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Vogel des Jahres: Wahlkampf in der Vogelwelt: Wer wird der Vogel des Jahres?

Vogel des Jahres

Wahlkampf in der Vogelwelt: Wer wird der Vogel des Jahres?

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    Die Amsel - Anwärter auf den "Vogel-des-Jahres"-Titel - ist ein oft gesehener Gast in unseren Gärten und bezaubert mit ihrem Gesang.
    Die Amsel - Anwärter auf den "Vogel-des-Jahres"-Titel - ist ein oft gesehener Gast in unseren Gärten und bezaubert mit ihrem Gesang. Foto: Erich Obster

    Amselflüsterer. Was für ein wunderbares Wort. Was für Bilder entstehen sofort im Kopf: Einer, der mit den Amseln spricht. Einer, der diese Spitzensänger im schwarzen Samtfederkleid versteht, die jetzt akustisch so famos den Frühling verkünden, unsere Gärten hurtig hüpfend bereichern, uns allwissend anblicken können mit ihrem auffallend gelb umrandeten Amselauge. Ein Amselflüsterer – das muss einer sein, der eine besondere Beziehung pflegt, zu Tieren, zur Natur. Ein Robert Redford. Der legendäre Pferdeflüsterer. Ein Retter also.

    Sie nennen sich Amselflüsterer

    Amselflüsterer – das Wort wirkt. Und das ist entscheidend. Denn die Amselflüsterer mit Sitz in Ingolstadt haben ein großes Anliegen. Das kann Rudolf Wittmann sehr schön erklären in seiner ruhigen, freundlichen Art. Er ist der Vorsitzende des Landesbundes für Vogelschutz (LBV) in Ingolstadt. Der 60-Jährige ist von Kindesbeinen an mit Vögeln aufgewachsen. Begeistert sich für sie. Beobachtet sie. Will sie beschützen. Er kann seine Faszination für sie in Worte kleiden, für sie werben. Gerade jetzt eine wichtige Eigenschaft. Denn darum geht es.

    Rudolf Wittmann hat als Vorsitzender des LBV Ingolstadt das Wahlkampfteam die Amselflüsterer mitgegründet. Hintergrund ist die Wahl des Vogels des Jahres 2021.
    Rudolf Wittmann hat als Vorsitzender des LBV Ingolstadt das Wahlkampfteam die Amselflüsterer mitgegründet. Hintergrund ist die Wahl des Vogels des Jahres 2021. Foto: Rudolf Wittmann

    Für die Amselflüsterer steht nämlich fest: Die Amsel soll Vogel des Jahres werden. Überzeugungsarbeit ist also angesagt. Denn die Konkurrenz ist groß. Deutschlands Vogelfreunde liefern sich seit Wochen einen eifrigen Wettbewerb. Ausgetragen wird er aus Pandemiegründen vor allem online. Über Twitter, Instagram, Facebook. Gearbeitet wird vor allem mit Fotos. Da trifft es sich gut, dass die Kandidaten durchweg fotogen und fein gekleidet sind, nie Frisur- oder Figurprobleme haben, sondern Hingucker sind in jeder Lebenslage – welcher politische Kandidat kann das schon von sich sagen.

    Doch was will man eigentlich erreichen mit dieser Wahl? Warum wurde mit einer Tradition gebrochen und der Vogel des Jahres 2021 nicht wieder von einem Expertenteam gekürt, sondern von allen? Jeder konnte und kann abstimmen. Noch bis Freitag läuft die Wahl. Zehn Kandidaten sind in der Endrunde. Veranstalter sind der LBV und der Naturschutzbund Deutschland (Nabu). Über 260.000 Stimmen seien bereits eingegangen. Auch Wahlkampfteams haben sich gebildet. Überzeugungstäter also. Über 2500 Gruppen hatten sich nach Angaben des LBV in der Vorwahl zusammengetan und die Werbetrommel für jeweils ihren Favoriten gerührt – so auch die Amselflüsterer.

