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Streifzug: Wem gehört eigentlich die Natur?

Streifzug

Wem gehört eigentlich die Natur?

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    Der Wald muss jünger werden, sagt Hubert Droste, der den Forstbetrieb in Zusmarshausen leitet.
    Der Wald muss jünger werden, sagt Hubert Droste, der den Forstbetrieb in Zusmarshausen leitet. Foto: Marcus Merk

    Ein leichter Wind streicht durch die Kronen alter Buchen. Ein paar Frauen sind an diesem Morgen mit ihren Wanderstöcken unterwegs, hier im Waldgebiet „Horn“ nahe Zusmarshausen. Als ihre Schritte verhallt sind, ist nur noch das Zwitschern der Vögel zu hören, sonst ist Ruhe. Und der Wald ein Erholungsraum, ein Glücksort. „Erst unterm Blätterhimmel“, schrieb der Romantiker Ludwig Tieck, „wird der Mensch zum Menschen.“ Nach einer neuen Umfrage der Bundesregierung gehört für 94 Prozent der erwachsenen Deutschen die Natur zu einem guten Leben. Doch wem wiederum gehört diese Natur? Den Menschen? Den Tieren? Oder sollte sie einfach sich selbst überlassen sein?

    Was wäre, wenn sich die 1,2 Millionen Rehe oder die 600.000 Wildschweine, die jedes Jahr in Deutschland geschossen werden, zusätzlich ausbreiten würden? Welche Folgen hätte es, wenn Wolf und Luchs wieder durch heimische Wälder streifen? Warum wird die Gams hoch in den Alpen derart bekämpft und bereits ihr Aussterben befürchtet? Antworten auf diese komplexen Fragen sucht der Dokumentarfilm „Auf der Jagd – Wem gehört die Natur?“, der am 10. Mai in die Kinos kommt. Mit eindrucksvollen Tier- und Landschaftsaufnahmen macht sich Regisseurin und Autorin Alice Agneskircher auf einen spannenden Waldspaziergang. Sie lässt Jäger, Forstbeamte, Landwirte, Wildbiologen und Tierschützer zu Wort kommen – mit völlig unterschiedlichen Ansichten. Und sie stellt den Konflikt zwischen Jagd und Forst in den Mittelpunkt: den erbitterten Streit über Abschusszahlen des Wildes.

    Sie hat sich schon immer für Dinge interessiert, „die ich nicht so kenne“, sagt Alice Agneskircher. Und sie hat bei ihren Recherchen erhebliche Vorurteile gegenüber der Jägerschaft gespürt. Ist es wirklich nur die Lust am Töten, der Trophäenkult, was die 384.000 Jäger in Deutschland raus ins Revier treibt? Oder gäbe es den Artenreichtum überhaupt, wenn es sie nicht gäbe? „Wo stehen wir in der Natur, die der Mensch so verändert hat“, fragt Agneskircher. „Wer gibt uns das Recht, wilde Tiere zu töten? Oder wer sagt uns, dass es unrecht ist?“ Welche Konsequenzen hat es für das Wild, wenn es permanent auf einer von Menschen genutzten Fläche lebt und es nur dort geduldet wird, wo es keinen Schaden anrichtet?

    Muss mehr Wild geschossen werden?

    Der Staatsforst etwa dringt seit Jahren auf einen hohen Rehwildabschuss, um Verbissschäden zu minimieren und den Umbau des Waldes naturnah und standortgerecht voranzubringen. Die Jäger wiederum, die in der Regel eine hohe Pachtgebühr für ihre Reviere zahlen, wollen mehr Rehe sehen und weniger erlegen. Es ist seit langem ein Glaubenskrieg unter den Grünröcken. Agneskircher spricht von einem „Politikum“, das ihr Film thematisiert.

