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Zugunglück in Bad Aibling: Wie Bahnstrecken in Deutschland technisch gesichert sind

Zugunglück in Bad Aibling

Wie Bahnstrecken in Deutschland technisch gesichert sind

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    Das den Bahnverkehr in Deutschland sichernde System «Punktförmige Zugbeeinflussung» war im Fall des Zugunglücks von Bad Aibling erst vor einer Woche technisch überprüft worden.
    Das den Bahnverkehr in Deutschland sichernde System «Punktförmige Zugbeeinflussung» war im Fall des Zugunglücks von Bad Aibling erst vor einer Woche technisch überprüft worden. Foto: Jan Woitas/Archiv/Symbol (dpa)

    Die Ursache ist noch unbekannt, fest steht nur: Die beiden Züge sind frontal ineinander gefahren. Die wichtigsten Fragen zu dem schrecklichen Unglück auf einen Blick.

    Warum haben sich die Züge getroffen?

    Laut dem Fahrplan hätten die beiden Züge in Kolbermoor – nur wenige Kilometer vom Unglücksort entfernt – aufeinander treffen sollen. Dort wartet normalerweise der eine Zug auf einem anderen Gleis, bis der entgegenkommende den Bahnhof passiert hat. Weshalb einer der Züge zur falschen Zeit auf der eingleisigen Strecke unterwegs war, ist noch unklar.

    Gibt es keine Technik, die ein Zusammentreffen von zwei Zügen verhindert?

    Doch. Und die ist auch auf der insgesamt 37 Kilometer langen Strecke zwischen Holzkirchen und Rosenheim installiert. Das Zugsicherungssystem PZB (Punktförmige Zugbeeinflussung) hat die Bahn auf den meisten ihrer eingleisigen Strecken installiert, nachdem es bei Hordorf in Sachsen-Anhalt 2011 zu einem Zusammenstoß zweier Züge gekommen war. Ein verspäteter Güterzug hatte bei Nebel zwei Haltesignale überfahren und war in einen Personenzug gerast. Nach Informationen der Bahn ist das Gleisnetz mittlerweile zu über 96 Prozent mit einer PZB ausgestattet.

    Wie funktioniert das Sicherungssystem PZB?

    An der Strecke werden im Gleisbett Magnetsensoren verlegt. Sie sind mit dem Hauptsignal und den Vorsignalen an der Bahnstrecke verbunden. Die zeigen an, ob ein Zug fahren darf oder nicht. Steht eines dieser Signale auf Rot, während der Zug vorbeifährt, bremst die Technik automatisch ab. Fährt ein Zug an einer bestimmten Stelle zu schnell, greift die PZB ebenfalls ein und bremst. Bisher habe es mit der Technik noch nirgends Probleme gegeben, teilt ein Sprecher der Bahn mit. Auch dem Bahnexperten Prof. Edmund Mühlhans ist kein Fall bekannt, in dem die PZB versagt hätte. „Es ist ein sehr modernes System“, sagt der ehemalige Fachgebietsleiter für Bahnsysteme an der TU Darmstadt. Allerdings sei es dem Zugführer möglich, die Geschwindigkeitsverringerung mit einer Befehlstaste zu unterdrücken.

    War es menschliches Versagen?

    Laut Mühlhans ist dies zumindest nicht unwahrscheinlich. Der Experte meint: „Es ist technisch völlig ausgeschlossen, dass beide Züge gleichzeitig grünes Licht hatten.“ Bei einer Störung der Signalanlagen würde in beiden Richtungen automatisch rotes Licht gezeigt. Hier sieht der Experte eine weitere mögliche Fehlerquelle. „Liegt eine Störung vor, kann vom Fahrdienstleiter ein Ersatzsignal eingeschaltet werden.“ Dies zeige dem Zugführer an, dass eine Störung vorliegt, er aber weiterfahren kann. „Bevor so etwas passiert, muss man natürlich Rücksprache halten“, sagt Mühlhans. Es sei seiner Meinung nach möglich, dass der in Kolbermoor wartende Zug fälschlicherweise das Signal zum Losfahren bekommen hat. „Wenn es so war, lässt es sich leicht überprüfen. Das wird alles aufgezeichnet“, sagt der Bahnexperte.

    Medienberichten vom Abend zufolge soll eine verhängnisvolle Fehlentscheidung eines Fahrdienstleiters im Stellwerk von Bad Aibling offenbar der Grund für das Zugunglück sein. Das erfuhr das RedaktionsNetzwerk Deutschland aus Ermittlerkreisen, wie zunächst haz.de berichtete. Der Fahrdienstleiter soll das automatische Signalsystem ausnahmsweise außer Kraft gesetzt haben, um einen verspäteten Meridian "quasi von Hand durchzuwinken".

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    Welche Rolle spielt beim Bremsen der Streusand an den Zugrädern?

    In der Vergangenheit hat es auf eingleisigen Streckenabschnitten immer wieder Probleme mit dem Streusand gegeben, der beim Bremsen als Unterstützung eingesetzt werden kann. Deshalb darf dieser nun nur noch im Notfall angewendet werden. Nach Erkenntnissen des Eisenbahn-Bundesamts kann durch den Sand eine Isolationswirkung zwischen Schiene und Radsatz einsetzen. Die Folge: Das Gleis wird als „nicht besetzt“ gemeldet. Setzt ein Zugführer den Sand ein, müsse dies umgehend dem Fahrdienstleiter gemeldet werden.

