Der bekannte, warme Ton der Berge kommt aus einer kleinen Schreinerei. In kurzer Jeans und blauem Hemd steht Herbert Wechs da. Um ihn herum Holz und jede Menge Werkzeug. Doch dafür hat der 75-Jährige jetzt keinen Blick. Konzentriert ist er. Beide Hände umschließen das lange, am Becher mit Alpenblumen fein verzierte lange Holzrohr. Die Lippen sind am Mundstück. So bläst er. Denn er kann ihn perfekt, den Alphorn-Ruf, den "Hirtajuz" und "dr Rüezler". Josef und Elfie Schmid und Fritz Schwärzler stehen neben ihm. Auch vor ihnen liegen Alphörner. Aber sie sind noch Anfänger. Es ist erst ihre dritte Unterrichtsstunde. Doch ihr Ziel ist klar: So wunderbar spielen wie Herbert Wechs, der schwärmt: "Das Alphorn ist ein Instrument, da kann man träumen."
Die Musik liegt in der Familie
Dabei kann Herbert Wechs nicht nur Alphorn spielen, sondern sie auch bauen. Der Name Wechs steht aber für noch mehr. Hier ist es seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts einer Allgäuer Familie gelungen, die Liebe zur Musik von Generation zu Generation weiterzugeben. Und zwar in den verschiedensten Formationen. Leitete Wendelin Wechs um 1900 "nur" den Kirchenchor in dem herrlichen Örtchen Hinterstein, das zu Bad Hindelang gehört, gründete dessen Sohn Adalbert um 1925 schon die erste Jodlergruppe. So ging das weiter mit dem Singen und Spielen auf verschiedenen Blas- und Saiteninstrumenten.
Ab 1960 dann baute Herbert Wechs mit seinem Bruder Albert nicht nur Alphörner, sie spielen sie seitdem auch. Und bis heute sind die Wechs’schen Familienmitglieder jeden Alters in den verschiedensten volksmusikalischen Gruppen zu hören und längst bekannt weit über das Allgäu hinaus. Für dieses außergewöhnliche Engagement erhält die Familie nun am Sonntag vom Bezirk Schwaben die "Schwäbische Nachtigall".
Volksmusik als Tradition im Bergdorf Hinterstein
Denn diese Familie pflegt bewusst Tradition. Dies wird im Gespräch mit Herbert Wechs, seinem Sohn Stefan und dessen Frau Sonja schnell klar. Mit dem "Hollaria ho im Fernsehen", sprich der volkstümlichen Musik, hat die Familie Wechs, wie sie selbst betont, nichts zu tun. Auch wenn der Grad manchmal schmal sei, der beides unterscheidet, "uns geht es um die unverfälschte Volksmusik", erklärt Stefan Wechs, der selbst Kontrabass spielt und als Schreiner in die Fußstapfen seines Vaters getreten ist und hobbymäßig ebenfalls Alphörner baut. "Der Volksmusikant lässt sich nicht verbiegen", betont er.
Dass aber gerade in dem etwa 5000 Einwohner zählenden Bergdörfchen Hinterstein so fleißig gejodelt und musiziert wird, hat auch seinen Grund: "Wir hier im Ostrachtal verfügen über ein Liedgut, um das uns Jodlergruppen in ganz Bayern beneiden", sagt Stefan Wechs. Woraufhin sein Vater nur nickt. Hinzu komme, dass die Lage von Hinterstein zu einer gewissen Eigenständigkeit, zu einem besonderen Zusammenhalt führe. Umgeben von hohen Bergen, Bäumen und Bächen endet das Tal hier. Wer nicht die Wanderschuhe schnürt und über die Berge klettert, kommt in dieser Idylle nicht weiter.
Und wer hier geboren wird, bildet offensichtlich tiefe Wurzeln. So zumindest beschreibt es Claudius, der Sohn von Stefan und Sonja Wechs. Der 25-Jährige wohnt nicht nur mit Frau und Töchterchen Magdalena im elterlichen Haus und jodelt seit seinem 17. Lebensjahr begeistert mit seiner Familie mit, ihn hat es vor allem ein Instrument von Kindesbeinen an angetan: die steirische Harmonika. Sie studierte er in Salzburg und ist heute Lehrer an der Sing- und Musikschule Westallgäu. War denn nie der Wunsch da, die Heimat zu verlassen? Nein, nie. Im Gegenteil. Schon als Student sei er regelmäßig nach Hause gefahren, weil dort nicht nur seine Familie wartete, sondern er auch seine Freunde sehen wollte. Das Vereinsleben werde in Hinterstein noch gepflegt. Feuerwehr. Bergwacht. Und natürlich die verschiedenen Musikgruppen, da treffe man sich ständig.
Warum das Interesse an Volksmusik auch unter jungen Leuten wächst
Und mit seiner Liebe zur steirischen Harmonika ist Claudius Wechs auch schon lange nicht mehr allein. "Die steirische Harmonika erlebt einen richtigen Boom", sagt er. In allen Altersgruppen habe er Schüler. Tendenz steigend. Wie das? Das Instrument sei für Kinder relativ leicht zu erlernen und biete schnell die Möglichkeit, schöne Melodien zu spielen. Doch, wie schafft man es als Eltern überhaupt, in seinen Kindern die Leidenschaft für Volksmusik zu wecken? "Das muss man vorleben", sagt Stefan Wechs. Das kann Herbert Wechs nur bestätigen. "Unser Vater war ein begeisterter Musiker", beginnt er zu erzählen. Jeder der vier Söhne durfte ein Instrument lernen. Früher sei es selbstverständlich gewesen, dass man sich nach der Arbeit gemeinsam auf die Bank gesetzt und gesungen hat. "Fernseher hat es ja damals noch nicht gegeben."
Doch gerade heute, in einer Zeit, in der längst nicht mehr der Fernseher, sondern vor allem das Internet viele Menschen fesselt und sie mit der ganzen Welt verbindet, wächst nach Beobachtung von Stefan und Sonja Wechs die Sehnsucht nach einer Beschäftigung, "die erdet". So ist ihrer Ansicht nach auch das wachsende Interesse gerade junger Leute für Volksmusik, für Tracht, für Heimat zu erklären. Hinzu kommt die Stressreduzierung: "Musizieren hat etwas Meditatives", beschreibt Sonja Wechs die Wirkung. "Da taucht man ein und kann total abschalten."
Doch für die echte Volksmusik braucht es nach Einschätzung von Herbert Wechs mehr: "Da muss man hineingeboren werden." Und seine Schwiegertochter, die Harfe und Hackbrett spielt, ergänzt: "Das Herz muss mit dabei sein. Wenn wir musizieren, spürt man, wo man hingehört." Daher werde auch der Dialekt so gepflegt. Und wenn Herbert Wechs auf den Bergen steht und die warmen Töne seines Alphorns hören lässt, trägt er natürlich keine Jeans, sondern Tracht.