Vom Nobelkurort der Mächtigen zur Schicksalsstätte der CSU zum Wellness-Tempel: Dem traditionsreichen Wildbad Kreuth, wo dereinst sogar russische Zaren mit ihren Familien Erholung suchten und später die CSU ihre winterliche Trutzburg errichtete, steht ein Neuanfang ins Haus. An diesem Donnerstag kommen im Gemeinderat in Kreuth die Pläne der Eigentümerin Helene Herzogin in Bayern auf den Tisch. Die Wittelsbacherin will die in die Jahre gekommene Tagungsstätte unterhalb der oberbayerischen Blauberge zu einem Luxushotel umbauen. Dass sich dafür Journalisten aus ganz Deutschland interessieren, hat einen einfachen Grund: Es sind die alten Geschichten vom "Kreuther Geist", vom polternden Franz Josef Strauß, der die CSU im Jahr 1976 auf ganz Deutschland ausdehnen wollte, und vom Sturz Edmund Stoibers, dem die CSU-Landtagsfraktion im Jahr 2007 in einer "Nacht der langen Messer" politisch den Garaus machte.
Wildbad Kreuth: Mythos und Realität sind längst nicht mehr zu trennen
Das Schöne an diesen Geschichten ist, dass Mythos und Realität längst nicht mehr zu trennen sind. Das beginnt schon mit der damals angeblich einzigen Telefonzelle in Kreuth, von der aus die politischen Berichterstatter im November 1976 die Sensationsnachricht in die Welt transportieren wollten, dass CSU-Chef Strauß von der CDU und ihrem Vorsitzenden, dem späteren Bundeskanzler Helmut Kohl, die Nase voll hat. Jeder wollte der Erste sein, aber Handys oder Laptops gab es damals noch nicht. Und wenn die Reporter-Veteranen von einst über das Gerangel an der Telefonzelle berichten, dann klingt das wie "der Opa erzählt vom Krieg".
Die Meldung vom Trennungsbeschluss – also der Aufkündigung der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU im Bundestag – stürzte die Schwesterparteien in ihre bis dahin größte Krise. Und auch wenn Strauß wenig später klein beigeben musste – der Mythos vom "Kreuther Geist" war nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Jahr für Jahr pilgerten Heerscharen von Journalisten Anfang Januar zu den Klausuren von Landesgruppe und Landtagsfraktion in das Hochtal über dem Tegernsee und die CSU nutzte die prächtige Winterkulisse, um Deutschland mit ihren politischen Botschaften zu beglücken.
Wirklich zur Sache freilich ging es erst wieder 31 Jahre später, im Januar 2007. Ministerpräsident und CSU-Chef Edmund Stoiber war mächtig unter Druck geraten. Sein Sparkurs in Bayern, sein Führungsstil, sinkende Umfragewerte und zuletzt die Affäre um die CSU-Rebellin und "schöne Landrätin" Gabriele Pauli hatten seine Autorität zerbröseln lassen. Bei der Landesgruppen-Klausur stellten sich die Bundestagsabgeordneten noch hinter ihn. Die Landtagsfraktion aber machte ihm nächtens, bei Bier, Wein und Schnaps klar, dass sie lieber mit dem Führungsduo Günther Beckstein und Erwin Huber weitermachen will. Die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer, dieses Mal direkt aus der Klausur heraus per SMS. Unmittelbar nach der Klausur kündigte Stoiber in München den Rücktritt von seinen Ämtern an. In den Jahren danach verblasste der Mythos vom "Kreuther Geist".
Gemeinderat debattiert über die Bauvoranfrage der Herzogin
Die letzten CSU-Winterklausuren in Wildbad Kreuth fanden im Jahr 2016 statt, nachdem sich die Herzogin und die CSU-nahe Hanns-Seidel-Stiftung, die das Tagungshaus 40 Jahre lang gepachtet hatte, über den Pachtzins nicht mehr hatten einigen können. Wie geht es nun weiter? Am Donnerstagabend wird der Kreuther Gemeinderat zunächst nur über eine Bauvoranfrage der Herzogin debattieren. Es geht dabei im Groben darum, ob baurechtlich etwa landwirtschaftliche Gebäude einer Wohnnutzung zugeführt werden können. "Als Gemeinde ist uns wichtig, dass in die historischen Gebäude, die ja nun leer stehen, wieder Leben einkehrt", sagt Kreuths Bürgermeister Josef Bierschneider. Eine Hotelnutzung wäre da ganz im Sinne der Kommune.
In Wildbad Kreuth sollen die bisher eher schlichten 129 Gästezimmer in 65 hochwertige umgebaut werden. Zudem sind etwa Schwimmbäder, Saunen und eine hochklassige Gastronomie geplant. Die Arbeiten könnten, wie die Herzogin verlautbaren ließ, 2020 beginnen und sollen dann etwa 2024 abgeschlossen sein.