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Verwandtenaffäre: Waigel stellt CSU-Verhaltenskodex vor

Verwandtenaffäre

Waigel stellt CSU-Verhaltenskodex vor

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    Der ehemalige Bundesfinanzminister Dr. Theo Waigel (CSU) hat in der Folge der Verwandtenaffäre einen Verhaltenskodex für seine Partei erstellt.
    Der ehemalige Bundesfinanzminister Dr. Theo Waigel (CSU) hat in der Folge der Verwandtenaffäre einen Verhaltenskodex für seine Partei erstellt. Foto: Peter Kneffel (dpa)

    Was darf ein Politiker? Und vor allem: Was darf er nicht? Im Wirbel der Verwandtenaffäre im Landtag schien der dabei arg gebeutelten CSU die Beantwortung dieser Fragen im Frühjahr besonders drängend. So drängend, dass der Ehrenvorsitzende Theo Waigel dazu auserkoren wurde, einen „

    Nun hat Waigel die Früchte seiner Arbeit auf sechs Seiten zusammengefasst und an CSU-Mandatsträger zur Diskussion versandt. „Es geht im Kern darum, Transparenz zu schaffen und Offenheit zu geben“, erklärt Waigel dieser Zeitung. Denn alle, die an der „res publica“ beteiligt sind, seien Rechenschaft schuldig: dem Staat, den Parteien, den Bürgern.

    Waigel formuliert fünf Verhaltensregeln

    In dem Kodex formuliert Waigel – in Anlehnung an bereits 1986 formulierte Gedanken von Josef Kardinal Höffner – zunächst Grundeigenschaften eines verantwortungsvollen Politikers: Charakterfestigkeit, Unbestechlichkeit, die Verpflichtung zu sittlichen Werten, Tatkraft, Sachlichkeit, Gelassenheit, Dienstbereitschaft, Mut zu unpopulären Entscheidungen sowie die Bereitschaft zum Kompromiss.

    Die fünf Verhaltensregeln selbst seien „die Essenz aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen und Wertvorstellungen“ und richteten sich „an alle, die Ämter in der CSU ausüben und die auf Vorschlag der CSU in ein öffentliches Amt gewählt wurden“.

    Trennung von Parteiarbeit und öffentlichen Aufgaben

    Gefordert wird zunächst eine klare Trennung von Parteiarbeit und öffentlichen Aufgaben. Dennoch sei etwa eine gemeinsame Nutzung von Parteigeschäftsstelle und dem Bürgerbüro eines Landtagsabgeordneten möglich – sofern bei der Mitarbeiter-Bezahlung auf „transparente Zuordnung der Tätigkeiten für die CSU und derer für den Abgeordneten geachtet“ wird.

    Chronologie: Wie das Verwandtengesetz zustande kam

    15. März 1999: Eine vom Landtag eingesetzte Diätenkommission erklärt in einem Gutachten: „Arbeitsverträge mit Mitarbeitern, die mit den Abgeordneten verheiratet oder verschwägert sind, sind unzulässig.

    7. Juli 1999: Eine interfraktionelle Arbeitsgruppe nimmt das Gutachten zur Kenntnis.

    23. November 1999: Der Haushaltsausschuss beschließt einstimmig, dass die Abgeordneten für die Beschäftigung von Mitarbeitern künftig 8110 Mark im Monat beantragen können – 2575 Mark mehr als bisher. Gleichzeitig wird festgestellt, dass es weiterhin möglich sein soll, Verwandte auf Staatskosten als Mitarbeiter anzustellen. Die Mitglieder der Diätenkommission erfahren von den Beschlüssen aus der Zeitung. Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, der CSU-Politiker Manfred Ach (Würzburg), gehört selbst zu den 45 Abgeordneten, die ihre Ehefrau beschäftigten. Auf Anfrage gibt er sich nachdenklich: „Ich habe mir schon überlegt, ob ich das mit meiner Ehefrau ändere.“

    25. November 1999: Der Bund der Steuerzahler übt massive Kritik an Bayerns Abgeordneten. „Sie schaden dem Ansehen der Politik“, sagt Verbandspräsident Rolf von Hohenhau und kritisiert auch die Höhe der Mitarbeiterentgelte als „absolut überzogen“.

