Im Fall des seit Jahren zwangsweise in der Psychiatrie untergebrachten Gustl Mollath hat sich Justizministerin Beate Merk (CSU) gegen anhaltende massive Kritik verteidigt. Von Untätigkeit oder Versäumnissen ihrerseits oder ihres Ministeriums könne keine Rede sein, sagte Merk am Freitag im Mollath-Untersuchungsausschuss des Landtags. Vielmehr habe sie sofort und sehr schnell gehandelt, als dies rechtlich möglich gewesen sei.
Eventuelles Fehlurteil lässt Merk keine Ruhe
Als es im November 2012 "massive Zweifel an tragenden Feststellungen" im Gerichtsurteil gegen Gustl Mollath gegeben habe, habe sie innerhalb einer halben Stunde einen Wiederaufnahmeantrag angeordnet, betonte die Justizministerin. Vorher sei dies nicht möglich gewesen - weil die Wiederaufnahme eines Verfahrens eben nur unter ganz engen rechtlichen Voraussetzungen möglich sei. Zudem sagte Merk, sie habe auch ein Gutachten eines neuen, externen Experten über Mollath vorgeschlagen - das habe dieser aber abgelehnt.
Merk sagte in der Sitzung erstmals, dass sie Mollaths Schicksal nicht kalt lasse: "In meinen Einlassungen und Argumentationen zu diesem Fall wurde nicht erkennbar, dass mich menschlich und persönlich das Schicksal eines Menschen, der seit nun bald sieben Jahren in der Psychiatrie untergebracht ist, bewegt." Das sei wohl ihrem Amt als Justizministerin geschuldet. Merk betonte deshalb: "Wichtig ist mir, dass aufgeklärt wird, ob Herrn Mollath zu Recht oder zu Unrecht die Freiheit entzogen wurde." Das damalige Urteil sei schnell als Fehlurteil bezeichnet worden, sagte sie und fügte hinzu: "Sie können mir glauben, sowas lässt mir keine Ruhe."
Schwarzgeldgeschäfte im Fall Mollath
Mollath war 2006 wegen Gemeingefährlichkeit gegen seinen Willen in die Psychiatrie eingewiesen worden - weil er, so das damalige Urteil, seine Frau schwer misshandelt und die Reifen Dutzender Autos zerstochen habe. Mollath selbst und seine Unterstützer glauben, er sei Opfer eines Komplotts geworden, weil er Schwarzgeldgeschäfte in Millionenhöhe aufgedeckt habe.
Mollath hatte seine damalige Frau, weitere Mitarbeiter und Kunden der HypoVereinsbank beschuldigt, in Schwarzgeldgeschäfte verwickelt zu sein. Die Staatsanwaltschaft hatte keine Ermittlungen eingeleitet. Laut einer internen Untersuchung der Bank trafen jedoch einige von Mollaths Vorwürfen zu. Merk betonte im Ausschuss nun, die Vorwürfe wegen Schwarzgeldverschiebungen hätten sich gerade nicht bestätigt.
Chronologie des Falls Mollath
Ab 2006 saß der Nürnberger Gustl Mollath in der Psychiatrie. Hier eine Chronologie des Falles:
November 2002: Gustl Mollath wird von seiner Frau wegen Körperverletzung angezeigt. Er soll sie im August 2001 ohne Grund mindestens 20-mal mit den Fäusten geschlagen haben. Außerdem habe er sie gebissen, getreten und sie bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt.
Mai 2003: Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth erhebt Anklage wegen gefährlicher Körperverletzung und Freiheitsberaubung.
September 2003: Die Hauptverhandlung beginnt vor dem Amtsgericht Nürnberg. Im April 2004 wird sie fortgesetzt. Ein Gutachter attestiert dabei Mollath erstmals gravierende psychische Störungen.
Dezember 2003: Mollath erstattet Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth gegen seine Frau, weitere Mitarbeiter der HypoVereinsbank und 24 Kunden wegen Steuerhinterziehung, Schwarzgeld- und Insidergeschäften.