    Auch Buchpreisträger Sasa Stanisic rührt die Werbetrommel

    Bekannte Namen finden sich unter den Wahlkämpfern. Etwa die Regensburger Domspatzen. Man kann erraten, für welchen Vogel sich die Schüler starkmachen. Der Goldregenpfeifer hat sogar den Schriftsteller und Buchpreisträger Sasa Stanisic als Kampagnenführer für sich gewonnen. Ein Mann, der sich im Interview mit Deutschlandfunk Kultur im Januar nicht scheute augenzwinkernd zu erklären: „Das ist neben der Wahl in den USA und der anstehenden Bundestagswahl hier bei uns im Grunde die wichtigste Wahl des Jahres. Wir werden als Team alles dafür tun, dass der Goldregenpfeifer das jetzt auch wirklich nach Hause holt.“

    Ein Satz, der Norbert Schäffer natürlich freut. Es ist der Vorsitzende des LBV in Bayern. Ganz ernst nehmen dürfe man die Aussage freilich nicht. Keiner, nicht einmal Schäffer selbst, würde die Wahl zum Vogel des Jahres mit der Bundestagswahl gleichsetzen. Gleichwohl geht es den Vogelschützern um grundlegende gesellschaftliche Themen: Artenschutz, Naturschutz, Klimaschutz, Städtebau, Landwirtschaft. Alles auch politische Diskussionen. Längst hat man aber beim LBV gelernt, dass man viele Menschen eher verschreckt mit so sperrigen Begriffen. Also versucht man es anders: Man lässt die Menschen Meise, Mauersegler und Mäusebussard zählen. Man lässt sie zwischen Rotkehlchen und Rauchschwalbe wählen. Schäffer, der sich schon vorhalten lassen musste, einen „Bambi-Naturschutz“ zu betreiben, nur weil er glaubt, dass die Agrarwende eher über die Amselliebe zu erreichen ist als über Anordnungen, ist überzeugt davon: „Wer erst einmal die Schönheit und Bereicherung der Tiere bewusst wahrnimmt, wird auch eher gegen ihr Aussterben aktiv.“

    Statt über Fußball wird über den Lieblingsvogel geredet

    Schäffer will also mit dieser Wahl erreichen, dass sich so viele Menschen wie möglich nicht mehr nur über Fußball oder das Wetter unterhalten, sondern über ihren Lieblingsvogel. Und spätestens seit Corona weiß man, dass so ein Fußballspiel ausfallen kann, Fitnesscenter schließen, Theater leer bleiben können. Das Schauspiel und Konzert aber am Balkon, im Garten oder Park, das grazile, gefiederte Gesellen täglich kostenlos bestreiten, das bleibt uns – egal wie hoch die Inzidenzzahlen sind. Corona hat das Interesse für Vögel wachsen lassen.

    Doch damit allein lässt sich nicht das enorme Engagement der Wahlkampfteams erklären. Was also treibt die Amselflüsterer an? Warum muss es ausgerechnet die Amsel sein? Zumal der bekannte Gartenvogel gar nicht als gefährdet gilt.

    Raumfüllender Gesang der Vögel

    Die Geschäftsstelle des LBV Ingolstadt ist ein kleines Häuschen inmitten eines Wohngebietes, angefüllt mit Büchern und Plakaten über Vögel und Nistkastenmodelle jeglicher Art. Hier sitzt Rudolf Wittmann und schwärmt. Von der Amsel natürlich. Diesen eleganten Erscheinungen. Den Amselhähnen. Deren oft tiefschwarzes Federkleid einem Frack gleiche. „Fehlt nur noch der Zylinder“, sagt er und lacht.

    Die Amselweibchen sind nicht minder hübsch. Aber gerade die Amselmännchen mit ihrem raumfüllenden Gesang, der wie kein anderer besondere Stimmungen gerade auch an lauen Sommerabenden erzeugen kann, unterbrochen von einem kecken Warnruf, wenn Räuber wie Katzen umherschleichen, haben es dem Gartenmeister und Baumsachverständigen angetan.

