mutter hat nie darüber gesprochen“, sagt ihre Tochter Elaine Goldenthal. Als die Geschichte der Garfinkel-Schwestern in einem Buch veröffentlicht wird, sagt

    Ein Kapitel darin ist das Waldwerk. Cesia Zajfman, damals 21 Jahre alt, wird wie die anderen Frauen frühmorgens von einem Bus im KZ am Flüsschen Mindel abgeholt. Im mehrere Hektar großen Waldversteck müssen die Frauen zumeist leichte Arbeiten verrichten. Sonia und Helen Garfinkel besprühen die fertig montierten Düsenjäger mit Tarnfarbe: Die Unterseiten blau, die Oberseiten grün und braun. Nach der Schicht geht es zurück ins Lager, wo rund 1100 Menschen hinter Stacheldraht eingepfercht sind. Den Garfinkel-Schwestern kommt es im Vergleich zum KZ Bergen-Belsen „wie im Himmel“ vor: In den Baracken gibt es Holzpritschen, auf denen sie schlafen können, einfache Latrinen und täglich Wassersuppe und eine Scheibe Brot. In

    Sonderausstellung in Zusmarshausen

    Die präzisen Erinnerungen der vier Schwestern, die nach Kriegsende in Süddeutschland ihren Bruder Nathan in die Arme schließen, waren ein wichtiger Beitrag für eine außergewöhnliche Spurensuche. Sie ist jetzt in einem 150-seitigen Magazin zusammengefasst. Geschildert werden auch die Ereignisse in anderen Rüstungsanlagen im Augsburger Land. Dazu gibt es bis Ende November eine Sonderausstellung und ein umfangreiches Begleitprogramm. Im Museum Zusmarshausen werden auf kleiner Fläche nicht nur die Schicksale gezeigt, sondern auch das unmenschliche System dahinter.

    Darauf ließ sich die Messerschmitt AG ein: Sie mietete KZ-Häftlinge für die Flugzeugproduktion an. Historiker Wolfgang Kucera, der sich mit dem Messerschmitt-Geflecht der Betriebsstätten in Schwaben befasst hat, erklärt: „Der deutsche Arbeitsmarkt war schon vor dem Krieg aufgrund der jahrelangen Aufrüstung angespannt. Später wurde der Arbeitskräftemangel durch den Einsatz von ausländischen Arbeitskräften behoben. Menschen aus den besetzten Gebieten beziehungsweise Kriegsgefangene mussten mehr oder weniger unter Zwang im Reich arbeiten.“ Doch auch das habe 1944 nicht mehr ausgereicht. Kucera: „Nun konnte man nur noch auf das letzte, bislang kaum genutzte Arbeitskräftereservoir zurückgreifen, nämlich auf die Häftlinge in den Konzentrationslagern.“ Sechs Reichsmark am Tag ließ sich die SS für Facharbeiter bezahlen, vier für Hilfskräfte und zwei für Jugendliche.

    Gewalt gehörte im KZ zum Alltag

    Alex Feuer war einer von ihnen. Mit 15 Jahren wurde er im Mai 1944 ins KZ Birkenau deportiert. Beim ersten Appell tippte ihm dort ein Mann von hinten auf die Schulter und sagte auf Jiddisch: „Kleiner Mann, bleib auf deinen Füßen und streck dich, wenn die SS kommt.“ Der Ratschlag hat ihm vermutlich das Leben gerettet, Feuer wurde zur Arbeit ausgewählt. Sein jüngerer Bruder und seine Eltern wurden in die Gaskammer geschickt.

    Aus Angst rührte Helen Garfinkel im Waldwerk auch eine Papiertüte nicht an, die vermutlich ein deutscher Facharbeiter absichtlich liegen gelassen hatte. Am Ende nahm sie das belegte Brot und den Apfel doch dankbar an sich – eine stille Hilfe. Die gab es auch im Dorf Glöttweng, nordwestlich des Scheppacher Forstes. Bei der Landwirtin Katharina Felber klopften nachts Männer aus dem Kuno-Werk ans Fenster und baten um Essen. Felber versorgte die Zwangsarbeiter und stellte ihnen dann nachts immer wieder an einem Baum vor ihrem Hof Essen ab.

    Die Männer bauten ihr zum Dank eine Kartoffelpresse. Das Küchengerät ist zu einem Zeugnis der Menschlichkeit geworden und wird in der Ausstellung gezeigt. „Meine Mutter half den Gefangenen immer in christlicher Hoffnung: Vielleicht hilft irgendwo in Russland zur selben Zeit eine andere Mutter ihrem Mann, damit er überlebt“, erinnert sich Tochter Maria Wörner. Tatsächlich kehrte Leonhard Felber nach neun Jahren im Krieg verwundet zurück. Später erzählte er, dass ihm in

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