Es war eine E-Mail, die den Fall ins Rollen brachte. Eine Nachricht des Oberlandesgerichtes in München an Aqilah S., verschickt am 21. Juli 2014. Darin stand, für die angehende Rechtsreferendarin, die sich fünf Tage zuvor für den juristischen Vorbereitungsdienst beworben hatte, gebe es eine Auflage: Bei Auftritten „mit Außenwirkung“, so hieß es, dürfe sie kein Kopftuch tragen.
Juristin darf mit Kopftuch nicht ihren Dienst absolvieren
Aqilah S. ist gläubige Muslimin. Ihr Vater ist Pakistaner, ihre Mutter Deutsche. Die Auflage empfand sie als respektlos und diskriminierend. Sie durfte während der Ausbildung keine Zeugen in Zivilverfahren vernehmen, im Gegensatz zu anderen Juristen, die ein Referendariat absolvieren. Sie durfte keine Sitzungsdienste der Staatsanwaltschaft übernehmen. Zumindest nicht mit Kopftuch. Man dürfe keine Kleidungsstücke tragen, die geeignet seien, „das Vertrauen in die religiös-weltanschauliche Neutralität der Dienstausübung einzuschränken“, teilte ihr das Gericht mit.
Es im Gerichtssaal abzunehmen, war für die junge Juristin aus Augsburg keine Option. Es sei eine zwingende religiöse Pflicht. Aqilah S. musste die Prozesse in ihrer Ausbildungszeit als Zuhörerin erleben – und klagte schließlich gegen die Kopftuch-Anweisung. Die 2. Kammer des Augsburger Verwaltungsgerichtes gab ihr in einem Urteil vom 30. Juni 2016 recht und entschied, dass die Auflage rechtswidrig war. Das Oberlandesgericht hatte sich auf eine Dienstanweisung des bayerischen Justizministeriums von 2008 berufen, die freilich vom Verwaltungsgericht zerpflückt wurde. Eine Rechtsgrundlage für den Erlass der Auflage habe es nicht gegeben, hieß es im Urteil. Mittlerweile beschäftigt der Fall die nächste juristische Instanz, den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in München.
Verwaltungsgerichtshof entscheidet über Kopftuch-Klage
Dort wird nun am Mittwoch, den 7. März, verhandelt. Die Staatsregierung war nach dem Urteil des Augsburger Gerichtes in Berufung gegangen. „Wir können das Ergebnis so nicht stehen lassen“, sagte Justizminister Winfried Bausback (CSU) damals. Vor Gericht müsse jeder Verfahrensbeteiligte „auf die Unabhängigkeit, die Neutralität und erkennbare Distanz der Richter und Staatsanwälte vertrauen können“. Dieses Vertrauen dürfe schon durch das äußere Erscheinungsbild nicht erschüttert werden.
Aqilah S. hat mittlerweile ihr zweites Staatsexamen absolviert und arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin an der Uni Augsburg. Allzu große Öffentlichkeit wünscht sie sich im Vorfeld des Prozesses nicht; Fragen beantwortet sie per E-Mail. Sie hoffe, schreibt sie, dass in der Berufungsverhandlung fair über die Sache verhandelt werde, um die es konkret gehe: das Recht auf eine „diskriminierungsfreie, gleichberechtigte Berufsausbildung auch beim Staat“. Ihr Vertrauen zum Rechtsstaat wurde durch die Auflage in ihrer Referendariats-Zeit offenbar nicht erschüttert. „Ich bin weiterhin der Ansicht, dass wir ein gutes Rechtssystem haben.“
Augsburger Juristin hat wohl Gesetzesänderung bewirkt
Die Bayerische Staatsregierung plant indes ein neues „Richter- und Staatsanwaltsgesetz“, das demnächst vom Landtag verabschiedet werden soll. Ein Punkt der Neuregelung: Richter, Staatsanwälte, Rechtsreferendare und Schöffen sollen künftig im Gerichtssaal keine „religiös oder weltanschaulich geprägten Symbole oder Kleidungsstücke“ sichtbar tragen dürfen, die „Zweifel an der Unabhängigkeit, Neutralität oder ausschließlichen Bindung an Recht und Gesetz“ hervorrufen könnten.
Im Klartext: keine Kopftücher, keine Kippas, keine sichtbaren Kreuze über der Robe. Ein ähnliches Gesetz hatte im vergangenen Jahr der Landtag von Baden-Württemberg verabschiedet. Der Justizminister des Bundeslandes, Guido Wolf (CDU), hatte im Vorfeld explizit den Fall von Aqilah S. in Augsburg als Anlass für die Neuregelung genannt.
Die Kruzifixe, die in bayerischen Gerichtssälen hängen, sollen von dem Gesetz nicht betroffen sein. Religiös geprägte Kleidung und Symbole durch Richter und Staatsanwälte und das Kruzifix im Gerichtssaal seien „zwei getrennte Fragestellungen“, heißt es vom Justizministerium. Ein Kreuz an der Wand, so lässt sich die Antwort des Ministeriums sinngemäß zusammenfassen, treffe keine Entscheidung. Zudem könne es im Einzelfall abgehängt werden, wenn Verfahrensbeteiligte sich in ihrem Grundrecht der Glaubensfreiheit beeinträchtigt fühlten und darlegten, dass das „Verhandeln unter dem Kreuz“ für sie eine unzumutbare innere Belastung darstelle. Am Amtsgericht in Miesbach hatte ein Richter zuletzt ein Kruzifix von der Wand genommen. Die Entscheidung sorgte für Kontroversen.