Unwissenheit schützt vor Strafe nicht: Der schwäbische SPD-Abgeordnete Harald Güller ist am Dienstag im Rahmen der Verwandtenaffäre wegen Betrugs verurteilt worden.
Güller muss zur Strafe tief in die Tasche greifen. Die Amtsrichterin Ines Tauscher ging sogar über die Forderung der Anklage hinaus. Der Augsburger Abgeordnete Güller wurde zu einer Geldstrafe von 180 Tagessätzen zu 150 Euro verurteilt. Insgesamt muss Güller 27 000 Euro zahlen.
Chronologie der "Verwandtenaffäre"
15. April: Das Buch "Die Selbstbediener - Wie bayerische Politiker sich den Staat zur Beute machen" von Hans Herbert von Arnim erscheint und tritt die Diskussion um die "Familienaffäre" los. Zwei Tage später diskutiert der bayerische Landtag über Arnims Kritik.
19. April: Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) veröffentlichte eine Liste von 17 Abgeordneten, die bis vor Kurzem rechtmäßig Verwandte ersten Grades beschäftigten.
19. April: Ministerpräsident Horst Seehofer fordert die betroffenen Parteimitglieder auf, die Beschäftigungsverhältnisse mit ihren Familienangehörigen sofort zu beenden. CSU-Fraktionsvorsitzender Georg Schmid und Kultusminister Ludwig Spaenle kündigen daraufhin ihren Ehefrauen.
23. April: Die Summe des Honorars von Georg Schmids Frau wird bekannt: Sie erhielt für ihre Leistungen monatlich zwischen 3.500 und 5.500 Euro brutto.
25. April: Georg Schmid tritt aufgrund des schwindenden Rückhalts in der CSU und des medialem Drucks als Fraktionsvorsitzender zurück. Ein Neuburger Bürger zeigt Georg Schmids Ehefrau Gertrud wegen Scheinselbstständigkeit an.
29. April: Georg Winter tritt als Haushaltsausschussvorsitzender im bayerischen Landtag zurück. Er hatte seine beiden Söhne im Alter von 13 und 14 Jahren sowie seine Frau beschäftigt. Die Staatsanwaltschaft Augsburg prüft Ermittlungen gegen Georg Schmid und seine Ehefrau wegen Scheinselbstständigkeit.
30. April: Münchens Oberbürgermeister und SPD-Spitzenkandidat Christian Ude fordert Schmid und Winter auf, auch ihre Landtagsmandate niederzulegen. Mittlerweile sind 17 Abgeordnete der CSU, zwei der SPD, ein Grüner sowie Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger in die Familienaffäre verwickelt.
2. Mai: Georg Schmid gibt seinen Rückzug aus der Berufspolitik bekannt. Justizministerin Beate Merk, Landwirtschaftsminister Helmut Brunner und Kulturstaatssekretär Bern Sibler räumen ein, enge Verwandte beschäftigt zu haben.
3. Mai: Landtagspräsidentin Barbara Stamm veröffentlicht eine Liste mit 79 Abgeordneten, die nach 2000 Familienangehörige beschäftigt haben oder hatten. Kultusminister Spaenle kündigt an, das volle Gehalt seiner Frau zurückzuerstatten. Ministerpräsident Seehofer fordert betroffene Abgeordnete auf, diesem Beispiel zu folgen.
4. Mai: Fünf Kabinettsmitglieder kommen der Forderung Seehofers nach und wollen dem Staat die Gelder zurücküberweisen.
6. Mai: Ministerpräsident Seehofer stellt seinen Drei-Punkte-Plan zur Überwindung der Familienkrise vor. Das Landtagsamt vertritt die Meinung, dass die Anstellung von Georg Winters Söhnen illegal war. Der will daraufhin das komplette Gehalt seiner Söhne an die Staatskasse zurückzahlen.
7. Mai: Die Anti-Korruptions-Organisation Transparency International fordert alle betroffenen Abgeordneten auf, die Gelder zurückzuerstatten. Die Staatsanwaltschaft Ausburg will gegen den zurückgetretenen CSU-Fraktionschef Georg Schmid nach Angaben des Landtags ein Ermittlungsverfahren einleiten. Die Staatsanwaltschaft Augsburg kommentiert den Bericht vorerst jedoch nicht.