Februar 2004: Die Anzeige wird von der Staatsanwaltschaft abgelegt. Begründung: Es gebe nur einen pauschalen Verdacht. Die Angaben seien zu unkonkret, als dass sie ein Ermittlungsverfahrens rechtfertigen würden.
Juni 2004: Mollath wird gegen seinen Willen zur Begutachtung ins Bezirkskrankenhaus Erlangen gebracht, kommt aber schon kurz darauf wieder frei. Im Februar 2005 wird er in das Bezirkskrankenhaus Bayreuth eingewiesen. Dort bringt er fünf Wochen zu.
August 2006: Das Landgericht Nürnberg spricht Mollath von den Vorwürfen der Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Sachbeschädigung frei. Aber die Strafkammer Mollaths ordnet Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, weil er eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle.
Februar 2007: Der Bundesgerichtshof verwirft die Revision als unbegründet.
März 2012: Die bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU) sagt im Rechtsausschuss des Landtags, Mollaths Strafanzeige wegen der Bankgeschäfte seiner Frau sei «weder Auslöser noch Hauptanlass noch überhaupt ein Grund für seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gewesen». Seine Vorwürfe gegen die Bank hätten keinen begründeten Anfangsverdacht für Ermittlungen ergeben.
November 2012: Ein interner Revisionsbericht der HypoVereinsbank aus dem Jahr 2003, dessen Inhalt erst jetzt publik wird, bestätigt, dass ein Teil von Mollath Vorwürfe zutreffend war. Die Freien Wähler fordern Merks Rücktritt und einen Untersuchungsausschuss im Landtag.
30. November 2012: Merk will den Fall Mollath komplett neu aufrollen lassen. Grund war die mögliche Befangenheit eines Richters.
18. März 2013: Die Staatsanwaltschaft Regensburg beantragt die Wiederaufnahme des Verfahrens. Sie stützt sich dabei auf «neue Tatsachen», die dem Gericht bei der Verurteilung im Jahr 2006 noch nicht bekanntgewesen seien. Entscheiden muss das Landgericht Regensburg.
26. April 2013: Der Mollath-Untersuchungsausschuss tritt erstmals zusammen.
28. Mai 2013: Das Landgericht Regensburg lehnt eine Entscheidung über Mollaths Psychiatrie-Unterbringung vor der Prüfung des Wiederaufnahmeantrags ab.
12. Juni 2013: Das Landgericht Bayreuth ordnet an, dass Mollath mindestens noch ein weiteres Jahr und damit bis 2014 in der Psychiatrie bleiben muss.
06. August 2013: Mollath kommt frei. Das OLG Nürnberg ordnet die Wiederaufnahme des Falls an und verfügt, dass diese an einer anderen Kammer des Landgerichts Regensburg stattfinden muss.
05. September 2013: Die Verfassungsbeschwerde Mollaths ist erfolgreich. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gab seiner Beschwerde gegen Beschlüsse des Landgerichts Bayreuth und des Oberlandesgerichts Bamberg statt. Die Beschwerde sei offensichtlich begründet, hieß es.
19. Dezember 2013: Das Landgericht Regensburg teilt mit, dass das Wiederaufnahmeverfahren gegen Mollath am 7. Juli 2014 beginnt.
13. Januar 2014: Die Nürnberger Staatsanwaltschaft hat die Ermittlungen gegen die Ex-Frau von Gustl Mollath eingestellt. Mollath hatte seine frühere Ehefrau im August 2013 angezeigt, weil sie in einem Verfahren über die Gewährung von Prozesskostenhilfe 2008 nicht die Wahrheit gesagt habe. Dafür ergaben sich laut Staatsanwaltschaft aber keine Anhaltspunkte.
28. April 2014: Gustl Mollath will das Oberlandesgericht Bamberg mit einer weiteren Verfassungsbeschwerde zwingen zu verkünden, ab wann er unrechtmäßig in der Psychiatrie gesessen habe. Hintergrund ist ein Beschluss des OLG Bamberg aus dem Jahr 2011, nach dem Mollath weiter in der Psychiatrie bleiben musste. Das Bundesverfassungsgericht hatte zuvor entschieden, dass dadurch Mollaths Grundrecht auf Freiheit verletzt worden war.
