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Unterwegs-Serie: Roggenburg: Ein Tor in die Vergangenheit

Unterwegs-Serie

Roggenburg: Ein Tor in die Vergangenheit

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    Von links: Hans, Inge und Michael Blum restaurieren ein altes Schild, das schon vor Jahrhunderten an ihrem Gasthaus "Alte Roggenschenke" hing. Eine Nachbarin hatte das Schild aus dem Sperrmüll gerettet und der Familie geschenkt.
    Von links: Hans, Inge und Michael Blum restaurieren ein altes Schild, das schon vor Jahrhunderten an ihrem Gasthaus "Alte Roggenschenke" hing. Eine Nachbarin hatte das Schild aus dem Sperrmüll gerettet und der Familie geschenkt. Foto: Angela Effenberger

    Geschichten liegen auf der Straße, heißt es. Das stimmt natürlich nicht ganz. Man muss sie suchen, muss Menschen finden, die sie erzählen. Das tun wir mit dieser Serie. Unsere Reporter fahren durchs Verbreitungsgebiet unserer Zeitung und bringen Geschichten mit. Reiseziele und Gesprächspartner bestimmt der Zufall.

    Horst Köhler war hier, Theo Waigel sowieso. Und jetzt hat es auch mich nach Roggenburg verschlagen. Das Kloster wirkt wie ein Magnet. Wie könnte es auch anders sein. Das gepflegte Gemäuer ist gewissermaßen das Zentrum des kleinen Dorfes im Landkreis Neu-Ulm. Doch ich wehre mich gegen dessen Anziehungskraft. Ich möchte mehr erfahren über die Gemeinde und ihre Einwohner. Also kehre ich den alten Gemäuern den Rücken.

    Es ist ruhig. So unglaublich ruhig. Nur ein paar Vögel zwitschern. Vor mir liegt ein kleiner Weiher. Er ist umringt von kahlen Bäumen und Sträuchern. Der Frühling ist hier in Roggenburg noch nicht wirklich angekommen. Keine Spaziergänger, keine Radfahrer. Nur ab und an rauscht ein Auto auf der Hauptstraße vorbei. Der rote Schriftzug an einem Haus weckt meine Aufmerksamkeit. "Alte Roggenschenke" steht mit geschwungener Schrift darauf.

    Ein gewagter Schritt

    Ich nehme die paar Stufen zur Gastwirtschaft und stehe vor einer mächtigen alten Holztüre mit metallenen Verzierungen. Das Ehepaar Hans und Inge Blum begrüßt mich. Es hat das alte Gasthaus 1997 gekauft. Ein gewagter Schritt.

    Die wuchtige Holztür stand einst im Schloss nebenan. Doch der Schlossherr wollte "das alte Ding" nicht mehr. Im Gasthaus fand sie einen neuen Platz. "Es soll hier alles so aussehen, wie es früher war", sagt die Wirtin. Wie damals, 1670, als das Gebäude als Gästehaus des Klosters erbaut wurde. Ich entdecke alte Gänge und Nischen, die jahrelang zugemauert waren und erst während des Umbaus freigelegt wurden.

    Die Blums zeigen mir ein altes Schild, das schon vor Jahrhunderten am Wirtshaus hing und das sie nun wieder herrichten wollen. Eine Nachbarin hatte die verwitterte Tafel vor Jahren aus dem Sperrmüll gezogen. Ein Bild an der Wand erinnert an einen "berühmten Gast", auf den die Blums besonders stolz sind: den "Bayerischen Hiasl". 1769 hat Matthäus Klostermayr, wie der Wilderer und Anführer einer Räuberbande eigentlich hieß, sich von dort über den Abt des Klosters und seine vergeblichen Versuche, den "Bayerischen Hiasl" zu fangen, lustig gemacht. Ich merke: Die Roggenburger sind stolz auf ihre Geschichte. Und da sind sie nicht die Einzigen.

    Die Familie schickt mich weiter, in den Ortsteil Meßhofen. Ich muss sofort an das bekannte Bier denken und bin gespannt, was dieser Ort sonst noch zu bieten hat. Ludolf Karletshofer erwartet mich schon in seinem Hof. "Die Familie Blum hat angerufen und sie angekündet", ruft er mir entgegen. Der Nachbarschaftsfunk funktioniert also. Karletshofer, Vorsitzender des Heimatvereins, beschäftigt sich detailliert mit der Geschichte der Gemeinde. Seit 1981 verteilt sein Verein dreimal jährlich das "Roggenburger Geschichtsblättle". Der Vorsitzende bewahrt sie alle in einem dicken weißen Ordner auf. Jedes Blatt hat er sorgsam in eine Folie gepackt. Ein akribisch geführtes Inhaltsverzeichnis hilft dem ehemaligen Landwirt, den Überblick zu behalten. Ich beobachte ihn, wie er langsam den Ordner durchforstet.

    Im "Blättle" wird nur über Personen und Ereignisse berichtet, über die man in der Gemeinde heute noch spricht. Wie der Hungergulden von 1501. Damals musste sich der Abt des Klosters 1000 Gulden beim Ulmer Bürgermeister leihen und an die hungernde Bevölkerung verteilen. Das Kloster stand tief in der Schuld der Ulmer, schließlich war ein Gulden damals so viel wert wie ein Kalb. Inzwischen sind die Schulden abgestottert, erzählt der 63-Jährige. Auch Kriminalfälle schaffen es in das Geschichtsbuch. Wie der Mord an einem Landwirt im Jahr 1926. Seitdem erinnert ein Kreuz an diese schreckliche Tat. Und diese Erinnerung soll gepflegt werden.

    Paten für Feldkreuze

    Deshalb sucht der Verein nach Paten für Feldkreuze und Marterln. Karletshofer findet: "Die Leute sollen doch wissen, warum das Feldkreuz dort steht und welche Geschichte dahintersteckt." Es gibt bereits 17 freiwillige Helfer, die die zahlreichen Ruhebänkchen in der Gemeinde pflegen. Gras mähen, die Sträucher zuschneiden und Schäden melden gehört zu ihren Aufgaben. Es ist mittlerweile Abend und meine Erkundungstour durch Roggenburg ist beendet. Erst beim Heimweg fällt mir auf, wie viele Ruhebänke und Feldkreuze am Wegesrand stehen. Bei jedem einzelnen frage ich mich, welche Geschichte wohl dahintersteckt. Angela Effenberger

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