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Wohnungsnot: Herr Fischer könnte mit seiner Immobilie reich werden - will es aber nicht

Wohnungsnot

Herr Fischer könnte mit seiner Immobilie reich werden - will es aber nicht

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    Wolfi Fischer, millionenschwerer Hausbesitzer der anderen Art in München.
    Wolfi Fischer, millionenschwerer Hausbesitzer der anderen Art in München. Foto: Susanne Guidera

    Der Wolfi hat einfach die Zeit angehalten. Ihm gehört das hier ja alles. Er steckt sich eine unfassbar dünne Zigarette der Marke „Vogue“ in den rechten Mundwinkel, öffnet ein Fenster und zeigt über den idyllischen Innenhof, der sich da mitten in der Großstadt erstreckt. Apfelbäume, wilder Wein, eine verwitterte Biertisch-Garnitur, Vogelgezwitscher.

    Dort hinten, wo er hin zeigt, steht eine Art Meister-Eder-Werkstatt. „Da wollen s’ hinbauen“, sagt der Wolfi grantig, aber in diesem schönen weichen Münchner Dialekt, „am liebsten fünf Stockwerke, pro Wohnung eineinhalb Millionen“. Aber nur über seine Leiche. Und nicht mal über die.

    Der millionenschwere Hausbesitzer sieht eher aus wie ein Hausbesetzer

    Der Wolfi ist millionenschwerer Hausbesitzer, sieht aber eher so aus wie ein Hausbesetzer: wuschelige Haare, Vollbart, eine tibetische Glückskette um den Hals, gelbes T-Shirt, kurze Hose. Ein Alt-Achtundsechziger durch und durch. Er war früher Schauspieler, hat in bekannten bayerischen Kultserien wie „Café Meineid“, „Irgendwie und Sowieso“ oder „Münchner Geschichten“ mitgespielt und 15 Jahre lang für den BR „Ein Münchner in New York“ gedreht.

    Seine Großtante Muz hat ihm 1989 das Haus vermacht. In der Nymphenburger Straße in München, an der Grenze zwischen den beliebten Stadtteilen Neuhausen und Maxvorstadt. Hinter dem Sechs-Parteien-Haus ist der längliche Innenhof mit Atelierhaus, Gästehaus, Garage und Schreinerwerkstatt. 1013 Quadratmeter. Als die Großtante ihm das Anwesen vererbte, war es etwa 170.000 Mark wert, heute könnte der Wolfi laut Bodenrichtwert sage und schreibe elf Millionen Euro dafür bekommen. Wenn er verkaufen würde. Er verkauft aber nicht. Er vermietet. Und wie. 

    Wer ein Kind bekommt, erhält Mietnachlass

    Unter Vermietern ist Wolfi Fischer ein Exot. Für Mieter ist er eine Art Held der Entrechteten geworden. Nur weil er sich an die Regeln seiner Großtante hält: „Du weißt fei scho, dass aus diesem Haus noch nie jemand rausgeflogen ist, weil er seine Miete nicht hat bezahlen können“, gab sie ihm mit auf den Weg. Das ist für Fischer Gesetz. Er vermietet die fünf etwa 75 Quadratmeter großen Wohnungen zum Festpreis von zwölf Euro pro Quadratmeter.

    Das ist nicht wenig. Verglichen mit dem durchschnittlichen Münchner Niveau von über 17 Euro aber sehr günstig. Erst recht, wenn man bedenkt, dass manch ein Vermieter 40 Euro pro Quadratmeter nimmt. Fischer erhöht die Miete auch nicht. Und wenn eine Frau ein Kind bekommt, lässt er sogar 50 Euro nach. In München gleicht das einer Sensation.

    Fischers Anwesen ist ein Gegenentwurf zu Wucher und Wohn-Wahnsinn. Während die meisten anderen Haus- und Wohnungsbesitzer versuchen, möglichst viel Miete rauszuschlagen, ist hier ein Mensch, der mit seiner Immobilie reich werden könnte, es aber gar nicht will. „Ich folge lieber meinem Herzen“, sagt der Wolfi. Er ist eine Ausnahme. Und das ist ein Problem.

