Stefanie Bremer richtet deutliche Worte an den Münchner Stadtrat: „Sie operieren hier am Herzen Ihrer Stadt, das sollte Ihnen schon sehr, sehr klar sein.“ Die renommierte Verkehrsplanerin von der Universität Kassel redet Klartext. Die Schaffung einer autofreien Altstadt wird gravierende Auswirkungen haben – weit in die Zukunft hinein. Bremer rät den Lokalpolitikern bei einer Expertenanhörung am Mittwoch deshalb eindringlich: „Wenn Sie buddeln, dann buddeln Sie richtig. Wenn Sie einen Fehler machen, bleibt der 100 Jahre bestehen.“
Warum sich die Münchner vom Begriff "autofrei" verabschieden sollten
Um den drohenden Kollaps auf den Straßen abzuwenden, hatte der Stadtrat im vergangenen Februar mehrheitlich die Verkehrswende beschlossen. Öffentliche Flächen sollen demnach zugunsten von Fußgängern, Radlern und öffentlichen Verkehrsmitteln neu aufgeteilt werden. Doch mit der Abschaffung von Parkplätzen oder Fahrspuren ist es dabei nicht getan.
Die Auswirkungen auf Handel, Tourismus oder Großveranstaltungen müssen genauso bedacht werden wie die Lebensqualität der Einwohner und der Klimawandel. Damit das Ganze ein Erfolg wird, sollten sich die Politiker als Erstes von dem Kampfbegriff „autofrei“ verabschieden, rät Bremer. „Ändern Sie den Titel, machen Sie daraus ein vernünftiges Mobilitätskonzept für die Münchner Innenstadt, dann haben Sie die Leute alle bei sich.“
Auf diese Weise könne man sich unnötige Debatten sparen. Denn dass auch in Zukunft Busse, Taxen, Krankenwagen oder Lieferfahrzeuge durch die Altstadt rollen werden, hatte der Stadtrat von Anfang an klargemacht. Handels-, Handwerks- und Gastronomieverbände fordern jedoch vehement, dass die freie Wahl des Verkehrsmittels für ihre Kunden nicht eingeschränkt werden dürfe.
Wien gilt unter Städteplanern als großes Vorbild
In Wien setzen die Stadtplaner schon lange auf umweltfreundliche Mobilitätsformen. In der österreichischen Hauptstadt liegt der Anteil von Fußgängern, Radlern und Benutzern der öffentlichen Verkehrsmittel inzwischen bei 75 Prozent. Seit einigen Jahren werden zudem gezielt Begegnungszonen geschaffen: Dort dürfen Autos mit 20, manchmal auch 30 Stundenkilometern entlangfahren.
Jedoch sind Fußgänger und Radler gleichberechtigt, alle teilen sich den gleichen Raum – im Optimalfall ohne bauliche Abgrenzungen wie Bürgersteige oder markierte Radwege. „Das funktioniert tadellos, das kann ich Ihnen versichern“, bilanziert Andreas Dillinger von der Wirtschaftskammer Wien. So sei die größte Einkaufsstraße der Stadt, die zuvor auch eine zentrale Verkehrsachse war, in eine Begegnungszone umgewandelt worden. „Man hat gesehen, dass das ein guter Ansatz ist, städtebaulich was zu tun, Verkehr zu reduzieren und den lokalen Handel zu unterstützen.“
Die Stärkung des örtlichen Einzelhandels funktioniert allerdings nur, wenn das Zentrum künftig mehr bietet als Einkaufen, wie der Berliner Landschaftsarchitekt Carlo Becker betont. „Die Innenstadt muss auch nach Geschäftsschluss noch belebt und daher nutzungsgemischt sein.“
München bekommt ein Mobilitätskonzept - aber erst in einiger Zeit
Ein Besuch müsse zum Erlebnis werden: Kultur, Unterhaltung, Wohlfühlorte, urbanes Flair – all dies müsse eine Innenstadt künftig vereinen, um attraktiv zu sein. Und zugleich müsse etwa mit Verdunstungsbeeten und Bäumen dafür gesorgt werden, dass sich die Straßen bei Hitzewellen im Sommer nicht unerträglich aufheizen.
Viel zu tun also für den Münchner Stadtrat und vor allem die Verwaltung, die die Konzepte ausarbeiten muss. Und das durchaus mit Zeitdruck, denn das Thema liegt Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) sehr am Herzen. „Es wird keinen Aktionismus geben, aber es wird Aktionen geben“, macht Reiter deutlich. Sein Wunsch, der Stadtrat möge Bremers Vorschlag aufgreifen und noch in diesem Jahr ein Gesamtkonzept Mobilität verabschieden, führte im Gremium allerdings zu herzhaftem Gelächter. (dpa)