Vom Gebirgsfluss zum müden Rinnsal: Die Iller hat ihre ursprüngliche Kraft durch zahlreiche Umbauten größtenteils eingebüßt. Sie begannen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts: Um Flächen entlang des einst mehrere hundert Meter breiten Stroms urbar zu machen, wurde er verschmälert. Weil sich die Iller daraufhin eingrub und auch das Grundwasser absank, wurden Wehre zur Befestigung eingebaut. Um Strom aus Wasserkraft zu gewinnen, entstanden Kanäle. Das alles drosselte die Geschwindigkeit des Flusses: Heute gleicht er in weiten Teilen mehr einem Kanal denn einem Wildbach. Vormals heimische Tierarten seien deshalb fast völlig verschwunden, kritisieren Umweltschützer und Fischer.
Das soll sich ändern: mit viel Geld und großem Zeitaufwand. Gemeinsam legen die Länder Bayern und Baden-Württemberg nun ein Programm mit dem Titel „Agile Iller“ auf. Es umfasst rund 60 Umbaumaßnahmen auf einer Länge von fast 60 Kilometern – zwischen Aitrach bei Memmingen und Neu-Ulm, wo die insgesamt etwa 150 Kilometer lange Iller in die Donau mündet. Ziel ist es, dem Fluss, der zwischen den Bundesländern verläuft, seine Natürlichkeit zurückzugeben. Zumindest ein Stück weit.
Denn der ursprüngliche Zustand des Gewässers scheint unwiederbringlich verloren: „Wir können die Uhr nicht um 150 Jahre zurückdrehen, und das glaubt auch niemand“, sagte die bayerische Umweltministerin Ulrike Scharf (CSU) am Wochenende bei einem Treffen in Tannheim bei Memmingen zum offiziellen Auftakt des Programms. Allerdings gebe es viele Ideen, durch die Verbesserungen erreicht werden könnten. Das sei auch notwendig, sagte die Ministerin. Denn die Iller entspreche in jenem Bereich nicht den Vorgaben der Europäischen Wasserrahmenrichtlinie. Dieses Regelwerk soll Wasserwirtschaft und Umweltschutz europaweit vereinen: Mit Blick auf die Iller gibt es Aufgaben vor, so Scharf. Die sollen mit dem Programm „Agile Iller“ angepackt werden.
Große Umbauten stehen bevor: Aus Wehren werden Rampen, über die das Wasser hinwegströmen kann. Tiere und Steine könnten sich dann ungehindert bewegen – und somit natürlicher, hieß es. 15 solcher Baumaßnahmen sind vorgesehen, sagte Peter Faigle, der im Regierungspräsidium in Tübingen für die Entwicklung der Gewässer zuständig ist. Außerdem soll die Iller an einigen Stellen verbreitert und an den Ufern sollen Kiesbänke angelegt werden. Dazu lassen die Bauherren hier und da die Uferwege zurückversetzen. An den Seiten der Iller sollen neue Lebensräume für Tiere entstehen, auch von Laichplätzen für Fische ist die Rede. Ein Problem: Für das alles wird Platz benötigt. Faigle appellierte an Kommunen und Privatleute, die nötigen Grundstücke bereitzustellen. Das Programm zur ökologischen Aufwertung ist auf zehn Jahre angelegt und soll rund 70 Millionen Euro kosten. Die Länder teilen sich die Summe.
Ein finanzieller Kraftakt, wie der baden-württembergische Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) sagte. Das Geld sieht er jedoch gut angelegt: „An der Iller ist nichts mehr, wie es einmal war.“ Der Minister erinnerte an die 1920er Jahre, als die Iller zur Gewinnung von Strom stark umgestaltet wurde. Zahlreiche Kanäle entstanden, in die viel Wasser aus dem sogenannten Mutterbett abfloss. Eine Folge: ein großes Fischesterben in den 1970er Jahren. Zwar sei danach festgelegt worden, dass eine Mindestmenge an Wasser in der Iller bleiben muss, so Untersteller. Allerdings könne noch vieles verbessert werden. Zurück zur Natur bedeute zurück zu einem funktionierenden Ökosystem. Geht es nach Untersteller, soll die Iller für die Menschen zu einem „echten Naturerlebnis“ werden.