    Wie kann man herausfinden, was gestern bei Bad Aibling passiert ist?

    In den Zügen gibt es – ähnlich wie im Flugzeug – drei Blackboxen. Diese dokumentieren den Geschwindigkeitsverlauf der Züge, alle Handlungen des Zugführers und die Kommunikation zwischen Zug und Strecke. Ob diese auch Tonaufnahmen beinhalten, wollte die Bayerische Oberlandbahn nicht sagen. Kriminalpolizei und Staatsanwalt sind schon dabei, den Inhalt dieser Art Fahrtenschreiber zu analysieren.

    Wie viele Strecken sind noch eingleisig?

    In Bayern relativ viele, vor allem auf Nebenlinien. 3000 Streckenkilometer verlaufen eingleisig, das sind 50 Prozent des bayerischen Bahnnetzes. Auch in der Region sind zahlreiche Strecken laut dem Fahrgastverband ProBahn eingleisig. Beispielsweise zwischen Ingolstadt und Augsburg. Die Lechfeld- und die Ammerseebahn fahren ebenfalls auf einem Gleis, genau wie der Zug von Günzburg nach Mindelheim und die Bahn von Ulm nach Kempten.

    Sind eingleisige Strecken gefährlicher als zweigleisige?

    Experte Mühlhans sagt: Nein. Auf eingleisigen Strecken sei die Zugdichte meist geringer, weshalb die technischen Ausstattungen dort früher nur dürftig waren. Mittlerweile sei dies kein Problem mehr.

    Die Züge gehören einem privaten Unternehmen. Sind die genauso sicher wie die der Deutschen Bahn?

    Schwere Zugunglücke in Bayern

    8. Juni 1975: Im Oberland Schaftlach und Warngau sterben an dem strahlenden Frühsommersonntag 43 Menschen, mehr als 100 werden verletzt. Es ist eines der schwersten Zugunglücke in der deutschen Nachkriegsgeschichte - und es ist amtlicherseits programmiert...

    ... Der Sommerfahrplan sieht einen zusätzlichen Zug für die Sonntags-Ausflügler vor. Damit muss es auf der eingleisigen Strecke zwischen Schaftlach und Warngau einen Zusammenstoß geben. Niemand bemerkt das. Und an den Bahnhöfen passiert offenbar ein fataler Fehler: Die Bahnbediensteten lassen die Züge abfahren und melden sie erst dann beim jeweils anderen Fahrdienstleiter an.

    24. April 1992: Ein Güterzug entgleist auf der Strecke Stuttgart-München in Höhe Augsburg-Hochzoll. Ein Waggon kippt um. Hunderte Liter der leichtentzündlichen Flüssigkeit Amylpropionat laufen aus. Dennoch geht der Unfall glimpflich aus, ein größerer Umweltschaden bleibt aus.

    18. Februar 1999: In Immenstadt im Allgäu stößt ein Intercity-Zug mit einem InterRegio zusammen. Zwei Menschen kommen ums Leben, etwa 20 werden verletzt.

    22. Juni 2001: Ein schwarzer Tag für den bayerischen Schienenverkehr. Bei zwei Unglücken an Bahnübergängen sterben 7 Menschen, mindestens 44 werden verletzt. In der Nähe von Vilseck-Gressenwöhr in der Oberpfalz rast ein Regionalzug in einen Lastwagen der US-Armee. Der Lokführer, der Lkw-Fahrer und ein Zugfahrgast sterben. Elf Stunden später rammt ein Regionalzug an der Strecke Donauwörth-Dillingen in Tapfheim ein Auto. Ein Ehepaar und zwei Kinder in dem Wagen sterben.

    6. November 2015: Am Bahnübergang in Freihung in der Oberpfalz kommen zwei Menschen ums Leben, vier werden verletzt. Ein Lkw, der einen Militär-Lastwagen auf dem Tieflader transportierte, war an dem Bahnübergang hängengeblieben und von dem Zug gerammt worden.

    9. Februar 2016: Bei Bad Aibling prallten zwei Züge frontal aufeinander. Zwölf Menschen sterben, 89 weitere Fahrgäste erleiden zum Teil schwere Verletzungen. Zu dem Unglück kommt es, weil der zuständige Fahrdienstleiter von seinem Smartphone abgelenkt ist und wohl in Folge dessen Signale falsch stellte. Er wird wegen fahrlässiger Tötung, Körperverletzung und gefährlichen Eingriffs in den Schienenverkehr zu dreieinhalb Jahren Haft verurteilt.

    7. Mai 2018: Kurz vor dem Bahnhof Aichach fährt ein Personenzug in einen nicht beladenen Güterzug. Der Lokführer des Personenzugs und ein Fahrgast kommen ums Leben. 14 Personen werden bei dem Unfall verletzt.

    Das Personal und die Ausstattung der privaten Anbieter unterliegen den gleichen Vorschriften wie die Deutsche Bahn. „Es gibt bei diesen Betreibern nicht mehr Unfälle“, sagt Bahnexperte Edmund Mühlhans.

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