    An riesigen Glasfenstern darennt sich der letzte Vogel

    Doch es ist nicht nur eine Frage der Schönheit, aufgrund derer Wittmann und sein etwa 30-köpfiges Team von Ingolstadt aus die Menschen für die Amsel begeistern wollen. „Ich habe einfach keine Lust mehr, mich nur noch mit aussterbenden Vögeln zu befassen“, sagt Wittmann ungewöhnlich hart. „Wir müssen rechtzeitig etwas für die Tiere tun, nicht erst, wenn es zu spät ist.“ Und auch die Amselbestände sieht der erfahrene Naturschützer schrumpfen. Zumal der Lebensraum für diese auch Schwarzdrossel genannten Tiere schwindet. „Die Amsel hat ihre Scheu vor dem Menschen abgelegt, ist ihm in seine Siedlungen gefolgt.“

    Doch wo einst Wiesen sowie baum- und beerensträucherbestückte Gärten waren, erstrecken sich immer mehr Betonflächen. Die Verdichtung in den Städten nimmt zu, was bleibt, ist oft nur noch ein wenig Abstandsgrün. Und selbst um die Häuser herum dominieren heute Schotterwüsten. „Der Wohlstand baut in Kubusform mit riesigen Glasflächen – an denen sich noch der letzte Vogel darennt“, sagt Wittmann bitter, weil er nicht begreifen kann, wie Menschen wohl wissend um die Gefährdung der Natur weiter die Flächen versiegeln. „In vielen dieser modernen Gärten findet sich kein Wurm, kein Käfer, keine Spinne mehr.“ Doch im Frühjahr und Sommer brauchen Amseln Insekten.

    Man kennt das doch: Wie sie oft dastehen. Das Köpfchen leicht zur Seite geneigt. Konzentriert hörend, wo es da raschelt am Boden, zwischen den Blättern. Zack, schon hängt der Wurm im leuchtend gelben Schnabel, wird triumphierend davongeflogen. „Im Herbst werden sie dann zu Gelegenheitsvegetariern“, erklärt Wittmann und fragt begeistert: „Sagen Sie ehrlich, sind das keine bewundernswerten Tiere?“

    Wer würde ihm widersprechen? Aber auch Rotkehlchen, Rauchschwalbe, Feldlerche, Eisvogel und Blaumeise sind entzückend und ebenso schützenswert – oder etwa nicht? Klar, sagt Wittmann. Er könnte damit leben, wenn das Rotkehlchen gewinnt, führte es doch zuletzt die Rangliste an. Gleichwohl erwacht sofort sein Kampfgeist und er beginnt die eher unbekannte, die Raufbold-Seite des Rotkehlchens hervorzuheben. Wüssten doch viele gar nicht, wie aggressiv diese putzigen Kerlchen sein können: „Ist ein Rotkehlchen am Futterplatz, verschwinden oft alle anderen. Es hat seinen leuchtend roten Latz nicht ohne Grund, er erinnert ein wenig an einen Stierkämpfer.“ Und mit dem Eisvogel ist das auch so eine Sache: „Der war doch schon zweimal Vogel des Jahres“, sagt Wittmann fast ein wenig beleidigt. „Die Amsel war es aber noch nie!“

    Wer zum Kuckuck hält der Taube die Daumen bei "Vogel des Jahres"?

    Und dann gibt es da noch ein anderes Tier, das aus Wittmanns Sicht völlig unverdient einen besseren Platz ergattert hat als die Amsel. Es hat die Rangliste zeitweise sogar angeführt. Was in Wittmann damals den Verdacht aufkeimen ließ, dass die Homepage des Nabu gehackt worden war. Denn wer zum Kuckuck sollte diesen Vogel so pushen? Eine Plage in vielen Städten. Auch in Ingolstadt.

    Die Stadttaube gehört zu den Favoriten bei der Wahl des Vogels des Jahres 2021.
    Die Stadttaube gehört zu den Favoriten bei der Wahl des Vogels des Jahres 2021. Foto: Zdenek Tunka, Lbv

    Die Stadttaube erhitzt die Gemüter. Nicht nur bei dieser Wahl. Wer also hält ihr die Daumen? Sabina Gaßner zum Beispiel. Wer zu ihr will, muss nicht an Tauben vorbei, aber an vielen aufgeregt bellenden Hunden. Die 59-Jährige ist Geschäftsführerin des Tierschutzvereins Augsburg und Umgebung. In ihrem Büro im Tierheim hängt ein Bild. Es zeigt kein Täubchen. Gefangen ist man vom direkten Blick einer in ihrer ganzen blau-gelben Pracht auf einem Ast thronenden Blaumeise. „Ich liebe diese Blaumeise“, gesteht Sabina Gaßner, als sie erkennt, worauf man starrt. Sie weiß, was man denkt: Erwischt! In Wahrheit doch kein Taubenfan. Doch so einfach ist es nicht.

