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Wintertourismus: Kapital und Kanonen

Wintertourismus

Kapital und Kanonen

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    Die Berge sind das Kapital der Allgäuer Skigebiets-Betreiber. Aber eben auch der Schnee. Und weil es oft zu wenig natürlichen gibt, behilft man sich mit Schneekanonen. Unser foto entstand auf einer noch grünen Piste am Spieserlift bei Unterjoch (Oberallgäu).
    Die Berge sind das Kapital der Allgäuer Skigebiets-Betreiber. Aber eben auch der Schnee. Und weil es oft zu wenig natürlichen gibt, behilft man sich mit Schneekanonen. Unser foto entstand auf einer noch grünen Piste am Spieserlift bei Unterjoch (Oberallgäu). Foto: Karl-Josef Hildenbrand, dpa

    Wer dieser Tage aus dem schwäbischen Tiefland ins Allgäu fährt, kann ein Wunder erleben. Dann nämlich, wenn sich hinter Obergünzburg der zähe Nebel lichtet und plötzlich die Novembersonne grell am Himmel steht, fühlt es sich einen Moment lang so strahlend hell an, als führe man geradewegs ins Paradies.

    Skigebiete in Zeiten der Klimaerwärmung

    Diese Sonne steht aber auch symbolisch für den schleichenden Klimawandel, der vielen bayerischen Skiorten zu schaffen macht, weil sie nicht hoch genug in den Bergen liegen und angesichts steigender Durchschnittstemperaturen in der Wintersaison allzu oft unter Schneemangel leiden. Naturschützer unken, der Ski-Tourismus im Freistaat stünde eher früher als später vor dem Aus.

    Um das zu verhindern, bauen die Wintertourismus-Gemeinden seit einigen Jahren einen Millionen-Investitionsstau ab. Liftanlagen, Schneekanonen, Wellness-Hotels – aus Sicht der Verantwortlichen ist es höchste Zeit zu reagieren, um zumindest Anschluss an die davoneilende Konkurrenz aus Österreich zu finden. Etwa 250 Millionen Euro werden im Nachbarland pro Jahr allein in neue Seilbahnen und Pisten investiert. Über solche Summen können die Bayern nur staunen.

    Berni Huber beispielsweise. Der frühere Weltklasse-Abfahrer aus Obermaiselstein macht an der Talstation Riedberger Horn Pause und blinzelt in die tiefstehende Sonne. In verstaubter Arbeitshose sitzt er da. Hier packt der Chef noch selbst mit an. Huber hilft bei den Arbeiten zu seiner neuen Skihütte im Landkreis Oberallgäu mit. Nun erzählt er von seinen Problemen als Liftbetreiber. Und nimmt kein Blatt vor den Mund.

    Der inzwischen 45-Jährige ist seit 2003 Geschäftsführer der Skigebiete Grasgehren und Riedberger Horn – ein vergleichsweise kleines Unternehmen. Huber und seine 28 Gesellschafter würden liebend gerne in die Liftanlagen investieren. Mehrere Millionen Euro. Lieber klotzen statt kleckern. Doch sie dürfen nicht. Der Geschäftsmann zeigt nach oben, entlang des Zweier-Sessellifts, und erklärt, wo er sich eine neue Aufstiegshilfe hätte vorstellen können. Doch daraus wurde nichts.

    Auch die aktuellen Pläne, durch neue Lifte über das Riedberger Horn hinweg die Skigebiete Grasgehrens mit denen Balderschwangs zu verbinden, riefen die Naturschützer auf den Plan. Denn das Projekt würde durch die „Schutzzone C“ des bayerischen Alpenplans führen, ein Bereich, der als Ruhegebiet touristisch nicht erschlossen werden darf. Moore und Bergwaldstrukturen würden zerstört, argumentieren Ökologen. Die seltenen Raufußhühner würden besonders leiden, heißt es. Der Immenstädter Wildbiologe Albin Zeitler weist darauf hin, dass die Verluste dieser nach europäischem Recht geschützten Tiere am Riedberger Horn nicht wettgemacht werden könnten.

    Ski-Befürworter entgegnen, die Hühner würden von den Anlagen eher profitieren. „Die verziehen sich gerne in deren Nähe, weil sie dort sicher sind“, sagt einer, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Wer recht hat, ist schwer zu beurteilen.

