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Unterbringung: Problemfall Unterkunft: "Selbst Tiefgaragen wären eine Notlösung gewesen"

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Problemfall Unterkunft: "Selbst Tiefgaragen wären eine Notlösung gewesen"

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    Beispielhaft für die provisorischen Unterkünfte in der Flüchtlingskrise 2015: Ein Zeltlager für Flüchtlinge in Dresden.
    Beispielhaft für die provisorischen Unterkünfte in der Flüchtlingskrise 2015: Ein Zeltlager für Flüchtlinge in Dresden. Foto: Arno Burgi , dpa (Symbolbild)

    Es sind Bilder, die sich bis heute in die Köpfe der Menschen eingebrannt haben: Feldbetten, dicht an dicht aneinandergereiht. Matratzenlager in Turnhallen und Kongresszentren. Zeltstädte auf Parkplätzen und Wiesen. Familien mit Kindern, alle gemeinsam in einem Wohncontainer. Über Wochen.

    Großer Andrang in der Flüchtlingskrise 2015: Wohin mit all den Menschen?

    Auch Thomas Karmasin denkt mit einem beklemmenden Gefühl an diese Zeit zurück. Daran, wie im Jahr 2015 hunderttausende Flüchtlinge nach Deutschland kamen. Fünf Jahre später sagt der Vizepräsident des Bayerischen Landkreistages und Landrat im Landkreis Fürstenfeldbruck: „Die Lage war dramatisch. Und die drängendste Frage: Wo sollten diese Menschen alle untergebracht werden?“ Die Antwort darauf lautete bundesweit in der Regel: Sammelunterkünfte. „Angesichts des angespannten Wohnungsmarktes in Deutschland schienen sie das zentrale Mittel zu sein, um die Situation irgendwie zu stemmen“, sagt Migrationsforscher Professor Jochen Oltmer von der Universität Osnabrück.

    Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise wurden bundesweit beispielsweise etwa 1000 Sporthallen zu provisorischen Flüchtlingsunterkünften umfunktioniert. „Auch wir in Fürstenfeldbruck waren zeitweise sogar so voll und verzweifelt, dass selbst gut isolierte Tiefgaragen eine Notlösung gewesen wären.“

    Wer bezahlt, wann und vor allem wie lange? Kommunen wurden finanziell stark belastet

    Aber auch die Frage, wie die Städte und Gemeinden für die Unterbringung der Flüchtlinge bezahlen sollten, wurde zu einem Problem. „Es waren unglaublich hohe Kosten, die Städte und Gemeinden in aller Schnelle übernehmen mussten“, erklärt Migrationsforscher Oltmer. „Und es kam auch zu Konflikten zwischen den Kommunen, da sich einige stärker belastet fühlten als andere, weil ihnen mehr Schutzsuchende zugewiesen wurden.“ Zumal lange Zeit nicht klar gewesen sei, was Bund und Länder übernehmen würden. Und wann.

    Das Wann, das war für viele Kommunen ebenfalls ein großes Problem. Beziehungsweise das Wie lange. Denn keiner konnte 2015 abschätzen, wie lange die Flüchtlingskrise andauern würde. „Diese angespannte Zeit war geprägt durch Warten. Auf Veränderungen, politische Entscheidungen, auf einen Wandel“, sagt Oltmer. Und immer die Fragen: Wie viele Menschen kommen noch? Wie viele Kapazitäten müssen wir noch schaffen?

    So läuft ein Asylverfahren ab

    Ob ein Flüchtling in Deutschland bleiben darf oder nicht, entscheidet sich oft in einer persönlichen Anhörung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Das Gespräch gilt als wichtigster Termin im Asylverfahren.

    Antragsteller sollen Lebensumstände, Reiseroute und Verfolgungsschicksal schildern. Bei jedem Antrag prüft das Bundesamt, ob eine der Schutzformen vorliegt: Asylberechtigung, Flüchtlingsschutz, subsidiärer Schutz oder Abschiebeverbot.

    Gegen abgelehnte Bescheide können Betroffene klagen. Erste Instanz ist das Verwaltungsgericht. Bei einer Niederlage ist der Gang vor das Oberverwaltungsgericht oder den Verwaltungsgerichtshof möglich – falls die Klage zugelassen wird. Letzte Instanz des Revisionsverfahrens ist das Bundesverwaltungsgericht.

