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Würzburg: Totschlag aus Liebe: Dramatisches Ende einer 70 Jahre langen Ehe

Würzburg

Totschlag aus Liebe: Dramatisches Ende einer 70 Jahre langen Ehe

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    Der Angeklagte sitzt neben seinem Anwalt im Würzburger Landgericht.
    Der Angeklagte sitzt neben seinem Anwalt im Würzburger Landgericht. Foto: Nicolas Armer, dpa

    Totschlag. So lautet die Anklage gegen einen 92 Jahre alten Mann, weil er seine Ehefrau umgebracht hat.

    Geboren 1928, Jugend im Zweiten Weltkrieg, Flucht, Rückkehr nach Hause, Lehre, später ein eigenes Geschäft für Malerbedarf – das Schwurgericht blickt auf ein bewegtes Leben des Angeklagten zurück. „Meine Frau und ich waren 70 Jahre glücklich verheiratet“, zitiert der Verteidiger seinen Mandanten. „Uns gab es nur im Doppelpack.“ Als seine Frau erkrankt, kümmert sich der Mann um sie. Jahrzehntelang. Alleine. Kinder haben sie nicht. Zweimal die Woche kommt Unterstützung von einer Sozialstation, den Rest regelt der Mann. Bis ins hohe Alter von 91 Jahren.

    „Ich habe mich in all den Jahren bestmöglich um meine Frau gekümmert“, zitiert ihn der Verteidiger weiter. „Ich habe ihn als rüstigen Rentner erlebt, der sich sehr liebevoll und viel um die Ehefrau gekümmert hat“, bestätigt der langjährige Hausarzt des Paares. Die Frau habe über viele Jahre hinweg körperlich und geistig abgebaut. Der Pflegeaufwand sei zuletzt sehr hoch gewesen. Einkaufen, Haushalt, Garten, den Partner anziehen, Körperpflege und vieles mehr: „Ich habe gemerkt, dass das alles sehr viel für ihn war“, erzählt der Mediziner.

    Ehepaar wohnte in Gemünden am Main

    Zu viel. Im Jahr 2019 schwinden auch die Kräfte des Ehemannes. Er sei körperlich und seelisch am Ende gewesen, berichtet er später. Die Rundumbetreuung seiner Frau habe ihn ausgelaugt.

    Die mittlerweile demente Liebe seines Lebens aber in ein Heim zu schicken, kommt für den offenbar verzweifelten und hoffnungslosen Mann nicht in Frage. Stattdessen trifft er eine weitreichende Entscheidung. Am Abend des 3. November 2019 erstickt er seine im Bett liegende Frau, die ihn nach seinen Angaben kaum noch erkennt. Gegen 22 Uhr wählt er den Notruf, legt sich danach mit einem Föhn in eine Badewanne voller Wasser und schaltet ihn an.

    Als die Rettungskräfte in der Wohnung im unterfränkischen Gemünden am Main eintreffen, ist die 91-jährige Frau tot. Der Mann liegt unverletzt in der Wanne. Die Polizisten, die den Rentner finden, berichten vor Gericht von einem offensichtlich gebrochenen Menschen. „Ich fand einen völlig verzweifelten, erschöpften und lebensmüden Mann vor mir“, sagt ein Beamter. Der Angeklagte habe noch in der Wanne gesagt: „Ich kann meine Frau nicht mehr versorgen. Es geht nicht mehr. Wir wollen nicht mehr leben.“ Der 92-Jährige hatte dafür einige Vorbereitungen getroffen: Er hatte Abschiedsbriefe verfasst, Unterlagen für die Beerdigungen bereitgelegt und Warnhinweise an die Tür geheftet: „Bad bitte nicht betreten. Sofort die Polizei rufen.“

    Drei Millionen Menschen werden zuhause gepflegt

    Auch für ihn sei es „ein sehr außergewöhnlicher Fall,“ sagt Verteidiger Norman Jacob. „Denn wir haben hier – im Gegensatz zu anderen Fällen – nicht Feindseligkeit als Triebfeder, sondern Liebe und Überforderung.“ Die Staatsanwaltschaft sieht das offenbart ähnlich. Der Mann müsse sich wegen Totschlags verantworten, „ohne ein Mörder zu sein“, wie Oberstaatsanwalt Thorsten Seebach sagt. Er vermutet eine schwere depressive Verstimmung hinter der Tat und geht von einer verminderten Schuldfähigkeit aus.

    So dramatisch dieser Einzelfall ist, so macht er zugleich ein generelles Problem unserer Zeit deutlich. Für 2020 geht der Verband für häusliche Betreuung und Pflege von rund vier Millionen Pflegebedürftigen aus. Mehr als drei Millionen leben zu Hause. Ausgebildete Pflegekräfte fehlen an allen Ecken und Enden. Bei einem Viertel der Haushalte sind Angehörige mehr als sieben Stunden mit der Pflege beschäftigt – besonders zeitaufwendig ist es bei Menschen mit hohen Pflegegraden und Demenz, wie jüngst eine Umfrage im Auftrag des Wissenschaftlichen Instituts der Allgemeinen Ortskrankenkassen ergab. Laut der Deutschen Stiftung Patientenschutz legt die Studie den Finger in die Wunde, dass die zeitliche, psychische und physische Hauptlast allein bei pflegenden Angehörigen bleibt. (mit dpa)

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