Es ist ein Fall, wie er in den Alpträumen von Eltern vorkommt. Ein fremder Mann geht auf der Straße auf Kinderfang. Er missbraucht Kinder, jahrelang unentdeckt. Und er steigert sich, weil er immer tiefer in seiner Gedankenwelt versinkt und seine Hemmungen ablegt. Harry S., ein bis zu seiner Enttarnung angesehener Kinderarzt, wurde für seine Verbrechen mit einer hohen Strafe belegt. Dreizehneinhalb Jahre Haft, dazu Sicherungsverwahrung. Die Nachricht, dass der Bundesgerichtshof dieses Urteil aufgehoben hat, wird bei manchem, der die Justiz kritisch sieht, Kopfschütteln auslösen. Ist das nicht erneut ein Beleg für einen viel zu laschen Rechtsstaat? Ein Hohn für die Opfer?
Nein. Das ist es mitnichten. Die Verteidiger haben ein Rechtsmittel ausgeschöpft, wie es jedem Angeklagten in einem Rechtsstaat zustehen muss. In den allermeisten Fällen bleibt es übrigens beim Versuch. Die meisten Urteile halten einer Überprüfung stand. Im Fall des Kinderarztes gibt es aber zwei Sichtweisen – die man beide nachvollziehen kann. Dass das Verhalten des Kinderarztes im wahrsten Sinne des Wortes „krank“ wahr, liegt auf der Hand. Trefflich streiten kann man über die Frage, wie sehr Harry S. noch Herr seines Handelns war.
Fest steht aber auch: Selbst wenn die Richter im neuen Prozess zum Schluss kommen, dass er vermindert schuldfähig war, muss er dennoch mit einer langjährigen Strafe rechnen. Was noch wichtiger ist: Falls die Sicherungsverwahrung wegfällt und er statt dessen gleich zur Behandlung in eine Klinik kommt, bleibt es dabei. Er kommt erst frei, wenn man ihn für ungefährlich hält. Das zeigt: Was die Opfer und die Sicherheit der Bürger angeht, ist die Justiz nicht blind.
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