07. Juli 2014: Vor dem Landgericht Regensburg beginnt das Wiederaufnahmeverfahren gegen Mollath.
08. August 2014: Die Staatsanwaltschaft fordert in ihrem Plädoyer einen Freispruch für Gustl Mollath. Dabei ist der Anklagevertreter jedoch von der Schuld des 57-Jährigen überzeugt. Die Verteidigung verlangt einen Freispruch "ohne Wenn und Aber". Mollath selbst weist die Vorwürfe zurück.
14. August. 2014: Das Landgericht Regensburg spricht Gustl Mollath frei. dpa
Denn auch ein bei der HypoVereinsbank tätiger Schlüsselzeuge hatte am Vortag im Ausschuss Mollaths Schwarzgeldvorwürfe nicht bestätigt. Er schloss aber auch nicht aus, dass es illegale Geldtransfers in die Schweiz gegeben haben könnte. "Ob es sich dabei um Schwarzgelder handelte, können wir von der Revision weder bestätigen noch nicht bestätigen", sagte der HVB-Prüfer Herrmann-Albrecht Heß.
Merk habe im Fall Mollath sofort gehandelt
Die Staatsanwaltschaft Regensburg und Mollath haben inzwischen beantragt, das Nürnberger Verfahren neu aufzurollen - unter anderem deshalb, weil es Zweifel an der Unbefangenheit des Richters gibt. Dieser Wiederaufnahmeantrag wird derzeit vom Landgericht Regensburg geprüft. Am Dienstag hatte Mollath selbst im Ausschuss ausgesagt.
Merk verwies mehrfach auf die Unabhängigkeit der Justiz - und diese habe sie als Ministerin ganz besonders zu respektieren. Das Ministerium sei keine "Über-Staatsanwaltschaft". "Wir wollen keine politisierte Staatsanwaltschaft." Als es im November 2012 "einen ausreichenden tatsächlichen Anlass und die rechtlichen Möglichkeiten" für ein Eingreifen gegeben habe, habe sie sofort gehandelt. Spekulationen, sie sei erst auf Intervention von Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) tätig geworden, wies sie zurück. Sie habe Klarheit haben wollen und keinen "Schubs" gebraucht.
Zu den Schwarzgeld-Vorwürfen Mollaths sagte Merk, dieser habe damals keine zureichenden, tatsächlichen Anhaltspunkte für den Anfangsverdacht einer Straftat vorgetragen. Mollath habe nur Pauschalvorwürfe erhoben und keine konkreten Angaben gemacht. Es habe damals auch keine Forderungen aus den Reihen der Landtagsfraktionen gegeben, "dass die Justiz weiter tätig werden müsste", sagte Merk - und betonte zudem: "Ich sehe auch heute damals keinen Fehler."
Opposition kritisiert Merk massiv
Vorwürfe, im Landtag die Unwahrheit gesagt zu haben, wies sie zurück. Sie habe das Parlament nicht belogen oder ihm etwas verheimlicht, sondern es über alle relevanten Fakten informiert.
Die Opposition dagegen erneuerte ihre massive Kritik. Merk habe den Landtag über Jahre hinweg nur mit Teilen der Wahrheit bedient, sagte Grünen-Fraktionschef Martin Runge. Und auch vor dem Untersuchungsausschuss habe sie lediglich "vernebelt und abgelenkt". Merk sei als Justizministerin nicht mehr länger tragbar, sagte er.
Vize-Ausschusschef Florian Streibl (Freie Wähler) kritisierte, die Justizbehörden versuchten weiter, die Fehler im Fall Mollath, die im Laufe der Jahre passiert seien, zu verdecken. Inge Aures (SPD) sagte: "Ministerin Merk redet sich nach wie vor alles schön." dpa/lby