    Die Mieten steigen unaufhaltsam

    Wohnungsnot. Neben der Flüchtlingsfrage ist das zurzeit das dominierende Thema in Bayern. 6,371 Millionen Wohnungen gab es laut Landesamt für Statistik Ende 2017 in Bayern. Eine stattliche Zahl – aber sie reicht nicht. In vielen Gegenden des Freistaats herrscht akuter Mangel an bezahlbarem Wohnraum. Die Mieten steigen ebenso unaufhaltsam wie die Preise für Neubauten. Es fehlt an Grundstücken. Seit Jahrzehnten gab es nicht so wenige Sozialwohnungen wie heute. Der Staat hat sich aus dem Wohnungsbau zurückgezogen. SPD-Chefin Andrea Nahles und CSU-Chef Horst Seehofer sagen in seltener Einmütigkeit: „Wohnen ist die soziale Frage unserer Zeit.“

    Freilich ist es in München besonders schlimm. Die Landeshauptstadt erlebt einen lang anhaltenden Boom, der Wohnungsmarkt steht durch den enormen Zuzug neuer Bewohner und als Investitionsobjekt für ausländische Kapitalgeber so unter Druck, dass die Immobilienpreise schon lange nur eine Richtung kennen. Ein Vergleich der Immobiliensuchmaschine immowelt.de hat erst neulich ergeben, dass in München die Mieten in den vergangenen zehn Jahren um 61 Prozent gestiegen sind.

    Und vor zehn Jahren war München auch schon nicht billig. Nach einer Studie der Beratungsgesellschaft Knight Frank ist München die einzige deutsche Stadt, die es ins obere Drittel einer weltweiten Rangliste schafft, was internationale Investitionen in Luxusimmobilien betrifft: Platz 23, vorne liegen New York und London.

    Prognose: Augsburg wird fast doppelt so schnell wachsen wie der Rest Bayerns

    Aber auch in den bayerischen Regionen wird es teurer. Die Stadt Augsburg sowie die Landkreise Augsburg, Aichach-Friedberg oder Landsberg zählen laut „Wohnatlas 2018“ zu den teuersten Gegenden Deutschlands mit Quadratmeterpreisen bis zu 4000 Euro für eine gekaufte Immobilie. Und die Situation wird sich nach Berechnungen der Statistiker verschärfen. Das Landesamt sagt voraus, dass der Großraum Augsburg in den kommenden Jahren fast doppelt so schnell wachsen wird wie der Rest Bayerns. Demnach sollen im Jahr 2036 in und um Schwabens Metropole mehr als 720.000 Menschen und damit rund acht Prozent mehr leben als heute.

    Dabei gibt es schon jetzt zu wenig Wohnraum in der Region. Allein in den vergangenen fünf Jahren sind in Augsburg die Preise für Eigentumswohnungen um satte 65 Prozent gestiegen. Das errechnete kürzlich der Maklerverband IVD. Für ein Einfamilienhaus müssen Augsburger demnach durchschnittlich 528.000 Euro berappen. Obwohl im Freistaat in vielen Regionen praktisch Vollbeschäftigung herrscht und die meisten Menschen immer mehr verdienen, können sie sich so etwas nicht mehr leisten.

    Wolfi Fischer ist ein sozialer Mensch. Damit ist er aus der Mode gekommen. „Ich bin ein Fan der Liebe“, sagt er, doch bevor man ihn in die Schublade mit den naiven Romantikern tut, schiebt er hinterher: „Aber ich bin kein Träumer.“ Er muss von dem leben, was das Haus abwirft. Das fällt ihm nicht immer leicht.

    Wenn er einen neuen Mieter sucht, dann gibt es beim Vorstellungstermin Kaffee und Kuchen statt erzwungener Selbstauskunft. Diesen „Striptease“ macht er nicht mit. Und weil er sich nie zwischen den Bewerbern entscheiden kann, legt er Tarotkarten. „Mir hat das so wehgetan, wenn ich jemandem absagen musste“, sagt der Wolfi. Die wenigen, die heute bei ihm Mieter sind, hatten viel Glück.

