Von Anna Fessler Kempten Ein paar dünne Sträßchen voller Schlaglöcher, am Rand ein paar zerfallene Häuser und irgendwann nur noch ein zugewachsener Feldweg. Dann geht es in den Wald. Nach einigen Hundert Metern taucht plötzlich hinter einer alten Scheune ein Wohnwagen auf. Abgestellt in einer Kurve, befestigt mit ein paar Steinen.
Es ist nicht einfach, Ulrich Weiner zu finden. Seit mehr als fünf Jahren ist der nur einige Quadratmeter große Anhänger mitten im Nirgendwo sein Zuhause. Doch nicht, weil der 31-Jährige von der Zivilisation die Nase voll hat und sich allein in der Natur zurückziehen will.
Nein, Weiner leidet an hochgradiger Elektrosensibilität, so die Diagnose der Uniklinik Freiburg. Das heißt, wenn immer er Strahlungen ausgesetzt ist, sei es Mobilfunk oder Ähnliches, rebelliert sein Körper. "Ich bekomme Kopfschmerzen, Sehstörungen, Herzrhythmusstörungen, Durchfall und muss erbrechen", zählt der Mann auf. Deshalb zieht er sich an Orte zurück, die im sogenannten Funkloch liegen. Einer seiner Plätze ist das Kreuzthal bei Kempten. Hier lebt er - und kämpft gegen Mobilfunk.
Dabei hat seine Geschichte eigentlich ganz anders angefangen. Denn schon von klein auf faszinierte ihn jegliche Art von Technik, vor allem die Funkerei. Als kleiner Bub waren ihm die Steckdosen in der Kirche wichtiger als die Taufe seines Bruders.
Mit zwölf Jahren montierte er sich an sein Fahrrad ein Funkgerät in der Größe eines Schuhkartons. In seiner Nachbarschaft war er nur als Funk-Uli bekannt. Nach der Schule absolvierte Weiner eine Ausbildung zum Kommunikationstechniker mit Fachrichtung Funktechnik. Danach machte sich der gebürtige Augsburger selbstständig. Mit 20 Jahren leitete er eine eigene Firma mit 20 Mitarbeitern. Eine Erfolgsgeschichte: Weiner ist viel unterwegs, berät Kunden, arbeitet hart. Sein Beruf macht ihm Spaß. Doch dann plötzlich bricht der damals 25-Jährige zusammen. Rasende Kopfschmerzen, Sehstörungen, Herzrhythmusstörungen.
Eine Odyssee von Arztbesuchen beginnt. Doch zuerst kann keiner ihm helfen. Weiner fängt an, sich zu informieren, spricht mit einer Vielzahl von Experten und sucht selbst nach den Ursachen. "Irgendwann habe ich gemerkt, dass es da einen Zusammenhang gibt. Denn wann immer ich mich in sogenannten Funklöchern aufhielt, ging es mir relativ schnell wieder gut", erinnert er sich. Immer öfter zieht er sich an solche Orte zurück. "Zuerst habe ich gedacht, ich bilde mir das alles ein", erzählt er. Doch immer wieder bricht er zusammen. "Die Ärzte fanden nichts, ich war körperlich gesund", sagt er. Weiner hält es nicht mehr in seiner Wohnung in Augsburg aus und flüchtet in spärlich besiedelte Gebiete. Wie in das Kreuzthal, in die Berge bei Bad Tölz oder in den Schwarzwald.
Eigentlich war die Flucht in die Wälder als Zwischenlösung gedacht, doch seit dem sind mehr als fünf Jahre vergangen und noch immer lebt Ulrich Weiner im Wohnwagen zwischen Bäumen und Sträuchern. Und er hat sich gut organisiert. Seinen Lebensunterhalt finanziert er aus Rücklagen. In seiner Zeit als Unternehmer habe er gut verdient, so Weiner. "Außerdem bringen mir oft die Menschen, die mich besuchen, mit, was ich zum Leben brauche", und viel sei das ja nicht. Etwas zu essen, Gas für seine Camping-Heizung. Er ist in ein gut funktionierendes soziales Netz eingebunden. "Klar denken oder sagen manche, der ist doch verrückt. Aber das macht mir nichts", sagt Weiner selbstbewusst. Das kommt vor allem vor, wenn er im Strahlenanzug in der Öffentlichkeit auftritt. Den hat er sich zugelegt, wenn er doch ab und zu den Wald verlässt. Dann hält er Vorträge in Schulen oder vor Ärzten. Er fordert unter anderem, dass Wohnhäuser frei von Strahlungen sein sollten. Außerdem unterstützt er Bürgerinitiativen, die sich beispielsweise gegen den Bau von Mobilfunkmasten engagieren. Seine Tage sind voller Arbeit, auch wenn er sie in Abgeschiedenheit verbringt. Am PC - der mit Solarstrom läuft - beantwortet er Emails, bereitet Vorträge vor, kämpft. Im Wohnwagen mitten im Wald.