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Schule: Würzburger Lehrerin darf nach 42 Jahren nicht in den Ruhestand gehen

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Würzburger Lehrerin darf nach 42 Jahren nicht in den Ruhestand gehen

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    Kultusminister Piazolo hat mit seinem Maßnahmen-Paket gegen Lehrermangel an bayerischen Schulen Ärger unter Lehrkräften ausgelöst.
    Kultusminister Piazolo hat mit seinem Maßnahmen-Paket gegen Lehrermangel an bayerischen Schulen Ärger unter Lehrkräften ausgelöst. Foto: Daniel Karmann, dpa

    Sie wollte nach Südamerika fliegen in diesem Herbst. Nach Ecuador, genauer gesagt, in ein Land, das sie tief beeindruckt hat, als sie es vor vielen Jahrzehnten schon mal bereist hat. Aber aus der lang ersehnten Reise zum Ruhestandsbeginn wird nichts. Renate P. (Name geändert), die dienstälteste Lehrerin der Würzburger Graf-zu-Bentheim-Schule, einem Förderzentrum mit Schwerpunkt Sehen, darf nämlich auch nach 42 Dienstjahren noch nicht in den Ruhestand gehen. Sie muss weiter unterrichten, vielleicht ein Jahr noch, vielleicht auch mehr. So will es der bayerische Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler).

    Vor rund zehn Tagen hat Piazolo nämlich ein Maßnahmen-Paket gegen Lehrermangel und zur Sicherung des Unterrichts vorgestellt, das unter anderem vorsieht, dass Grundschullehrer eine Stunde mehr arbeiten, dass Teilzeitarbeitskräfte mindestens 24 Stunden pro Woche im Einsatz sind, dass Sabbatjahre nicht mehr genehmigt werden und auch Anträge auf einen Beginn des Antragsruhestands vor Vollendung des 65. Lebensjahres nicht mehr genehmigt werden. Abgesehen von der zwangsweisen Wochenstundenerhöhung treffen die Maßnahmen nicht nur Grundschullehrer, sondern auch Mittelschullehrer und Förderlehrer.

    Lehrer sollen mehr arbeiten

    „Ich habe im Radio von Piazolos Maßnahmen gehört, hatte gleich ein schlechtes Gefühl, gleich die Angst, dass es mich treffen könnte“, sagt P., die ihren vollen Namen ungern öffentlich machen möchte und ihre Geschichte auch nur deshalb erzählt, weil sie gefragt worden ist. Zwei Tage nach der Piazolo-Ankündigung habe die Schulleitung ihr dann tatsächlich eröffnet, dass sie aufgrund der neuen Weisungen aus München weitermachen müsse. „Dabei habe ich noch vor Weihnachten den Antrag gestellt, nach Schuljahresende aufzuhören. Bisher gab es nämlich eine Übergangsregelung, nach der man nach dem 64. Geburtstag in Ruhestand gehen darf. Und ich werde in diesem August 64 Jahre alt.“

    Gegen Piazolos Maßnahmen-Paket gehen am Samstag in Würzburg zahlreiche wütende Lehrer auf die Straße, weil sie nicht einsehen, dass sie die „verfehlte Bildungspolitik des Kultusministeriums“ ausbaden müssen, wie es in Pressemitteilungen heißt.

    „Sehr bitter“ fühlt sich die Neuregelung aus dem Kultusministerium auch für Renate P. an. Das liegt nicht daran, dass sie der Gedanke, weiter vor einer Klasse zu stehen, mit Entsetzen erfüllen würde. „Ich liebe meinen Beruf und ich liebe die Kinder und ich mache den Job immer noch gern und gut“, sagt die Förderlehrerin, die als äußerst engagierte und beliebte Lehrkraft gilt. Eine, die Eltern und Schülern zufolge vor dem Unterricht von den Kindern umarmt, am Wochenende manchmal angerufen und nach den Ferien mit Freude begrüßt wird. Eine, die in den vielen sehbehinderten, blinden und beeinträchtigten Kindern, die sie unterrichtet hat, immer den wissbegierigen, kompetenten, starken Menschen mit Potenzial gesehen hat. Eine, die ihre Schüler gefördert hat und dabei auf jeden einzelnen eingegangen ist. Sicher bekomme sie das Zusatzjahr noch hin, meint P. „Aber wenn man über 60 ist, merkt man eben jedes Extrajahr. Die körperliche Verfassung wird schlechter; man ist einfach nicht mehr so belastbar.“

    Lehrerin arbeitete 42 Jahre mit behinderten Kindern

    Und die Arbeit, die sie über vier Jahrzehnte geleistet hat, war fordernd. Sehr früh ist P. ins Berufsleben eingestiegen, schon mit 22 hatte sie ihr erstes Studium, Grundschullehramt, abgeschlossen, und startete ins Referendariat – der Zeitpunkt, ab dem die Dienstjahre gezählt werden. Ein Jahr arbeitete sie dann als Mobile Reserve, ein Jahr als Lehrerin für schwererziehbare Kinder. Sattelte dann noch ein zweijähriges Aufbaustudium als Förderlehrkraft Sehen drauf. Sie unterrichtete in den folgenden Jahrzehnten blinde Kinder, sehbehinderte Kinder, mehrfachbehinderte Kinder, taubblinde Kinder, wobei jede Behinderung eine neue Herangehensweise und neue Förderansätze verlangte, die erst mal gelernt werden mussten. Die ganzen 42 Jahre arbeitete P. in Vollzeit, obwohl sie selbst auch zwei Kinder bekam und großzog. „Es war gut. Aber es war auch viel und deshalb finde ich halt jetzt, dass es reicht“, sagt sie.

    Als unfair empfindet sie den Umstand, dass in ihrem Fall der bayerische Staat als Dienstherr weniger die 42 in Vollzeit abgeleisteten Dienstjahre im Blick hat als den Umstand, dass sie im Herbst 2020 noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet haben wird. „Das ist nicht gerecht.“

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