    Parteien werben im Landtagswahlkampf mit bezahlbarem Wohnraum

    Susanne Guidera, die in ihrem Kleinverlag „millemari“ Bücher rund ums Meer macht. Und Gabriele Becker, die ebenfalls aus der Buchbranche kommt und eine PR-Agentur hat. „Die beiden Damen“, wie der Wolfi sie nennt, bilden im Atelierhaus eine Bürogemeinschaft und sagen unisono mit einem breiten Lächeln: „Wer hat schon so einen Vermieter?“

    Die Politiker haben die Brisanz des Themas Wohnungsnot immerhin erkannt. Die SPD wirbt im Landtagswahlkampf mit dem Schlagwort „Zuhause“ und dem Slogan „Stell Dir vor, es gibt bezahlbaren Wohnraum und keiner zockt Dich ab“ auf ihren Plakaten. Die Parteien überziehen sich mit gegenseitigen Vorwürfen und überbieten sich mit Vorschlägen, wie die Wohnungsnot zu lösen sei. Die CSU-Staatsregierung hat eine Wohnbaugesellschaft namens BayernHeim gegründet.

    So viele Wohnungen fehlen in Deutschland

    Wohnungsnot in Deutschland: In deutschen Großstädten fehlen fast zwei Millionen bezahlbare Wohnungen. Das geht aus einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung hervor. Am größten ist die Wohnungsnot in Berlin, Hamburg, Köln und München.

    Wohnungsbedarf in Deutschland: Immobilienverbände halten bis zu 400.000 neue Wohnungen pro Jahr für erforderlich. Schätzungen der IG Bau zufolge dürften in diesem Jahr nicht einmal 300.000 Wohnungen dazukommen.

    Sozialwohnungen in Deutschland: Nach Zahlen der BAG Wohnungslosenhilfe gibt es derzeit 1,15 Millionen Sozialwohnungen in Deutschland. Damit ist die Zahl seit 1990 um 63 Prozent gesunken.

    Situation in Augsburg: Auch in der Stadt mit ihren knapp 300.000 Einwohnern wird bezahlbarer Wohnraum immer knapper. Derzeit gibt es etwa 5800 geförderte Wohnungen – halb so viele wie im Jahr 2003. Wie viele Sozialwohnungen in Augsburg nötig sind, wird derzeit diskutiert. Die SPD will durchsetzen, dass in jedem Neubaugebiet 30 Prozent der Wohnungen gefördert werden. Die WBG baut in den kommenden Jahren 500 Sozialwohnungen, dazu kommen Projekte anderer Träger.

    Eine halbe Milliarde Euro soll den staatlichen Wohnungsbau wiederbeleben. Bis 2025 sind 10.000 erschwingliche Wohnungen geplant. Doch traditionell ist die CSU die Partei der Eigentümer. Daher erhöht die Staatsregierung das Baukindergeld des Bundes – 1200 Euro pro Kind und Jahr – um 300 Euro und legt eine Eigenheimzulage von 10.000 Euro obendrauf. Die SPD kritisiert, dass das alles viel zu wenig ist oder ungerecht und überhaupt: Hätte der Freistaat nicht 33.000 GBW-Wohnungen an die Augsburger Patrizia verscherbelt, wäre alles nicht so dramatisch. Die Sozialdemokraten fordern einen Mietenstopp für fünf Jahre. Die Grünen wollen 50.000 neue Sozialwohnungen.

    In den vergangenen Jahren sind zu wenig Wohnungen in Bayern entstanden

    Da ist von allen Seiten viel Wahlkampfrhetorik dabei. Doch Fakt ist: In den vergangenen Jahren ist in Bayern deutlich zu wenig Wohnraum entstanden. Von einem Höchststand von 110.726 Wohnungen, die noch im Jahr 1994 gebaut worden sind, sank die Zahl 2009 auf einen Tiefstand von 30.811 Wohnungen. Zwar stieg die Zahl seither wieder auf gut 60.000 im vergangenen Jahr an, doch die große Lücke macht sich vor allem bei jenen auf dramatische Weise bemerkbar, die nicht so viel verdienen.

