Eigentlich sollte gestern unter die Verwandtenaffäre in Bayern mit der bundesweit strengsten Neuregelung ein Schlussstrich gezogen werden. Alle fünf Fraktionen des Landtags waren sich einig: Abgeordnete dürfen ab 1. Juni keine Verwandten mehr auf Staatskosten in ihren Büros beschäftigen. Diese Regelung gilt bis zu Verwandten vierten Grades (Vettern und Cousinen) – womit Vetternwirtschaft auch im wörtlichen Sinne unterbunden werden soll – und erstreckt sich auch auf sogenannte Über-Kreuz-Arbeitsverhältnisse. Die Cousine eines Abgeordneten darf somit auch bei einem anderen Abgeordneten nicht auf Staatskosten beschäftigt werden.
34 Landtagsabgeordnete stellen Verwandte kurz vor Beschäftigungsverbot an
Ein Ende der Debatte aber ist damit noch nicht in Sicht. Es gibt neuen Ärger: Nach einem Bericht der Abendzeitung nutzten 34 Landtagsabgeordnete im Jahr 2000 die Gelegenheit, noch schnell Ehefrauen oder Kinder anzustellen, bevor ein damals bereits geplantes Verbot derartiger Beschäftigungsverhältnisse in Kraft trat.
Der CSU-Abgeordnete Georg Winter (Höchstädt), der wegen der Beschäftigung seiner beiden minderjährigen Söhne vom Vorsitz des Haushaltsausschusses hat zurücktreten müssen, wäre somit nicht der Einzige, der das schmale Zeitfenster genutzt hat, um von der heute heftig umstrittenen Ausnahmeregelung für Altfälle zu profitieren. Die Ausnahmeregelung war nach bisherigen Aussagen nur geschaffen worden, um bereits beschäftigten Ehefrauen und Kindern nicht kündigen zu müssen. Ende 1999 lag die Zahl dieser Altfälle laut Landtagsamt erst bei 45.
Landtagspräsidentin Barbara Stamm will keine neue Namensliste veröffentlichen
Chronologie der "Verwandtenaffäre"
15. April: Das Buch "Die Selbstbediener - Wie bayerische Politiker sich den Staat zur Beute machen" von Hans Herbert von Arnim erscheint und tritt die Diskussion um die "Familienaffäre" los. Zwei Tage später diskutiert der bayerische Landtag über Arnims Kritik.
19. April: Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) veröffentlichte eine Liste von 17 Abgeordneten, die bis vor Kurzem rechtmäßig Verwandte ersten Grades beschäftigten.
19. April: Ministerpräsident Horst Seehofer fordert die betroffenen Parteimitglieder auf, die Beschäftigungsverhältnisse mit ihren Familienangehörigen sofort zu beenden. CSU-Fraktionsvorsitzender Georg Schmid und Kultusminister Ludwig Spaenle kündigen daraufhin ihren Ehefrauen.
23. April: Die Summe des Honorars von Georg Schmids Frau wird bekannt: Sie erhielt für ihre Leistungen monatlich zwischen 3.500 und 5.500 Euro brutto.
25. April: Georg Schmid tritt aufgrund des schwindenden Rückhalts in der CSU und des medialem Drucks als Fraktionsvorsitzender zurück. Ein Neuburger Bürger zeigt Georg Schmids Ehefrau Gertrud wegen Scheinselbstständigkeit an.
29. April: Georg Winter tritt als Haushaltsausschussvorsitzender im bayerischen Landtag zurück. Er hatte seine beiden Söhne im Alter von 13 und 14 Jahren sowie seine Frau beschäftigt. Die Staatsanwaltschaft Augsburg prüft Ermittlungen gegen Georg Schmid und seine Ehefrau wegen Scheinselbstständigkeit.
30. April: Münchens Oberbürgermeister und SPD-Spitzenkandidat Christian Ude fordert Schmid und Winter auf, auch ihre Landtagsmandate niederzulegen. Mittlerweile sind 17 Abgeordnete der CSU, zwei der SPD, ein Grüner sowie Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger in die Familienaffäre verwickelt.
2. Mai: Georg Schmid gibt seinen Rückzug aus der Berufspolitik bekannt. Justizministerin Beate Merk, Landwirtschaftsminister Helmut Brunner und Kulturstaatssekretär Bern Sibler räumen ein, enge Verwandte beschäftigt zu haben.
3. Mai: Landtagspräsidentin Barbara Stamm veröffentlicht eine Liste mit 79 Abgeordneten, die nach 2000 Familienangehörige beschäftigt haben oder hatten. Kultusminister Spaenle kündigt an, das volle Gehalt seiner Frau zurückzuerstatten. Ministerpräsident Seehofer fordert betroffene Abgeordnete auf, diesem Beispiel zu folgen.
