Bis zum Jahr 2020 wollen Wissenschaftler und Unternehmen in einem gemeinsamen Forschungsprojekt eine mangelhaft erforschte Umweltfrage aufklären: Wo bleibt das abgefahrene Profil alter Autoreifen? Bei der Münchner Umwelttechnologiemesse Ifat werden Forscher der federführenden TU Berlin vom 14. bis 18. Mai vorstellen, wie sie dem Reifenabrieb nachspüren. "Es geht darum, zu verstehen, wo mehr oder weniger Reifenabrieb anfällt und wie der überhaupt entsteht", sagt Daniel Venghaus von der Fakultät Planen Bauen Umwelt. Die Ifat ist mit 3300 Ausstellern die größte Messe der Umweltbranche in Deutschland.
Denn Abrieb bleibt nicht auf der Straße: Bei Regen werden die Partikel in die Kanalisation oder über den Straßenrand in die Umgebung gespült.
"Im städtischen Umfeld macht der Reifenabrieb im Vergleich zum Littering - Plastikflaschen, -tüten und Kaffeebecher etc. - sogar den größeren Anteil der kleinen Partikel aus", sagt Regina Gnirss, Leiterin von Forschung und Entwicklung der Berliner Wasserbetriebe, die das Forschungsprojekt mit angestoßen haben.
"Die Mengen an Reifenabrieb und der Eintrag in die aquatische Umwelt über den Straßenabfluss sind bisher noch nicht näher betrachtet worden", sagt Gnirss. Gefördert wird das 2017 gestartete Projekt "Reifenabrieb in der Umwelt" vom Bund.
Bislang gibt es eine Schätzung der Bundesanstalt für Straßenwesen aus dem Jahr 2010, wonach jährlich 111.000 Tonnen Reifenabrieb auf der Straße landen. Ein Reifen besteht keineswegs nur aus Gummi - enthalten sind verschiedene Arten von Kunststoffen ebenso wie Metalle, vor allem Zink.
Die Berliner Wissenschaftler werden auf der Ifat einen "Probenahme-Korb" für Gullys präsentieren. "Die Körbe werden an ausgewählten Messpunkten eingesetzt", sagt Venghaus - etwa an Kreuzungen mit und ohne Ampeln oder einer Autobahn.
"Mindestens 99 Prozent des Mikroplastiks landen dann im Klärschlamm"
Kanalisation ist nicht gleich Kanalisation. Es gibt Mischwassersystem und Trennsystem. Trennsystem bedeutet, dass Regenwasser und Abwasser getrennt abfließen - das Regenwasser wird oft direkt in Gewässer geleitet. Im Mischwassersystem fließt Regenwasser dagegen zusammen mit dem Abwasser aus Wohn- und Bürogebäuden in einem einzigen Kanalsystem in die Kläranlage.
Dort wird in der Regel auch der Reifenabrieb zum allergrößten Teil ausgefiltert. "Mindestens 99 Prozent des Mikroplastiks landen dann im Klärschlamm", sagt Gnirss. Aber eben nicht immer: "Bei starken Regenfällen kommt es aber auch im Mischwassersystem - im Stadtzentrum - zum Überlauf, so dass der Schmutz von der Straße direkt in die Gewässer gespült wird und nicht in die Kläranlage gepumpt wird", sagt Gnirss.
Von Seiten der Industrie ist unter anderem der Autozulieferer Continental an dem Projekt beteiligt. "Unser Beitrag besteht zum einen darin, Abrieb in unterschiedlichen Settings - sowohl im Labor als auch auf Teststrecken - zu generieren und für Pilotversuche der Testpartner bereitzustellen", sagte eine Sprecherin.
Für Reifenhersteller gibt es einen unvermeidlichen Zielkonflikt zwischen Fahrsicherheit und Umweltschutz: "Eine gute Haftung ist die Hauptfunktion des Reifens. Daher werden wir Reifenabrieb zwar in gewissem Maße optimieren, aber nicht verhindern können", sagt die Continental-Sprecherin.
Um die Umwelt besorgte Autofahrer können aber ganz einfach einen Beitrag zur Reduzierung von Mikroplastik und -partikeln leisten - durch zurückhaltenden Fahrstil. Wer rasant Gas gibt, um anschließend mit Schwung in die Eisen zu steigen, verschleißt seine Reifen schnell: "Ein großer Teil des Abriebs wird durch das Fahrverhalten bestimmt", sagt auch die Sprecherin. (dpa, lby)