    Zumal der Freistaat attraktiv ist. Die jüngste Prognose sieht bis 2035 einen Bevölkerungszuwachs von 687.000 Einwohnern auf dann gut 13,5 Millionen vor. Die Menschen wollen gerne in Bayern leben, sie finden aber keinen Platz dafür.

    Wolfi Fischer würde am liebsten möglichst vielen Menschen einen Platz bieten. So denkt er heute. Als junger Mann war er aber ein recht wilder Hund. Seine Mutter war die bekannte Schauspielerin Elfie Pertramer. Sie war mit Regisseur Helmut Dietl liiert. Wolfi wuchs vorwiegend im Heim und im Internat auf. Die Schule brach er ab. Er wurde alkoholsüchtig und obdachlos, übernachtete im Englischen Garten.

    Mit zwei Freunden saniert Fischer das alte Haus

    Hätte ihm die Großtante nicht ein Dach über dem Kopf angeboten, wäre er wahrscheinlich unter der Brücke erfroren. Hätten ihm die bekannten Regisseure Michael Verhoeven und Franz Xaver Bogner keine Rollen gegeben, wäre er ein Hungerleider geblieben. Und hätte er nicht das amerikanische Hippiemädchen Ann kennengelernt, hätte er sich wohl totgesoffen.

    So aber wandert Fischer 1978 in die USA aus, kauft ein Apartment in Manhattan. Für 65.000 Euro. Und erlebt dort den Mietwahnsinn, als er es später für das Fünffache verkauft. Ann stirbt an Krebs. 2005 will der Wolfi nicht mehr in New York leben, sondern daheim in München. „Da wusste ich noch nicht, dass mir die Scheiße hinterher reist“, sagt er. Die „Scheiße“– das ist die extreme Explosion der Mieten. Mit seinen Freunden Winnetou („ein Steinmetz“) und Raoul („ein Allroundgenie“) saniert er das alte Haus der Großtante Muz und sucht sich ein paar nette Mieter.

    Es könnte doch alles so einfach sein: Da hat einer ein Mehrfamilienhaus und vermietet es so, dass er und die Mieter damit leben können. „Ich weiß, das klingt heute naiv“, sagt Fischer. Da hat er recht. Der Immobilienmarkt ist derart überhitzt, dass es ganz so einfach nicht mehr ist.

    München: Die höchsten Mieten, aber auch die geringsten Renditen

    Warum eigentlich? Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Warum wurde im reichen Bayern zuletzt so wenig gebaut? Weshalb hat die Politik nicht früher gegengesteuert? Rudolf Stürzer ist Rechtsanwalt und Chef von Haus + Grund München, der Interessenvertretung der Haus- und Grundbesitzer. Er beobachtet den Wohnungsmarkt in München seit 30 Jahren. Stürzer holt tief Luft und sagt: Es fehlt an Grundstücken und Bauen ist sehr teuer geworden. Der Gesetzgeber habe mit gewaltigen Auflagen und viel Bürokratie kräftig dazu beigetragen, Stichwort Energieeinsparungsverordnung. Die neueste Heizung, die aufwendigste Wärmedämmung, die besten Fenster – all dies mache Häuser heute sehr teuer.

    Das ist die Mietpreisbremse

    Die Mietpreisbremse ist eine im Juni 2015 eingeführte Regelung, die drastische Mietsprünge verhindern soll.

    Wird eine Wohnung neu vermietet, darf die Miete höchstens zehn Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete liegen.

    Sie gilt in Gegenden mit „angespanntem Wohnungsmarkt“. Welche Gebiete das sind, entscheiden die Bundesländer.

    Bisher gibt es keine Sanktionen gegen Vermieter, die sich nicht an die Vorgaben halten. Das soll sich künftig ändern. Hausbesitzer müssen mit Bußgeldern bis zu 100.000 Euro rechnen.

    So teuer, dass die Münchner Hausbesitzer gar nicht mehr so viel an ihren Immobilien verdienen, behauptet Stürzer: „München hat zwar die höchsten Mieten, aber auch die geringsten Renditen.“ Weil die Kaufpreise so hoch sind. Das Interesse der Investoren sei daher zurückgegangen. Und den klassischen Mietwohnungsbau gebe es in München praktisch nicht mehr.