8. Mai: Der Bayerische Oberste Rechnungshof schaltet sich in die Affäre ein. Er will rückwirkend die Vergabe von Abgeordneten-Jobs an Familienangehörige sowie die Neuregelung des Abgeordnetengesetzes prüfen.
23. Februar 2014: Auf dem Höhepunkt der Verwandtenaffäre im Landtag beschließt die CSU einstimmig einen Verhaltenskodex. Der CSU-Ehrenvorsitzende Theo Waigel hatte zusammen mit anderen CSU-Spitzenpolitikern den Kodex für ihre politischen Mandatsträger entwickelt, um Filz- und Amigo-Vorwürfen künftig jede Grundlage zu entziehen.
25. Februar: Der schwäbische SPD-Abgeordnete Harald Güller wird im Rahmen der Verwandtenaffäre wegen Betrugs verurteilt. Er hatte den Sohn seiner Frau aus erster Ehe im Jahr 2009 für zwei Monate beschäftigt und 7500 Euro für Gehalt und Sozialversicherungsbeiträge aus der Landtagskasse gezahlt. Die Richterin argumentierte, dass Güller, der selbst Jurist ist, vorsätzlich gehandelt habe. Güllers Anwalt kündigte Berufung an.
11. Juni: Nach einer Verfassungsklage der SPD werden im Landtag die Summen veröffentlicht, die Kabinettsmitglieder ihren Verwandten bezahlt haben. Bei den fünf Ministern und Staatssekretären der CSU – Helmut Brunner, Ludwig Spaenle, Gerhard Eck, Franz Pschierer und Bernd Sibler – liegt die Gesamtsumme der gezahlten Vergütungen seit 1997 bei über 1,3 Millionen Euro.
25. Juli: Die Staatsanwaltschaft Augsburg erhebt Anklage gegen Georg Schmid. Der frühere CSU-Fraktionschef soll 350.000 Euro Sozialabgaben nicht bezahlt haben. Im Einzelnen lauten die Vorwürfe auf vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in 262 Fällen sowie Steuerhinterziehung in 59 Fällen. Seiner Frau werden Beihilfe und Steuerhinterziehung vorgeworfen.
Richterin Tauscher argumentierte, dass Güller, der selbst Jurist ist, vorsätzlich gehandelt habe. Die Staatsanwaltschaft hatte 150 Tagessätze verlangt; die Verteidigung 60 Tagessätze. Strafen über 90 Tagessätzen werden ins Führungszeugnis eingetragen. Ob Güller in Berufung geht, war zunächst offen.
Güller hatte Sohn seiner Frau aus erster Ehe beschäftigt
Der Landtagsabgeordnete Harald Güller hatte den Sohn seiner Frau aus erster Ehe im Jahr 2009 für zwei Monate beschäftigt und 7500 Euro für Gehalt und Sozialversicherungsbeiträge aus der Landtagskasse gezahlt. Die Beschäftigung eigener Kinder oder Stiefkinder auf Staatskosten war Abgeordneten aber seit 2000 verboten. Güller argumentierte, ihm sei nicht klar gewesen, dass sein Stiefsohn ein Schwager ersten Grades sei. Doch weder die Richterin noch der Staatsanwalt glaubten ihm.
Der Abgeordnete hatte im Landtagsamt angegeben, mit dem Stiefsohn nicht verwandt und nicht verschwägert zu sein. Derartige Fragen seien aber zentrale Bestandteile der Juristenausbildung, sagte Tauscher. "Dass Sie das gänzlich vergessen haben, glaube ich Ihnen nicht."
Richterin: "Vertrauen der Bevölkerung erheblich missbraucht"
Als Abgeordneter habe er zudem selbst an den Regelungen zur Beschäftigung von Verwandten mitgewirkt. "Wenn Sie denn das Gesetz nicht verstanden haben, wer denn dann? Das ist ein sehr, sehr einfaches Gesetz." Tauscher warf Güller zudem vor, die Tat in seinem Amt als Landtagsabgeordneter begangen zu haben - mit Steuergeldern, die ihm als Vorschuss für Aufwendungen gewährt wurden. 7500 Euro sei "für den Durchschnittsbürger eine Stange Geld". "Sie haben das Vertrauen der Bevölkerung erheblich missbraucht", sagte Tauscher. "Durch solche Taten wird bei der Bevölkerung der Eindruck erweckt, dass man sich bedient."
