Ein Faltblatt von Bauern erhitzt die Gemüter, es scheint inzwischen fast zum Politikum geworden zu sein. Darin heißt es, der Wolf bedrohe nicht nur die Weidewirtschaft, sondern stelle auch eine direkte Gefahr für den Menschen dar. Umweltschützer protestieren.
"Die Menschen vor Ort können sich nicht mehr frei bewegen und müssen Vorsichtsmaßnahmen ergreifen", so das Szenario in der Veröffentlichung. Almwirtschaft mit Weidehaltung müsse aufgegeben werden. Die Folgen seien weitreichend: Almweiden verbuschten, Menschen verlören ihre Lebensgrundlage, althergebrachtes Wissen und Bräuche wie der Almabtrieb gingen verloren. Das Faltblatt zeigt einen Wolf mit aufgerissenem Maul und gefletschten Zähnen neben einem weißen Lämmchen.
Unverständnis der Naturschützer
Naturschützer reagieren auf die Veröffentlichung mit Unverständnis. "Die Aussagen und Schlussfolgerungen in dem Faltblatt sind sachlich nachweislich falsch beziehungsweise grob verzerrend dargestellt", schrieb die Leiterin des WWF-Projektbüros Große Beutegreifer in Bayern, Christine Miller, an den Miesbacher Landrat Jakob Kreidl. "Der Landkreis übt damit eine gezielte Falsch-Information seiner Bürger aus."
Der Landkreis Miesbach ist in der Veröffentlichung mit sechs anderen Kommunen und 15 Verbänden aufgeführt - unter der Rubrik "Organisationen für eine intakte Kulturlandschaft". Zum Inhalt des Faltblattes will das Amt nicht Stellung nehmen. Dem Landkreis sei es lediglich um die Aussage zum Schutz der Kulturlandschaft gegangen, sagt ein Sprecher.
Das Papier unter dem Titel "Ansiedelung von Wölfen: Haben Schafe, Ziegen und Rinder in den Alpen noch eine Zukunft?" steht im Widerspruch zu den Aussagen von Umweltbehörden. Ihnen zufolge sind Wölfe in aller Regel keine Gefahr für den Menschen. "Wölfe sind eine Bereicherung der heimischen Fauna und sollten in Deutschland wieder ihren Platz finden", heißt es etwa in einem Dokument auf der Seite des Bundesumweltministeriums. Der Herausgeber des Faltblattes, Martin Erhardsberger vom Bayerischen Bauernverband, sagt, das Faltblatt solle ein Gegengewicht zu den Aussagen der Naturschützer setzen.
Der Wolf bleibt spurlos verschwunden
Derweil bleibt der einzelne Wolf spurlos verschwunden, der 2009 rund 130 Jahre nach der Ausrottung seiner Artgenossen eingewandert war. Er hatte mehrere Schafe gerissen. Es wird spekuliert, dass er illegal abgeschossen worden sei. Miller vom WWF ist jedoch überzeugt: "Der nächste Wolf ist schon auf dem Weg."
Der Almwirtschaftliche Verein Oberbayern (AVO) ist ebenso wie der Landkreis Miesbach in dem Faltblatt aufgelistet. "Alle schreien immer: Wir wollen den Wolf", sagt die AVO-Wolfsbeauftragte Brigitta Regauer. "Es wird die ganze Zeit suggeriert: Es ist schön, wenn die Wölfe kommen, und das geht alles ohne Aufwand." Die Bauern müssten eben Zäune bauen, heiße es. Doch so einfach sei es nicht. Schutz vor dem Wolf koste sehr viel Geld. Wo das fehle, trete tatsächlich das skizzierte Szenario ein: Brachliegende Almen, das Vieh in Ställen, Einschränkungen für die Menschen.
Kürzlich erst haben Behörden, Almbauern, Jäger und Naturschützer in Bayern in monatelangem Ringen eine Stufe 2 des sogenannten Wolfs-Managementplanes ausgearbeitet. Er soll unter anderem Entschädigungen und Schutzmaßnahmen regeln, wenn ein Wolf dauerhaft bleibt. Das Papier liegt derzeit im Landesamt für Umwelt und soll noch heuer vorgestellt werden. Gerade deshalb habe das Faltblatt für Verwunderung gesorgt, sagt Miller vom WWF. Einige Almbauern hätten im Sommer mobile Weidezäune ausprobiert, mit denen das Vieh nachts geschützt werden könne. Außerdem habe es einen vielversprechenden Test mit Schweizer Hüte- und Herdenschutzhunden gegeben.
Dem Faltblatt zufolge greifen diese Tiere zum Schutz ihrer Herde aber nicht nur Wölfe an, sondern auch Menschen und andere Hunde. So kommt die Veröffentlichung zu dem Schluss: "Ein wirksamer Schutz der Weidetiere vor dem Wolf ist im bayerischen Alpenraum nicht möglich." Rechtlich ist eine Ansiedelung von Wölfen kaum zu verhindern. Derzeit ist das Tier in der EU streng geschützt. Wölfe dürfen nicht getötet und - sofern sie nicht zur akuten Gefahr werden - nicht einmal vertrieben werden. In Sachsen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg sowie in anderen Alpenländern sind sie längst wieder heimisch. dpa/AZ