    Das Warten prägte aber natürlich nicht nur die Wochen und Monate der Politiker, Verwaltungsmitarbeiter, Betreiber und Sozialarbeiter, die in den Städten und Gemeinden für den Bau und den Betrieb der Unterkünfte zuständig waren. Sondern auch den Alltag der Flüchtlinge, die in den Gemeinschaftsunterkünften untergebracht waren und die sich wünschten, in Deutschland bleiben zu dürfen. Deren Hoffnung oft in Frustration umschlug, in Wut und manchmal sogar in Gewalt ausartete. „Auch wir haben das in unseren Einrichtungen beobachtet“, sagt Karmasin. „Vor allem bei den Personen ohne Bleibeperspektive.“

    Die Flüchtlingskrise brachte auch Gewalt in die Städte

    Auch Migrationsforscher Jochen Oltmer sagt: „Wenn wir über die Unterkünfte sprechen, müssen wir natürlich auch das Thema Konflikte thematisieren.“ Konflikte mit Betreibern, zwischen ehrenamtlichen und hauptamtlichen Mitarbeitern, mit Anwohnern, unter den Bewohnern – und natürlich auch mit Gegnern der Asylpolitik. Über solche Fälle wurde damals zuhauf berichtet: über protestierende Anwohner, über Massenschlägereien und Gewalttaten unter den Bewohnern. Über Brandanschläge und Schmierereien. Zum Beispiel als zwei Männer im fränkischen Vorra eine Asylbewerberunterkunft in Brand steckten. Oder in Donauwörth, wo es immer wieder Tumulte und Auseinandersetzungen zwischen den Bewohnern einer Sammelunterkunft gab.

    Zwei Jahre lang, erinnert sich Thomas Karmasin, war die Lage brisant. Gerade in dieser Zeit waren viele Unterkünfte überbelegt. Er blickt zurück: „Erst Ende 2016 haben wir eine Entlastung gespürt.“ Aufgeheizte Stimmungen klangen ab, eine erste Anspannung begann sich zu lösen und viele Konflikte verloren an Dynamik. Migrationsforscher Oltmer bestätigt diese Beobachtung: „Im Nachhinein sehen wir, dass vor allem 2015 und weniger schon 2016 die spektakulärsten Jahre der Zuwanderung waren.

    An der Grenze zwischen Sudan und Lybien wurde eine Gruppe von Flüchtlingen bereits im Mai 2014 aus der Wüste gerettet.
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    Die Flüchtlingskrise von 2015 spaltete die Gesellschaft. Wir zeigen bewegende Bilder über eine Zeit, die in Erinnerung bleiben wird.

    Nach Sperrung der Balkanroute kamen dann deutlich weniger Menschen nach Deutschland.“ Seitdem hätten auch die Gemeinschaftsunterkünfte immer mehr an Bedeutung in der Öffentlichkeit verloren – und auch die Diskussionen über Hygiene, Müll oder Wachpersonal seien weniger geworden. Zahlen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge belegen dies: Demnach lebten 2018 etwa 75 Prozent der Geflüchteten – anerkannte, geduldete und Personen, bei denen das Verfahren noch läuft – in Privatwohnungen. Man könne davon ausgehen, dass dieser Anteil mittlerweile noch höher ist, vermutet Oltmer.

    Sammelunterkünfte für Flüchtlinge sind auch in der Coronakrise ein Problem

    Im Frühling dieses Jahres kam dann jedoch ein ganz neues Problem hinzu, das die öffentliche Aufmerksamkeit erneut auf das Thema Sammelunterkünfte für Flüchtlinge lenkte: das Coronavirus. „Das wird vor allem für die großen Unterkünfte, die es nach wie vor gibt, zu einem Problem“, sagt Landrat Karmasin. „Dort breitet sich das Virus viel schneller aus. Edle Gemüter fordern immer wieder Einzelunterkünfte für alle. Aber das ist angesichts der angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt nicht realistisch.“

    Auch wenn insgesamt die Bedeutung der Sammelunterkünfte geringer geworden sei, sagt Migrationsforscher Oltmer, seien sie nicht verschwunden. „Nach wie vor leben dort viele Menschen auf engem Raum zusammen, Kontakte lassen sich kaum vermeiden, Hygiene- und Schutzmaßnahmen sind schwer umzusetzen.“

    Coronavirus in Unterkünften: Für Menschen in Einrichtungen gibt es keinen Ausweg

    Oltmer beklagt, dass es bislang kaum verlässliche Daten darüber gebe, wie hoch das Ansteckungsrisiko in den Einrichtungen sei. Er sieht dort einen Nachholbedarf. „Wir brauchen mehr Informationen, Daten und wissenschaftliche Studien, mit denen wir eine Strategie für die Unterkünfte entwickeln können.“ Seit Wochen spreche ganz Deutschland übers Skifahren, über Reisen und Partys. „Aber in den Unterkünften herrschen ganz besondere Bedingungen, über die wir faktisch nie reden.“ Denn für die Menschen in den Einrichtungen gebe es keine Auswege, keine Rückzugsmöglichkeiten, um Kontakte zu anderen Menschen zu verhindern.

    Die Zeltstädte sind mittlerweile abgebaut, die Feldbetten ebenso. In den Turnhallen wird wieder Sport gemacht – doch die Probleme bleiben. Ebenso wie die schlimmen Bilder der Flüchtlingskrise, die viele Deutsche nicht mehr vergessen können.

    Dieser Text ist Teil unserer Themenwoche "5 Jahre Flüchtlingskrise - Wir schaffen das". Alle Artikel finden Sie hier.

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