Chronologie: Wie das Verwandtengesetz zustande kam
15. März 1999: Eine vom Landtag eingesetzte Diätenkommission erklärt in einem Gutachten: „Arbeitsverträge mit Mitarbeitern, die mit den Abgeordneten verheiratet oder verschwägert sind, sind unzulässig.
7. Juli 1999: Eine interfraktionelle Arbeitsgruppe nimmt das Gutachten zur Kenntnis.
23. November 1999: Der Haushaltsausschuss beschließt einstimmig, dass die Abgeordneten für die Beschäftigung von Mitarbeitern künftig 8110 Mark im Monat beantragen können – 2575 Mark mehr als bisher. Gleichzeitig wird festgestellt, dass es weiterhin möglich sein soll, Verwandte auf Staatskosten als Mitarbeiter anzustellen. Die Mitglieder der Diätenkommission erfahren von den Beschlüssen aus der Zeitung. Der Vorsitzende des Haushaltsausschusses, der CSU-Politiker Manfred Ach (Würzburg), gehört selbst zu den 45 Abgeordneten, die ihre Ehefrau beschäftigten. Auf Anfrage gibt er sich nachdenklich: „Ich habe mir schon überlegt, ob ich das mit meiner Ehefrau ändere.“
25. November 1999: Der Bund der Steuerzahler übt massive Kritik an Bayerns Abgeordneten. „Sie schaden dem Ansehen der Politik“, sagt Verbandspräsident Rolf von Hohenhau und kritisiert auch die Höhe der Mitarbeiterentgelte als „absolut überzogen“.
30. November 1999: Im Präsidium des Landtags spricht sich Landtagspräsident Johann Böhm (CSU) für die Beibehaltung der Beschäftigung von Familienangehörigen aus.
3. Dezember 1999: Die Diätenkommission klagt, sie sei vom Parlament bewusst umgangen worden, und droht schriftlich mit Rücktritt, falls sich ein derartiges Verfahren wiederhole. Das Landtagsamt spricht von einem „Kommunikationsversehen“. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Herbert Müller (Memmingen), verteidigt die Erhöhung der Mitarbeiterentschädigung: „Es geht dabei ja nicht um Einkommen der Abgeordneten.“ Die Fraktionsgeschäftsführerin der Grünen, Elisabeth Köhler (Schwabmünchen), sagt, die Fraktionen seien bereit, sich über die problematische Familienmitarbeit im Frühjahr mit der Diätenkommission zu unterhalten.
6. Dezember 1999: Kommissionspräsident Johann Schmidt bekräftigt in einem Interview seinen Standpunkt: „Die Diätenkommission hat es gestört, dass kein Verbot existiert, Ehegatten oder auch andere Verwandte zu beschäftigen. Es kann nicht sein, dass das Geld zur Aufbesserung des Familieneinkommens dient. Das ist nicht gerechtfertigt.“ Der Unterschied zu anderen Berufen liegt seiner Ansicht nach auf der Hand: Rechtsanwälte oder Schneidermeister, die ihre Frauen anstellen, müssten das Geld dafür erst einmal selbst verdienen.
9. Dezember 1999: Die Parteien im Landtag sind gespalten, auch innerhalb der Fraktion. Die unterfränkischen Abgeordneten Manfred Ach (CSU) und Volker Hartenstein (Grüne) verteidigen die Beschäftigung ihrer Ehefrauen. Es sei völlig legal, spare dem Staat Geld und nutze, weil die Ehefrauen auch abends oder am Wochenende zur Verfügung stehen, letztlich auch den Bürgern. Emma Kellner (Grünen) dagegen sagt: „Es wäre fatal, wenn in der berechtigten Forderung nach einer qualifizierten Zuarbeit für Parlamentarier ein Beigeschmack von Vetternwirtschaft und Abzockerei mitschwingt.“ Im Präsidium regen die Grünen an, die Bundestagsregelung (Abrechnungsverfahren durch das Amt, keine Beschäftigung von Familienangehörigen) zu übernehmen. Die SPD spricht sich für eine Beibehaltung der Verwandtenbeschäftigung, aber gegen die Neubegründung solcher Arbeitsverhältnisse aus.