4. Mai: Fünf Kabinettsmitglieder kommen der Forderung Seehofers nach und wollen dem Staat die Gelder zurücküberweisen.
6. Mai: Ministerpräsident Seehofer stellt seinen Drei-Punkte-Plan zur Überwindung der Familienkrise vor. Das Landtagsamt vertritt die Meinung, dass die Anstellung von Georg Winters Söhnen illegal war. Der will daraufhin das komplette Gehalt seiner Söhne an die Staatskasse zurückzahlen.
7. Mai: Die Anti-Korruptions-Organisation Transparency International fordert alle betroffenen Abgeordneten auf, die Gelder zurückzuerstatten. Die Staatsanwaltschaft Ausburg will gegen den zurückgetretenen CSU-Fraktionschef Georg Schmid nach Angaben des Landtags ein Ermittlungsverfahren einleiten. Die Staatsanwaltschaft Augsburg kommentiert den Bericht vorerst jedoch nicht.
8. Mai: Der Bayerische Oberste Rechnungshof schaltet sich in die Affäre ein. Er will rückwirkend die Vergabe von Abgeordneten-Jobs an Familienangehörige sowie die Neuregelung des Abgeordnetengesetzes prüfen.
23. Februar 2014: Auf dem Höhepunkt der Verwandtenaffäre im Landtag beschließt die CSU einstimmig einen Verhaltenskodex. Der CSU-Ehrenvorsitzende Theo Waigel hatte zusammen mit anderen CSU-Spitzenpolitikern den Kodex für ihre politischen Mandatsträger entwickelt, um Filz- und Amigo-Vorwürfen künftig jede Grundlage zu entziehen.
25. Februar: Der schwäbische SPD-Abgeordnete Harald Güller wird im Rahmen der Verwandtenaffäre wegen Betrugs verurteilt. Er hatte den Sohn seiner Frau aus erster Ehe im Jahr 2009 für zwei Monate beschäftigt und 7500 Euro für Gehalt und Sozialversicherungsbeiträge aus der Landtagskasse gezahlt. Die Richterin argumentierte, dass Güller, der selbst Jurist ist, vorsätzlich gehandelt habe. Güllers Anwalt kündigte Berufung an.
11. Juni: Nach einer Verfassungsklage der SPD werden im Landtag die Summen veröffentlicht, die Kabinettsmitglieder ihren Verwandten bezahlt haben. Bei den fünf Ministern und Staatssekretären der CSU – Helmut Brunner, Ludwig Spaenle, Gerhard Eck, Franz Pschierer und Bernd Sibler – liegt die Gesamtsumme der gezahlten Vergütungen seit 1997 bei über 1,3 Millionen Euro.
25. Juli: Die Staatsanwaltschaft Augsburg erhebt Anklage gegen Georg Schmid. Der frühere CSU-Fraktionschef soll 350.000 Euro Sozialabgaben nicht bezahlt haben. Im Einzelnen lauten die Vorwürfe auf vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt in 262 Fällen sowie Steuerhinterziehung in 59 Fällen. Seiner Frau werden Beihilfe und Steuerhinterziehung vorgeworfen.
Weil sie sich weigert, die Namen der betroffenen Abgeordneten zu nennen, kommt Landtagspräsidentin Barbara Stamm (CSU) nun unter heftigen Druck. Zwei Zeitungen und eine Nachrichtenagentur haben nach Informationen unserer Zeitung bereits Rechtsanwälte eingeschaltet, um die Herausgabe der Namensliste zu erzwingen.
Stamm rechtfertigte ihre Weigerung gestern mit den Ermittlungen des Bayerischen Obersten Rechnungshofs. Sie habe die Namen der insgesamt 79 betroffenen Abgeordneten bereits genannt. Darunter seien selbstverständlich auch jene, die im Jahr 2000 offensichtlich noch nachgemeldet haben. „Es hat jetzt Priorität, dem Rechnungshof alle Unterlagen zu geben, die er benötigt“, sagte Stamm. Weitere eigene Nachforschungen, so sei mit dem ORH vereinbart worden, werde das Landtagsamt nicht mehr anstellen.
Verwandtenaffäre: Horst Seehofer fordert Transparenz
Seehofer fordert Offenheit ...
Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) der in der Affäre wiederholt für Transparenz und klare Regeln plädiert hat, wollte sich gestern nicht weiter in die Angelegenheiten des Landtags einmischen. „Ich halte es für plausibel, dass der Rechnungshof zuerst prüft“, sagte Seehofer, musste aber auch einräumen, dass er von der neuen Entwicklung überrascht sei. „Ich bin nicht im Besitz der Akten, der Informationen.“