    "Seht her, was ihr anrichtet"

    Sabina Gaßner will, dass die Stadttaube Vogel des Jahres wird. Nicht, weil sie zu den Taubenfreundinnen gehört, die ihr Gurren lieben, ihr Turteln, die sie beharrlich füttern, obwohl dies das Schlimmste sei, was man diesen Tieren antun könne. Diese Taubenfreundinnen gibt es auch. Es seien nicht wenige. Nein, Sabina Gaßner geht es um viel mehr. Sie sieht in dieser Wahl eine große Chance. Die Möglichkeit nämlich, dem Menschen den Spiegel vorzuhalten: „Seht her, was ihr anrichtet. Seht zu, dass ihr endlich Verantwortung übernehmt. So kann man mit Tieren nicht umgehen.“

    Denn dass diese friedlichen Tiere bis zu neunmal im Jahr brüten, sich also massenweise vermehren – und alles zukacken –, ist nach Einschätzung von Gaßner allein Menschenwerk. Das Ergebnis eines Zucht-erfolgs. „Am Elend der Taube, am Umgang mit den Tieren kann man beispielhaft zeigen, wie eigensüchtig der Mensch oft handelt. Wie wenig er sich darum schert, was er mit seinem Handeln anrichtet, dafür aber eifrig Sündenböcke sucht.“ Für Gaßner ist es höchste Zeit, dass wir uns mit der Taube beschäftigen – und mit unserer Haltung zu ihr. Daher ist sie ihr Favorit in dieser Wahl.

    Sabina Gaßner ist die Geschäftsführerin des Tierschutzvereins Augsburg. Sie hält der Stadttaube bei der Wahl zum Vogel des Jahres die Daumen.
    Sabina Gaßner ist die Geschäftsführerin des Tierschutzvereins Augsburg. Sie hält der Stadttaube bei der Wahl zum Vogel des Jahres die Daumen. Foto: Michael Hochgemuth

    Denn es ist „ein steiler Karriereabsturz“, den die Stadttaube erlebte, beginnt Gaßner zu erzählen, „sie gehört zu den am meisten missverstandenen Tieren“. Noch bis in die 70er Jahre hinein wurden Tauben in den Städten gezüchtet und gehalten. Gern zusammen mit Hühnern und Hasen. Als Nahrung für die Familie. Mit dem wachsenden Wohlstand verschwand die Taube vom Speiseplan. Wurde abgelöst von der Massenhaltung von Schwein und Rind. Die Tauben wurden vertrieben. Doch diese ehemaligen Haustiere blieben – wie es ihrem Naturell entspricht – dem Menschen treu. Mit den bekannten Problemen.

    Das Augsburger Stadttaubenmodell ist ein Erfolgsmodell

    Es ist das Augsburger Stadttaubenmodell, das seit Jahren Schule macht und das von Tierschützern wie Sabina Gaßner und ihrem Team gepflegt wird: Den Tieren werden Türme und Verschläge angeboten, in denen sie betreut werden, aber ihre Eier werden ausgetauscht. Ihre Vermehrung gebremst. Ein artgerechteres Leben endlich möglich.

    Beim Augsburger Stadttaubenmodell werden den Tauben regelmäßig die Eier ausgetauscht. So können die Geburten kontrolliert werden.
    Beim Augsburger Stadttaubenmodell werden den Tauben regelmäßig die Eier ausgetauscht. So können die Geburten kontrolliert werden. Foto: Annette Zoepf

    Rudolf Wittmann kennt das Augsburger Stadttaubenmodell. Auch in Ingolstadt führe es zum Erfolg. Für die Stadttaube als Vogel des Jahres kann er sich trotzdem nicht erwärmen. „Ich bin ein gebranntes Kind“, sagt er. Zentnerweise habe er schon Taubenkot beseitigen lassen. Gerade unter Solaranlagen fühlten sich die Tiere wohl. Auch in jeder Gebäudenische. Daher versuchen Hausbesitzer alles abzudichten. Damit verschwinden aber Nistplätze für andere Vogelarten, die bedroht sind und Bruthilfe bräuchten. Die Stadttaube würde Wittmann nie unterstützen. Sein Herz gehört der Amsel – so wie es sich für einen Amselflüsterer gehört.

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