    Tausende Jobs im Fremdenverkehr

    Huber geht darauf erst gar nicht ein. Er analysiert die Lage knallhart: „Wenn wir keine Möglichkeit finden, die beiden Skigebiete zu verbinden, können wir hier langfristig zusperren.“ Dazu muss man wissen: Der schneesichere Ort Balderschwang, mit 1044 Meter über dem Meeresspiegel Bayerns höchstgelegene Gemeinde, lebt zu 90 Prozent vom Wintertourismus.

    Im Gegensatz zu Österreich geraten in Bayern Naturschützer und Liftbetreiber häufiger aneinander. Huber, der schon zu Zeiten als aktiver Skirennläufer mit der Dominanz aus dem Nachbarland zu kämpfen hatte, beklagt, dass dort der Konflikt nicht so ausgeprägt ist. „Der Skitourismus ist da die Nummer eins. Darauf wird alles abgestellt. Es gibt sogar einen eigenen Steuersatz für Skirennläufer.“

    Bauernweisheiten zum Wetter

    Hat der November einen weißen Bart, wird der Winter lang und hart.

    Ist es um Martini trüb, wird der Winter lind und lieb.

    Auf kalten Dezember mit tüchtigem Schnee folgt fruchtbar Jahr mit reichlich Klee.

    Weihnacht im Schnee – Ostern im Klee.

    Am Neujahrstage Sonnenschein lässt das Jahr uns fruchtbar sein.

    Ist Dreikönig hell und klar, gibt's guten Wein im neuen Jahr.

    Wenn's zu Lichtmess stürmt und schneit, ist der Frühling nicht mehr weit.

    Hat der Valentin Regenwasser, wird der Frühling noch viel nasser.

    Regnet es zu St. Nicolaus wird der Winter streng und graus.

    Ist der Januar feucht und lau, wird das Frühjahr trocken und rau.

    Der Januar muss vor Kälte knacken, wenn die Ernte soll gut sacken.

    Wenn im Februar die Mücken schwärmen, muss man im März die Ohren wärmen.

    Gibt es Fastnacht viele Sterne, legen auch die Hühner gerne.

    Hüpfen Eichhörnchen und Finken, siehst du schon den Frühling winken.

    Wenn am Dach hängen gefrorene Spitzen, dann ist gut beim Ofen sitzen.

    Wenn es nicht wintert, so sommert es nicht.

    Entsteigt der Rauch gefror'nen Flüssen, so ist auf lange Kälte zu schließen.

    Donnert's durch den kahlen Wald, wird's noch einmal bitterkalt.

    Das gibt es in Bayern sowieso nicht. Seit 25 Jahren wurde hier auch kein neues Skigebiet mehr ausgewiesen. Doch im Freistaat hat die Politik inzwischen begriffen, dass die heimischen Winterressorts zumindest ein wenig Unterstützung benötigen, wenn sie halbwegs konkurrenzfähig bleiben sollen. Mit bis zu 30 Prozent der geplanten 25 Millionen Euro Investitionen würde beispielsweise ein Ausbau der Anlagen am oberbayerischen Sudelfeld staatlich bezuschusst. Trotzdem ist dort das Projekt aufgrund des Widerstands von Naturschützern höchst umstritten. Die nur 80 Kilometer von München entfernte Skiregion oberhalb von Bayrischzell will gewaltig aufrüsten. Das

    Dagegen sind der Bund Naturschutz, der Deutsche Alpenverein, die Naturfreunde und vier weitere Alpen- und Naturschutzverbände. Diese machten im Frühjahr durch eine spektakuläre Aktion auf sich aufmerksam. An einem Sonntagmorgen schlichen sich Aktivisten ins Skigebiet Sudelfeld. Kurz darauf stand in riesigen blauen Buchstaben auf der Piste die Botschaft: „15000 Quadratmeter Wahnsinn“. So groß soll der Speichersee werden.

    Für Hubert Weiger, Vorsitzender des Bundes Naturschutz, ist die Lage klar: „Mit 250 Strom fressenden Schneekanonen und einem riesigen Beschneiungssee gegen den Klimawandel anzukämpfen, ist kontraproduktiv und sinnlos.“ Die Bergbahnen Sudelfeld verweisen auf die Bedeutung des Ausbaus für die Tourismuswirtschaft. Sprecher Harald Gmeiner wiederholt seine Argumente gebetsmühlenartig: „Das Skigebiet existiert seit 1948. Wir müssen modernisieren, das erwarten unsere Gäste.“

    Die blieben zuletzt aus. Um die Hälfte sind die Übernachtungszahlen in Bayrischzell im Vergleich zu guten Zeiten gesunken. In den kommenden Wochen steht ein Erörterungstermin im Landratsamt an. Falls das Projekt dann genehmigt wird, könnte im Frühjahr mit den Bauarbeiten begonnen werden.

