Ein frischer Tatort, sagt Christof Lehr, wäre den Ermittlern viel lieber gewesen: Sie hätten beispielsweise die Muttermilchvorräte der Kinderklinik beschlagnahmen und alle Mülleimer durchsuchen können. Doch die Tat liegt mehr als einen Monat zurück: Am 20. Dezember 2019 sind fünf Säuglinge auf einer Überwachungsstation der Kinderklinik Ulm mit dem Betäubungsmittel Morphin vergiftet worden und dadurch in Lebensgefahr geraten. Polizei und Staatsanwaltschaft ermitteln nach einer Anzeige wegen versuchten Totschlags.
Nach der Panne im Labor des Kriminaltechnischen Instituts stehen die Ermittler wieder am Anfang. Eine Analyse schien zu zeigen, dass sich Morphin in einer Spritze befand, die Polizisten im Spind einer jungen Krankenschwester gefunden hatten. Doch ein Vergleichstest und weitere Untersuchungen widerlegten dies. Ein verunreinigtes Lösungsmittel hatte das erste Ergebnis verursacht, die Spritze enthielt kein Morphin. Nach vier Tagen in Haft ist die Krankenschwester wieder auf freiem Fuß. Sie gilt zwar noch als verdächtig, aber nicht mehr als dringend tatverdächtig.
Labor-Panne nach Ermittlungen zu Giftattacke in Kinderklinik Ulm
Die scheinbar vergiftete Spritze, die die Frau ins Gefängnis gebracht hatte, fällt als Indiz nun aus – auch wenn die Ermittler es weiterhin als ungewöhnlich bezeichnen, diese in dem Spind gefunden zu haben. „Eine Spritze hat nach meinem Dafürhalten in einer Umkleide nichts zu suchen“, betont Lehr. Doch die Frau habe eine Erklärung: Sie habe einen Säugling mit der Muttermilch-Spritze füttern wollen, dieser habe nicht gegessen. Später habe sie vergessen, die Spritze wegzuwerfen.
Nun wollen die Ermittler klären, wer welches Kind wann gefüttert hat. Dazu sollen Vernehmungsprotokolle von Zeugen und Beschuldigten miteinander abgeglichen werden. Der Leitende Oberstaatsanwalt Lehr sagt, dass man versuche, auf diese Weise ein Minutenprotokoll des Morgens zu erstellen, an dem die Tat geschehen ist. Nach Angaben von Ärzten und Staatsanwaltschaft lässt sich wegen der Wirkung des Gifts bis auf wenige Stunden genau bestimmen, wann das Morphin den Kindern verabreicht wurde.
Sechs Frauen, die in der Tatnacht arbeiteten, sind weiter tatverdächtig
Für weitere toxikologische Untersuchungen sollen externe, spezialisierte Fachleute beauftragt werden. Außerdem will die Staatsanwaltschaft Kinderärzte in die weiteren Ermittlungen einbeziehen. Als tatverdächtig gelten weiter in erster Linie die sechs Frauen, die in der Tatnacht auf der Überwachungsstation gearbeitet haben.
Lesen Sie auch: Giftattacke auf Babys: Wie konnte die schwerwiegende Labor-Panne passieren?
Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.