    Zurück in Zusmarshausen im Landkreis Augsburg. Forstbetriebsleiter Hubert Droste sieht eine positive Entwicklung. Der Wald werde gerade großflächig verjüngt, „doch wir sind bei weitem noch nicht am Ziel“, sagt er. Im Bereich des Forstbetriebs Zusmarshausen mit einer Waldfläche von 14.000 Hektar liege der Anteil der Fichte derzeit noch bei 60 Prozent. „Wir wollen unter 50 Prozent kommen, weil die Fichtenreinbestände vor dem Hintergrund des Klimawandels nicht stabil sind.“ Also müssten verstärkt andere Baumarten wie etwa Laubhölzer, Tanne oder Douglasie gepflanzt werden. Das funktioniere bei der Buche inzwischen gut. Für Tanne oder Eiche seien jedoch mittelfristig Maßnahmen wie Einzelschutz oder Zäune erforderlich. Das Dilemma: Vor allem diese Bäume sind für die Rehe attraktiv – sie ziehen sie geradezu magisch an. Droste: „Es gibt immer noch Waldflächen, auf denen wir intensiv jagen müssen.“

    Das Wild ist nicht weniger geworden

    Der Eindruck, das Wild sei weniger geworden, stimme nicht, sagt Droste. „Die Rehe müssen jedoch nicht mehr aus der Deckung raus auf die Felder, weil sie im Wald ein üppiges Äsungsangebot finden.“ Dem Vorwurf, der Staatsforst wolle das Rehwild ausrotten, widerspricht Droste vehement. „Wir wollen einen naturnahen Mischwald mit Wild.“ Und dieser Wald sei bunter, gemischter und in der Artenvielfalt reicher geworden.

    Wir müssen den Lebensraum für das Wild verbessern, sagt Richard Kraus. Der 58-Jährige geht seit 1981 auf die Pirsch und ist Pächter zweier insgesamt 1250 Hektar großer Reviere in Fronhofen-Thalheim (Kreis Dillingen) und Untermagerbein (Kreis Donau-Ries). Eine immer intensiver werdende, moderne Landwirtschaft schaffe Zwänge, sagt er. „Deshalb müssen wir etwa Blüh- oder Ackerlandstreifen anlegen“ – ein Nahrungsangebot für das Wild, der Verbissdruck im Wald wird damit verringert.

    Die Natur, betont Kraus, gehöre allen, die verantwortungsvoll damit umgehen. „Solange die Balance da ist, bei der jeder auf den anderen Rücksicht nimmt, gibt es kaum Probleme.“ Die Jäger seien nur ein Teil der Naturnutzer. „Sie sind heute hervorragend ausgebildet“, sagt Kraus, der auch Hege-Ring-Leiter im Kesseltal ist. „Doch zur Jagd gehört auch das Töten des Wildes. Und das wird manchmal kritisch gesehen.“

    Im Wald fühlt sich der Mensch wohl.
    Im Wald fühlt sich der Mensch wohl. Foto: Marcus Merk

    Kraus will etwas für die Natur tun und nimmt derzeit an einem Pilotprojekt in fünf bayerischen Revieren teil. Im Kesseltal werden 100 Fasane ausgesetzt, die in der Landesjagdschule in Wunsiedel aufgezogen wurden. Tiere, die in unserer Kulturlandschaft kaum noch zu beobachten sind. Um dieses Niederwild zu schützen, sei jedoch eine intensive Raubwildbejagung zwingend erforderlich.