    Schneekanonen im Oberallgäu

    Im Vergleich zu Oberbayern spielt das umstrittene Thema Schneekanonen im Oberallgäu kaum mehr eine Rolle. Landrat Gebhard Kaiser hat sich schon vor vielen Jahren für sie starkgemacht, inzwischen sieht auch mancher Kritiker die Notwendigkeit für den Einsatz solcher Geräte. Davon profitiert hat unter anderem ein Ort wie Oberstaufen. Die Gemeinde hat sich im Laufe der Zeit durch innovative Ideen unter Deutschlands Skigebieten weit nach vorne geschoben. In diesem Jahr wurden wieder acht Millionen Euro für eine neue Achter-Kabinenbahn am Hündle ausgegeben. Sie bietet den Gästen sogar eine Sitzheizung.

    Noch sieht alles nach Baustelle aus. Bagger und Raupen glätten draußen den in der Kälte dampfenden frischen Humus. Die Talstation muss ebenfalls noch fertiggestellt werden. Doch spätestens zum Saisonauftakt kurz vor Weihnachten wird die Anlage funktionieren, verspricht Andrea Presser vom Tourismus-Büro in Oberstaufen. Alles andere käme einer kleinen Katastrophe gleich. Der 7200-Einwohner-Ort in der Nähe von Immenstadt lebt schließlich vom Fremdenverkehr. Die Zahl der Übernachtungen stieg in den letzten Jahren auf 1,3 Millionen pro Jahr.

    "Duz-Dorf" Oberstaufen

    Das „Haus des Gastes“. Schon beim Betreten fallen einem Fußspuren am Boden mit den Aufdrucken „Du“ und „Sie“ auf. Sie zeigen den Touristen, wie sie am Schalter angesprochen werden – förmlich oder salopp. Als „Duz-Dorf“ hat die Gemeinde bundesweit Schlagzeilen gemacht.  Es gibt hier außerdem das Angebot „Oberstaufen plus“. 300 Hotels und Pensionen haben sich zusammengeschlossen und bieten dem Gast bei Buchung eines Zimmers automatisch eine kostenlose Fahrt mit den Bergbahnen und Skiliften, freien Eintritt ins örtliche Erlebnisbad und vieles mehr. Presser ist stolz darauf.

    In Oberstaufen, sagt sie, hätten die Verantwortlichen immer schon sehr visionär gedacht. So wurde in der Gemeinde die erste Beschneiungsanlage bereits 1996 in Betrieb genommen. Und vor sieben Jahren wurden in dem durch seine Schrothkuren bekannt gewordenen Ort zwei Skigebiete zusammengeschlossen und komplett mit Schneekanonen bestückt. „Seitdem boomt es“, sagt Andrea Presser mit den strahlenden Augen einer PR-Frau. Aber, fügt sie hinzu, man dürfe sie nicht falsch verstehen: „Wir wollen die Saison nicht ausweiten. Es soll nur sichergestellt werden, dass man in der Zeit zwischen Weihnachten und Ostern auch Skifahren kann.“

    Berni Huber sieht das genauso. „Ich weiß, dass die Berge unser Kapital sind. Natürlich wollen wir die nicht kaputt machen“, sagt er und blickt nachdenklich den Grashang zum Riedberger Horn hinauf. „Aber ohne künstliche Beschneiung können wir alle einpacken.“

    Das hat er im vergangenen Jahr auch Grünen-Chefin Claudia Roth erzählt, als er sie zufällig samt Skilehrer in Grasgehren traf. Huber findet die in Babenhausen bei Memmingen aufgewachsene Politikerin durchaus sympathisch, weil sie Urlaub in der Heimat macht. „Schaun S’, Frau Roth“, habe er schmunzelnd zu ihr gesagt. „Ohne Schneekanonen könnten Sie jetzt hier nicht Ski fahren.“ Da habe Roth freundlich genickt und geantwortet: „Bei Ihnen hier, Herr Huber, sieht man ja, dass es auch im Einklang mit der Natur geht.“

    Da grinst der frühere Abfahrer, und seine Augen wandern wieder den Hang hinauf, dorthin, wo er gerne gebaut hätte.

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