10. Dezember 1999: Die Grünen streiten heftig über ihren Kurs. CSU-Fraktionschef Alois Glück verteidigt die Beschäftigung von Verwandten. Er könne nicht erkennen, was daran verdächtig sein soll. Otmar Bernhard (CSU) sagt: „Es gibt keinen einzigen Hinweis auf Missbrauch.“
19. Dezember 1999: Der Abgeordnete Hartenstein verlässt nach dem Streit um die Beschäftigung seiner Frau die Grünen.
25. Januar 2000: CSU und SPD sprechen sich im Präsidium für die Beibehaltung der Verwandtenbeschäftigung aus. Die Grünen sind dagegen. Sie haben einen Gesetzentwurf eingebracht mit dem Ziel, die Beschäftigung von Familienangehörigen zu verbieten.
13. März 2000: Die interfraktionelle Arbeitsgruppe trifft sich mit der Diätenkommission.
21. März 2000: Landtagspräsident Böhm sichert der Diätenkommission zu, die Verwendung der Mitarbeiterentschädigung genauer zu kontrollieren.
17. Mai 2000: In der interfraktionellen Arbeitsgruppe wird erstmals über den Vorschlag gesprochen, eine Übergangsregelung für bestehende Arbeitsverträge zu beschließen.
5. Juli 2000: Die interfraktionelle Arbeitsgruppe empfiehlt ein Verbot der Beschäftigung von Verwandten und Verschwägerten ersten Grades nach Inkrafttreten des Änderungsgesetzes. Bestehende Arbeitsverhältnisse sollen allerdings gültig bleiben.
28. September 2000: Nachdem die Grünen in den Kompromiss eingewilligt haben, wird ein gemeinsamer Gesetzentwurf aller drei Fraktionen in den Landtag eingebracht.
9. November 2000: In der Schlussberatung im Verfassungsausschuss wird noch ein früheres Inkrafttreten des Gesetzes befürwortet. Damit werde verhindert, sagt der SPD-Abgeordnete Harald Güller (Kreis Augsburg), dass noch kurzfristig Arbeitsverhältnisse eingegangen werden.
29. November 2000: Der Landtag verabschiedet das Gesetz mit den Stimmen von CSU, SPD und Grünen. Die einzige Gegenstimme kommt vom fraktionslosen Abgeordneten Hartenstein.
1. Dezember 2000: Das Gesetz tritt in Kraft. Die Zahl der Abgeordneten, die nahe Angehörige beschäftigen, hat sich in der Zwischenzeit angeblich um 34 auf 79 erhöht. Öffentlich bekannt wurde das erst im Jahr 2013.
Zu Güllers Gunsten wertete die Richterin, dass er sich 2013 sofort um Wiedergutmachung und um vollständige Aufklärung bemüht und das Geld zurückgezahlt habe. Sie glaube ihm auch, dass es ihm leidtue.
Güller räumte vor Gericht Versäumnisse ein
Güller selbst räumte Versäumnisse ein. "Ich habe mir leider keinen Gedanken darüber gemacht, dass ein Stiefsohn, den ich nicht adoptiert habe, ein Schwager ersten Grades ist. Das mag ein Fehler gewesen sein", sagte Güller. "Mir ist zu keiner Sekunde bewusst gewesen, dass er mein Schwager sein könnte. Im Nachhinein ist man immer schlauer. Im Nachhinein würde ich die Zeit lieber zurückdrehen."
Unkenntnis eines Verbots schützt nicht vor Strafe, kann aber zu einer milderen Strafe führen, weil die Tat nicht vorsätzlich war. Güller hatte wegen der Sache bereits einen Strafbefehl erhalten, diesen aber nicht akzeptiert. Deshalb kam es jetzt zum Prozess.
Bei der Verwandtenaffäre ging es um Dutzende Parlamentarier, die jahrelang von einer Altfallregelung im Abgeordnetenrecht Gebrauch gemacht und Ehefrauen oder Kinder als Mitarbeiter auf Kosten des Landtags beschäftigt hatten. Güller war der einzige, der tatsächlich gegen die bereits geltenden einschlägigen Gesetze verstoßen hatte.
Noch nicht abgeschlossen sind die Ermittlungen der Augsburger Staatsanwaltschaft im Fall des früheren CSU-Fraktionschefs Georg Schmid. Er steht unter Verdacht, seine Frau jahrelang als Scheinselbstständige beschäftigt zu haben. dpa/AZ