    30. November 1999: Im Präsidium des Landtags spricht sich Landtagspräsident Johann Böhm (CSU) für die Beibehaltung der Beschäftigung von Familienangehörigen aus.

    3. Dezember 1999: Die Diätenkommission klagt, sie sei vom Parlament bewusst umgangen worden, und droht schriftlich mit Rücktritt, falls sich ein derartiges Verfahren wiederhole. Das Landtagsamt spricht von einem „Kommunikationsversehen“. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Herbert Müller (Memmingen), verteidigt die Erhöhung der Mitarbeiterentschädigung: „Es geht dabei ja nicht um Einkommen der Abgeordneten.“ Die Fraktionsgeschäftsführerin der Grünen, Elisabeth Köhler (Schwabmünchen), sagt, die Fraktionen seien bereit, sich über die problematische Familienmitarbeit im Frühjahr mit der Diätenkommission zu unterhalten.

    6. Dezember 1999: Kommissionspräsident Johann Schmidt bekräftigt in einem Interview seinen Standpunkt: „Die Diätenkommission hat es gestört, dass kein Verbot existiert, Ehegatten oder auch andere Verwandte zu beschäftigen. Es kann nicht sein, dass das Geld zur Aufbesserung des Familieneinkommens dient. Das ist nicht gerechtfertigt.“ Der Unterschied zu anderen Berufen liegt seiner Ansicht nach auf der Hand: Rechtsanwälte oder Schneidermeister, die ihre Frauen anstellen, müssten das Geld dafür erst einmal selbst verdienen.

    9. Dezember 1999: Die Parteien im Landtag sind gespalten, auch innerhalb der Fraktion. Die unterfränkischen Abgeordneten Manfred Ach (CSU) und Volker Hartenstein (Grüne) verteidigen die Beschäftigung ihrer Ehefrauen. Es sei völlig legal, spare dem Staat Geld und nutze, weil die Ehefrauen auch abends oder am Wochenende zur Verfügung stehen, letztlich auch den Bürgern. Emma Kellner (Grünen) dagegen sagt: „Es wäre fatal, wenn in der berechtigten Forderung nach einer qualifizierten Zuarbeit für Parlamentarier ein Beigeschmack von Vetternwirtschaft und Abzockerei mitschwingt.“ Im Präsidium regen die Grünen an, die Bundestagsregelung (Abrechnungsverfahren durch das Amt, keine Beschäftigung von Familienangehörigen) zu übernehmen. Die SPD spricht sich für eine Beibehaltung der Verwandtenbeschäftigung, aber gegen die Neubegründung solcher Arbeitsverhältnisse aus.

    10. Dezember 1999: Die Grünen streiten heftig über ihren Kurs. CSU-Fraktionschef Alois Glück verteidigt die Beschäftigung von Verwandten. Er könne nicht erkennen, was daran verdächtig sein soll. Otmar Bernhard (CSU) sagt: „Es gibt keinen einzigen Hinweis auf Missbrauch.“

    19. Dezember 1999: Der Abgeordnete Hartenstein verlässt nach dem Streit um die Beschäftigung seiner Frau die Grünen.

    25. Januar 2000: CSU und SPD sprechen sich im Präsidium für die Beibehaltung der Verwandtenbeschäftigung aus. Die Grünen sind dagegen. Sie haben einen Gesetzentwurf eingebracht mit dem Ziel, die Beschäftigung von Familienangehörigen zu verbieten.

    13. März 2000: Die interfraktionelle Arbeitsgruppe trifft sich mit der Diätenkommission.

    21. März 2000: Landtagspräsident Böhm sichert der Diätenkommission zu, die Verwendung der Mitarbeiterentschädigung genauer zu kontrollieren.

    17. Mai 2000: In der interfraktionellen Arbeitsgruppe wird erstmals über den Vorschlag gesprochen, eine Übergangsregelung für bestehende Arbeitsverträge zu beschließen.