    Auch der Staat hatte sich aus dem Wohnungsbau verabschiedet. Ein Fehler. Der Grund: Auch ihm war die Rendite irgendwann zu gering, erklärt Stürzer. Über Jahrzehnte sei an den Wohnungen nur das Notwendigste gemacht worden. Dann standen teure Renovierungen an und die Mieten hätten stark erhöht werden müssen. „Diesen Schwarzen Peter wollte der Staat nicht haben“, sagt der Haus + Grund-Chef. Und jetzt ist der politische Druck sehr hoch geworden. „Da steigt der Staat notgedrungen wieder ein.“

    Dass die Politik mit ihren vollmundigen Versprechungen die Preise in den Griff kriegen kann, glaubt der Immobilen-Experte nicht. „Da wird sich nicht viel ändern“, sagt Stürzer skeptisch. Unterstützungen wie dem Baukindergeld spricht er die große Wirkung ab: „Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein. Den Familien wäre mit Steuernachlässen, zum Beispiel einer Abschaffung der Grunderwerbsteuer, viel mehr geholfen.“

    #ausspekuliert - Tausende demonstrierten für bezahlbaren Wohnraum

    Dazu vermisst Stürzer aber den politischen Willen. Warum? „An den hohen Mieten verdient vor allem der Staat“, kritisiert er. Bezahlbares Wohnen sei aus fiskalischer Sicht gar nicht erwünscht. Nach Berechnungen von Haus + Grund nimmt der Fiskus alleine in München jährlich mehr als eine Milliarde Euro von den Wohnungsvermietern ein. Davon könnte er den Mietern, die unter den hohen Mieten leiden, einiges abgeben, zum Beispiel durch ein höheres Wohngeld – wenn er nur wollte.

    Diese Preisspirale bereitet Wolfgang Fischer seelische Pein. Als er neulich beim Münchner Mieterstammtisch eingeladen war, erfuhr er von einer Frau, der mit 80 Jahren die Wohnung gekündigt wurde. „Es ist heute sehr kalt in der Stadt geworden, das tut mir weh“, sagt Fischer.

    Weil er es anders macht, ist er unfreiwillig zum Helden der Mieter geworden. Sie würden ihn jetzt gerne öfter da haben, beim Mieterstammtisch. Sie hätten ihn gerne dabeigehabt bei der großen Demo „#ausspekuliert“, bei der vor wenigen Tagen Tausende in München „für bezahlbaren Wohnraum und gegen soziale Ausgrenzung“ auf die Straßen gegangen sind.

    Die Mieten in München sind die höchsten in ganz Deutschland.
    Die Mieten in München sind die höchsten in ganz Deutschland. Foto: Daniel Biskup

    „Irgendwann gehen den Investoren die Reichen aus“

    Doch der Wolfi will das nicht. Er versteht auch nicht, warum er auf einmal zur Ikone des guten Vermieters stilisiert werden soll. Er öffnet die Garage im Innenhof, drinnen steht ein uralter blauer Mercedes Ponton 180, Baujahr 1960. Lenkradschaltung. Kein Gurt. „Eigentlich will ich nur meine Ruhe“, sagt der Mann, der die Mieten einfriert.

    Doch die große soziale Frage „Wohnraum“ lässt  Wolfi Fischer diese Ruhe nicht. „Irgendwann tut es einen großen Schlag wie in den USA.“ Denn: „Irgendwann gehen den Investoren die Reichen aus.“ Fischer könnte Bände füllen mit seinen Erlebnissen als Vermieter. Er lebt selbst im Vorderhaus an der Nymphenburger Straße.

    Ihm geht es wie vielen anderen Hausbesitzern: Immer wieder bekommt er Post von Maklern. Sie wollen das Anwesen kaufen, meist im Auftrag von reichen Leuten. Fischer schmeißt die Post in den Müll. Bis einer mal schrieb, er habe die Immobilie mit dem Interessenten schon angeschaut. Da wurde der Wolfi aber richtig sauer.

