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Interview: Uns fehlt das Miteinander: Welche Folgen hat das?

Interview

Uns fehlt das Miteinander: Welche Folgen hat das?

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    "Bayerisch Tanzen" wie hier in Augsburg fällt derzeit aus.
    "Bayerisch Tanzen" wie hier in Augsburg fällt derzeit aus. Foto: Archivfoto: Marcus Merk

    Herr Fassl, das beliebte „Bayerisch Tanzen“ muss nun schon lange ausfallen, auch im Chor singen, in einer Kapelle musizieren geht nicht mehr. Sie sind der Heimatpfleger für den Bezirk Schwaben, welche Folgen für die Traditionspflege hat diese Krise?

    Peter Fassl: Die von Ihnen angesprochenen Bereiche, die für unsere Kultur in Bayerisch-Schwaben von prägender Bedeutung sind, mussten natürlich komplett heruntergefahren werden. Was weiter wichtig und auch möglich bleibt, ist das individuelle Üben eines Musikinstrumentes. Und teilweise findet Musikunterricht auch online statt. Das entscheidende Element aber fehlt: das Soziale, das direkte Miteinander. Das ist es, was jetzt so viele Musiker, Tänzer, Sänger, aber auch die Schauspieler unserer Amateurtheater vermissen und was mit nichts zu ersetzen ist. Das soziale Element ist die Grundlage von vielen kulturellen Bereichen und gerade diese Basis wurde radikal eingeschränkt.

    Heimatpfleger Peter Fassl sagt: Das entscheidende Element, das Soziale, fehlt.
    Heimatpfleger Peter Fassl sagt: Das entscheidende Element, das Soziale, fehlt. Foto: Ralf Lienert

    Durch die aktuellen Lockerungen könnten aber befreunde Musiker jetzt wenigstens wieder zusammen spielen.

    Fassl: Also bei der Musik kann ich mir gut vorstellen, dass sich viele wieder auf die Ursprünge der Volksmusik besinnen. Ich glaube und bin mir eigentlich sicher: Jetzt ist die Zeit der Hausmusik. Die Menschen, die sich der Musik verschrieben haben, machen um sich oft kein großes Aufsehen, daher hört man davon nicht viel. Aber sie spielen und singen nun verstärkt in der Familie.

    Viele Menschen entdecken das Musizieren wieder für sich

    Eine schöne Vorstellung, dass jetzt sogar verstärkt musiziert wird...

    Fassl: Ja, ich glaube schon. Auch, weil viele Menschen gerade jetzt in so einer Krise die Möglichkeit des Musizierens erst wieder für sich entdecken, da viele mehr Zeit haben, auch zum Nachdenken: Was ist mir wirklich wichtig? Welche Kontakte sind vielleicht sogar verzichtbar und welche Aktivitäten eigentlichen oberflächlich? Was fehlt mir und warum? Das kann ein positiver Konzentrationsprozess sein. Sie erleben ja auch eine Rückbesinnung auf die Schönheiten der Natur vor der eigenen Haustüre.

    Der Landesbund für Vogelschutz beobachtet ein deutlich gestiegenes Interesse an Vögeln.

    Fassl: Das glaube ich sofort. Jetzt wird das Heimatgefühl und die Heimat neu entdeckt. Weil viele Menschen wieder sehen, was in ihrer unmittelbaren Umgebung eigentlich alles Herrliche wächst, welche Formen die Landschaft hat, welche Vögel da so schön jeden Tag singen, wie reich an Schätzen unserer heimischen Flora und Fauna ist. Es ist die Zeit, in der die Schönheiten, die ansonsten so oft übersehen werden, wieder bewusst wahrgenommen werden.

    Dann hat die Krise für Sie als Heimatpfleger auch viel Gutes.

    Fassl: So gesehen, ja. Und viele werden auch erkennen: So gerne und so intensiv sie sich in einer virtuellen Realität bewegen, das Virtuelle kann das direkte soziale Miteinander nicht ersetzen. Sie können nun mal nicht virtuell Fußball spielen, sie können nicht virtuell in einer Kapelle musizieren – wir sind Menschen und wir brauchen andere Menschen und das direkte Erleben von Natur und Kultur.

    Das Vereinsleben könnte intensiver aufleben

    Was hat diese persönliche Erkenntnis für Folgen? Werden die Vereine nach der Krise mehr Zulauf haben?