    „Warum machst du das?“, würden Jäger immer wieder gefragt, sagt Moritz Fürst zu Oettingen-Wallerstein. Die Antwort laute klipp und klar: „Wir schaffen eine gesunde Ausgewogenheit zwischen Wald und Wild und schützen damit unser Eigentum an Grund und Boden; wir liefern heimisches Wildbret als Lebensmittel und wir sichern die Lebensgrundlage von Flora und Fauna.“

    Der Fürst, selbst passionierter Jäger und in Schloss Hohenaltheim (Kreis Donau-Ries) zu Hause, war stets einer, der Kritik an hohen Abschusszahlen übte. „Wenn es kein Wild mehr gäbe, wird es möglicherweise auch keine Verbissschäden an den Bäumen geben.“ Aber dann, fügt er hinzu, würden wohl andere Faktoren dem Wald zusetzen. „Wenn wir als Jäger gar nichts tun, helfen wir keinem.“ Der Adelige hat sich stets dagegen gewehrt, das Wild als Schädling zu bezeichnen. „Das ist Unsinn.“

    Forstwirte und Jäger arbeiten zusammen

    Bayerns Jägerpräsident Jürgen Vocke spricht von einem „aktiven Naturschutz“, den Jäger gemeinsam mit Land- und Forstwirten leisten. Wer legt denn die Biotope an? Wer reduziert die Wildschwein-Bestände, wenn Rotten wieder enorme Schäden anrichten? Wer hält den Fuchs kurz, um Fasan, Rebhuhn und Hase zu retten? Der Stellenwert der Jagd sei nicht hoch genug einzuschätzen, sagt Vocke.

    Wem also gehört die Natur wirklich? Die Mischwälder aus Laub- und Nadelbäumen sind Ausgleichs-, Erholungs- und Ruheraum für Menschen und gleichermaßen Lebensraum für Tiere und Pflanzen. „Die Ansprüche der Gesellschaft an den Wald haben sich geändert“, sagt Förster Hubert Droste. Nach dem Motto: Der Wald gehört dem Bürger. Doch die Erholungsfunktion, die zugleich wichtiger Tourismusfaktor ist, erhöhe selbstverständlich den Druck auf Natur- und Kulturlandschaft, so Moritz Fürst zu Oettingen-Wallerstein. Mountainbiker, die sich im Wald illegal ihre Strecken bauen, Geocatcher, die im grünen Tann auf Schatzsuche gehen, Jogger, die auch in der Dunkelheit ihre Runden im Forst drehen – „es gibt durchaus Konfliktbereiche“, sagt Förster Droste. „Es ist auch rechtlich gesehen ein schwieriges Feld.“

    Der Wald gehört allen: den Jägern, den Förstern, den Sportlern und den Spaziergängern.
    Der Wald gehört allen: den Jägern, den Förstern, den Sportlern und den Spaziergängern. Foto: Marcus Merk

    Oder gehört am Ende die Natur gar einem, der sich gerade sein Territorium zurückerobert? Der Wolf ist zurück. 60 Rudel, 13 Paare und drei Einzeltiere wurden im vergangenen Jahr deutschlandweit gezählt, die meisten davon in Brandenburg. Doch auch Bayern ist inzwischen potenzielles Wolf-Zuwanderungsland. Das schlaue, scheue Tier ist in Europa streng geschützt und darf nicht geschossen werden. Vor diesem Hintergrund entbrannte ein heftiger Streit, wie man dem Großräuber begegnen soll. Ist er ein ernsthafter Konkurrent für die Jäger, weil er in ihren Revieren auf Beutezug nach Hirsch, Reh und Gams geht? Ist er eine erhebliche Gefahr für die Bauern, weil er Kälber und Schafe reißt – wie jetzt im Schwarzwald, wo er in einer Herde 43 Tiere tötete?

    Oder ist der Wolf etwa gar nicht so böse und sollte in unseren Wäldern Lebensraum und Heimat finden? Hubert Droste hat erhebliche Zweifel. „Wir dürfen in unserer Kulturlandschaft nicht meinen, der Wolf werde isoliert nur im Wald bleiben. Das wäre ein Irrglaube.“ Der Räuber brauche eine echte Wildnis. Jägerpräsident Jürgen Vocke drückt es drastischer aus. Er hält nichts von einer Willkommenskultur für Meister Isegrim und sagt: „Viele werden sich wundern, wenn der Wolf kommt.“

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