    Für neue Wohnungen fehlt es an Grundstücken

    Er schrie den Makler am Telefon an, was er sich einbilde, einfach sein Grundstück zu betreten. Das muss man sich mal vorstellen: Der Althippie und Menschenfreund Wolfi als Spießer. Als der Makler antwortete, der Käufer zahle jeden Preis, sagte Fischer: „Gut, das Haus kostet eine Milliarde.“

    Bei der Demo #ausspekuliert gingen im September mehrere tausend Menschen auf Münchens Straßen.
    Bei der Demo #ausspekuliert gingen im September mehrere tausend Menschen auf Münchens Straßen. Foto: Daniel Biskup

    Gibt es weitere Gründe für den eklatanten Mangel an erschwinglichem Wohnraum? Mark Dominik Hoppe, Geschäftsführer der kommunalen Augsburger Wohnbaugruppe (WBG), nennt drei Probleme, und zwar geordnet nach Gewicht: 1. Es fehlt an Grundstücken. 2. Es fehlt an Personal. 3. Es fehlt an Geld. „Das Nadelöhr schlechthin sind Baugrundstücke“, sagt Hoppe. Wenn nun also Parteien reihenweise zigtausende neue Wohnungen versprechen, wird es dem WBG-Chef ein wenig schwindlig. „Auf welchen Grundstücken“, fragt er sich. Die Kommunen haben es da in seinen Augen nicht leicht. Sie können nur Baugebiete ausweisen. Doch das heißt noch nicht, dass die Besitzer auch verkaufen.

    Und wer soll die Baustellen betreuen? „Der Markt für Bauleiter ist zurzeit der Wahnsinn“, berichtet Hoppe. Und die Kommunen haben das Nachsehen, weil sie im Tarifwerk des Öffentlichen Dienstes stecken und nicht so viel bezahlen können wie private Baufirmen. Geldmangel sei demgegenüber zurzeit nicht das größte Problem. Die Fördermittel seien ganz gut gesichert, so Hoppe. „Was wir benötigten, sind die großen, langfristigen Konzepte.“

    Die Wohnraumnot wird politisch nicht leicht zu bekämpfen sein

    Den lauten Versprechen der Parteien sollte also durchaus mit Skepsis begegnet werden. Ganz so leicht wird die Wohnraumnot politisch nicht zu bekämpfen sein. Auch dem alten Kämpfer Wolfi sind irgendwann dann Zweifel gekommen, ob er allein es wirklich schaffen kann, die Zeit anzuhalten, auch wenn es nur in seiner kleinen Oase ist. „Ich bin jetzt 77, vielleicht wohne ich in naher Zukunft auf dem Waldfriedhof, und dann?“ Dieses „Und dann?“ hat er jetzt geregelt.

    Erst wollte er die Immobilien an seine fünf Neffen und Nichten in den USA vermachen. Durch die immense Wertsteigerung müssten die aber dann eine immense Erbschaftsteuer zahlen. Das wollte er nicht. Er wollte aber auch nicht, dass sich nach seinem Tod doch „irgendeine Heuschrecke“ das Filetstück unter den Nagel reißt.

    Wolfi hat deshalb mit der Münchner Wohnungsbaugenossenschaft Wogeno verhandelt. Der Deal ist gemacht und notariell beglaubigt: Die Wogeno wird das Anwesen eines Tages für rund zwei Millionen Euro bekommen. Seine Neffen und Nichten in den USA kriegen etwas ab, „aber nicht zu viel“, sagt Fischer. Und seine Mieter werden als Genossenschaftsmitglieder Eigentümer und Mieter gleichzeitig sein inklusive lebenslangem Wohnrecht und eingefrorenen Mieten.

    So sollen die Regeln der Großtante Muz für eine Vermietung mit Herz auch dann weitergelten, wenn der Wolfi mal nicht mehr da ist. Denn die Zeit steht eben nicht still. Schon gar nicht am Wohnungsmarkt.

    Dieser Text ist in unserer Sonderbeilage zur Landtagswahl erschienen, die am 25. September der Augsburger Allgemeinen und ihren Heimatzeitungen beilag. Die ganze Beilage finden Sie hier auch als E-Paper.

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