    Fassl: Ich kann mir gut vorstellen, dass das Vereinsleben wieder intensiver aufleben wird. Vielleicht werden wir aber auch künftig kleinere Formen erleben. Interessant ist, dass Nachbarschaften anders gesehen werden: Von Beginn der Krise an entstanden beispielsweise Einkaufshilfen. Viele lernten erst jetzt ihre Nachbarn kennen, das bietet neue Chancen des Miteinanders. Vielleicht finden so sogar Menschen zueinander, die gemeinsam beispielsweise musizieren. Und viele Bräuche lassen sich auch im Kleinen pflegen.

    Nennen Sie doch bitte Beispiele.

    Fassl: Das fängt doch schon beim Essen an. Gerade das gemeinsame Essen ist ein wichtiger sozialer Akt mit langer Tradition. Und wer sich ein wenig mit dem religiösen Kalender beschäftigt, wird sehen, dass an besonderen Tagen bestimmte Speisen auf den Tisch kommen: Am Gründonnerstag etwa eine grüne Suppe, am Martinstag eine Gans. Bemerkenswert ist, dass die Hefe in der Corona-Krise ausgegangen ist. Das zeigt doch, dass in vielen Haushalten wieder bewusst und mehr gebacken wird. Und gerade das Backen des eigenen Brotes hat eine lange Tradition. Hinzu kommt, dass sich mit der intensiveren Naturwahrnehmung auch das Bewusstsein für regionale Produkte, saisonales Einkaufen und Konsumieren mit den Produkten der jeweiligen Jahreszeit bei vielen Menschen wieder verstärkt.

    Kleine Theater haben es besonders schwer

    Das sind die guten Seiten. Sie haben aber auch die Amateurtheater angesprochen. Überleben sie die Krise?

    Fassl: Sie sind in einer ausgesprochen schwierigen Lage. Man darf nicht vergessen: Hinter unseren vielen kleinen Amateurtheatern steckt ein enormes Engagement. Da sind ja nicht nur Schauspieler beteiligt, sondern beispielsweise auch Schneiderinnen und Menschen, die sich ums Bühnenbild kümmern. Und die Amateurtheater leben ausschließlich von den Einnahmen bei Aufführungen, sie bekommen keine andere finanzielle Unterstützung – und diese Einnahmen fallen jetzt ersatzlos weg. Folgenlos geht so eine Krise an den Amateurtheatern nicht vorbei.

    Welche Folgen erwarten Sie für die Amateurtheater?

    Fassl: Das wird sich erst noch zeigen. Sie können die Abstandsregeln weder bei den Schauspielern noch im Publikum im Moment einhalten. Ich glaube nicht, dass es später einfach ein Zurück zu vor der Krise geben wird. Vielleicht wird erst einmal mit Stücken in ganz kleinen Besetzungen und vor kleinem Publikum wieder gestartet. Vielleicht werden auch Themen aufgegriffen, die Erfahrungen aus der Krise widerspiegeln. Da darf man gespannt sein, weil hier sehr kreative Leute am Werk sind.

    Künstler arbeiten die Krise auf

    Das ist nicht nur bei den Theatern so.

    Fassl: Natürlich nicht, es wird generell interessant werden, wie die Künstler in unserer Region die Krise in ihren Werken verarbeiten. Künstler nehmen eine entscheidende Rolle bei der geistigen Gesamtaufarbeitung so einer Krise ein. Und dann darf man nicht die historische Auseinandersetzung vergessen: Die Krise regt zu neuen landes- und ortsgeschichtlichen Forschungen an.

    Was passiert hier genau?

    Fassl: Es gibt eigentlich bis heute kein Menschenleben, das sich nicht mit einer Epidemie beschäftigen muss. So hat beispielsweise allein die Cholera in Augsburg 1854 knapp 1200 Tote bei etwa 40.000 Einwohnern gefordert. 1918 folgte die Spanische Grippe mit vielen Toten. Ein Blick zurück in die Medizingeschichte zeigt: Bis ins letzte Drittel des 19. Jahrhunderts waren Menschen Epidemien im Grunde völlig hilflos ausgeliefert.

    Auch jetzt fehlen noch wirksame Medikamente und ein Impfstoff.

    Fassl: Ja, momentan kommen wir wieder an eine Grenze und müssen erkennen: Nicht alles ist zu bewältigen. Das war für die Menschen früher eine ganz selbstverständliche Erfahrung. Und so eine Grenzerfahrung gibt wertvolle Besinnungs-Anstöße: Die Selbstermächtigung des Menschen wird zurück gestutzt. Im besten Fall führt das zu mehr Demut, zu mehr Bescheidenheit, zumindest wäre das die angemessene Haltung.

    Über alle Entwicklungen rund um das Coronavirus informieren wir Sie in unserem Live-Blog.

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