Die Corona-Situation ist in ganz Deutschland und besonders in Bayern wieder dramatisch. Auf den Intensivstationen wird es zunehmend eng und die Zahl der Neuinfektionen erreicht neue Rekordwerte. Es sei aktuell eine Pandemie der Ungeimpften, sagten zuletzt verschiedene Politikerinnen und Politiker.
Doch was bedeutet das eigentlich? Schließlich – gerade aus dem impfskeptischen Spektrum kommt dieser Hinweis häufig – können sich auch Geimpfte mit dem Coronavirus infizieren.
Inzidenz der Ungeimpften in Bayern liegt bei 1616 – die der Geimpften bei 103
Eine Ansteckung ist bei Geimpften deutlich weniger wahrscheinlich, auch wenn der Schutz nicht bei 100 Prozent liegt. Einen Eindruck, wie häufig die Impfungen vor einer Infektion schützen, bekommt man, wenn man die Inzidenzen der Geimpften und der Ungeimpften vergleicht. Das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit (LGL) veröffentlicht diese Werte für Bayern einmal pro Woche. Aktuell ist der Anteil der Neuinfizierten unter den Ungeimpften fast um das Sechzehnfache höher als unter den Geimpften: 1616,4 zu 103,1.
Berechnet wird die Inzidenz der Geimpften so: Die Zahl aller Neuinfizierten der letzten sieben Tage, die vollständig geimpft waren, wird durch die Zahl der Menschen mit vollständiger Impfung geteilt. Das Ergebnis wird mal 100.000 genommen.
So erhält man einen Vergleichswert: Die Neuinfektionen innerhalb einer Woche pro 100.000 Menschen. Als vollständig geimpft gilt man zwei Wochen nach Beendigung der Impfserie. Also in der Regel nach der zweiten Dosis eines Impfstoffes von Biontech, Moderna oder AstraZeneca oder nach einer Dosis beim Impfstoff von Johnson & Johnson. Genesene gelten nach einmaliger Impfung als vollständig geimpft. Menschen mit begonnener, aber nicht abgeschlossener Impfserie werden in der Auswertung des LGL keiner der beiden Gruppen zugerechnet.
Vergleich der Corona-Inzidenzen: So werden die Daten ausgewertet
Der Inzidenzvergleich gibt einen guten Eindruck der Situation, auch wenn die Daten ein paar Schwächen aufweisen – auf diese Limitationen weist das LGL auf seiner Seite hin.
Eine Ungenauigkeit ergibt sich aus der Berechnung der Inzidenz der Ungeimpften. Denn hierzu zählen nicht nur nachweislich ungeimpfte Infizierte, sondern auch alle, bei denen der Impfstatus nicht bekannt ist. So ist es möglich, dass in Einzelfällen ein Infizierter in der Statistik als Ungeimpfter auftaucht und sich später herausstellt, dass er doch geimpft war – die Inzidenz der Ungeimpften könnte also überschätzt werden.
Das LGL erklärt, man habe sich nach einer gründlichen Analyse dafür entschieden, die Personen mit unbekanntem Impfstatus für diese Auswertung erst einmal zu den Ungeimpften hinzuzuzählen. "Dem liegt zugrunde, dass sonst eine nicht unerhebliche Zahl an Meldefällen aufgrund fehlender Angaben bei der Auswertung zunächst ausgeschlossen würde", heißt es vom LGL. Die Daten werden aber nachgetragen.
Einem Bericht der Welt zufolge war bei der Berechnung für den 24. November von gut 72.000 Personen, die als ungeimpft behandelt wurden, bei mehr als 57.000 der Impfstatus unbekannt - danach war eine Debatte um die Berechnungen des LGL entbrannt. LGL-Präsident Walter Jonas verteidigte das Vorgehen: Zum einen weise man auf die Einbeziehung der unbekannten Fälle hin, betonte LGL-Präsident Walter Jonas. Zum anderen habe sich herausgestellt, dass die Fälle mit zunächst unbekanntem Impfstatus "nach später vorliegenden Daten in der weit überwiegenden Anzahl der Fälle ungeimpft waren". Daher hätte ein bloßes Weglassen der fehlenden Werte "zu völlig falschen Inzidenzverhältnissen geführt".
LGL: Trotz gewisser Schwäche kommt es nicht zu relevanten Verzerrungen
Eine weitere mögliche Schwäche der Daten: Die Gruppen der Geimpften und der Ungeimpften unterscheiden sich vermutlich in ihrem Testverhalten. Wo die 3G-Regel gilt, müssen sich Geimpfte im Gegensatz zu Ungeimpften nicht testen lassen – so könnte es sein, dass - womöglich dank der Impfung symptomfreie – Infektionen nicht bemerkt werden. Die Inzidenz der Geimpften würde dann unterschätzt werden.
"Dass Geimpfte etwas weniger häufig getestet werden, ist möglich, es gibt jedoch keine Hinweise darauf, dass dies die Inzidenzvergleiche in einem relevanten Umfang beeinträchtigt", heißt es vom LGL. Außerdem betont das Landesamt, dass "Daten aus kontrollierten Studien darauf hinweisen, dass geimpfte Personen nicht nur gut vor einer schweren Erkrankung geschützt sind, sondern sich auch weniger häufig infizieren als nicht geimpfte Personen".
Zu diesem Ergebnis kommt auch das Robert-Koch-Institut, das den Schutz, den die Covid-Impfungen in der Gesellschaft bieten, fortlaufend berechnet.
In seinem Wochenbericht gibt das RKI regelmäßig die aktuell berechnete Impfeffektivität an. Diese liegt für die Kalenderwochen 44 bis 47 gegenüber einer symptomatischen Covid-19-Erkrankung demnach in der Altersgruppe 12 bis 17 Jahre bei etwa 90 Prozent, in der Altersgruppe 18 bis 59 Jahre bei etwa 67 Prozent und in der Altersgruppe über 60 Jahre bei etwa 66 Prozent. Der Schutz vor einem schweren Verlauf, vor einer nötigen Behandlung auf der Intensivstation und vor dem Tod durch eine Corona-Infektion sind demnach noch höher. (mit dpa)
Dieser Text wurde ursprünglich am 11.11.2021 veröffentlicht. Wir haben am 6.12.2021 die Kritik der "Welt" an den Daten des LGL eingefügt und die Zahlen aktualisiert.