    5. Juli 2000: Die interfraktionelle Arbeitsgruppe empfiehlt ein Verbot der Beschäftigung von Verwandten und Verschwägerten ersten Grades nach Inkrafttreten des Änderungsgesetzes. Bestehende Arbeitsverhältnisse sollen allerdings gültig bleiben.

    28. September 2000: Nachdem die Grünen in den Kompromiss eingewilligt haben, wird ein gemeinsamer Gesetzentwurf aller drei Fraktionen in den Landtag eingebracht.

    9. November 2000: In der Schlussberatung im Verfassungsausschuss wird noch ein früheres Inkrafttreten des Gesetzes befürwortet. Damit werde verhindert, sagt der SPD-Abgeordnete Harald Güller (Kreis Augsburg), dass noch kurzfristig Arbeitsverhältnisse eingegangen werden.

    29. November 2000: Der Landtag verabschiedet das Gesetz mit den Stimmen von CSU, SPD und Grünen. Die einzige Gegenstimme kommt vom fraktionslosen Abgeordneten Hartenstein.

    1. Dezember 2000: Das Gesetz tritt in Kraft. Die Zahl der Abgeordneten, die nahe Angehörige beschäftigen, hat sich in der Zwischenzeit angeblich um 34 auf 79 erhöht. Öffentlich bekannt wurde das erst im Jahr 2013.

    Beim Einsatz öffentlicher Mittel „soll stets auf eine Trennung von öffentlicher Aufgabe und privatem Nutzen sowie auf den Grundsatz der Sparsamkeit geachtet werden“. Dies gelte insbesondere für Reisen, Dienstfahrzeuge und technische Geräte. Spenden hält der Kodex dagegen weiter für „erwünscht und notwendig“ – wenn sie transparent sind und nicht an „Einzelerwartungen“ geknüpft werden. Zuwendungen und Begünstigungen dürften aber die Entscheidungsfindung nicht beeinflussen. Dabei müsse der Politiker „wie der Richter schon den Anschein der Befangenheit vermeiden“. Allgemein übliche Gesten seien davon nicht betroffen.

    Ein politisches Mandat dürfe zudem nicht für private Zwecke ausgenutzt werden – etwa im Firmenbriefkopf. Nebentätigkeiten von Abgeordneten seien dagegen erwünscht, um Fachwissen in die Parlamente zu bringen. Das politische Mandat müsse allerdings „im Mittelpunkt der Tätigkeit des Abgeordneten stehen“.

    Eine Kontaktstelle in der Parteizentrale soll im Zweifelsfall Auskunft geben können. Von Strafen bei Verstößen ist allerdings in dem Papier keine Rede. Er warte jetzt auf Rückmeldung von den angeschriebenen CSU-Mandatsträgern, sagt Waigel.

    CSU erste Partei mit solch einem Kodex

    In sechs bis acht Wochen könne das Papier dann vom CSU-Parteivorstand verabschiedet werden. „Die CSU kann stolz sein, als erste Partei in Deutschland so einen Kodex zu bekommen“, findet CSU-Europagruppenchef Markus Ferber, der als Urheber der Idee gilt. Es gehe darin um klare moralische Leitlinien, die über existierende Parlamentsregeln hinausgehen: „Denn nicht alles, was erlaubt ist, muss man auch machen“, findet Ferber, der auch schwäbischer CSU-Bezirksvorsitzender ist.

    So ist etwa der Bayerische Landtag erst noch dabei, seine Verhaltensregeln weiter zu schärfen: Zwar gibt es seit Juli ein allgemeines Verbot geldwerter Zuwendungen. Was dies aber in der Praxis bedeutet oder wie Bestechung von weiter erlaubten individuellen Spenden unterschieden werden kann, ist nach wie vor unklar.

    Ein umfassendes Verbot der Abgeordnetenbestechung sei auch in Bayern längst überfällig, findet der Grünen-Abgeordnete Thomas Gehring: Wenn auch der neue Bundestag hier nicht handle, müsse eben der Landtag eine eigene Regelung finden.

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