Thomas S. und Uli Hoeneß haben etwas gemeinsam: die Justizvollzugsanstalt in Landsberg am Lech. Dort, wo der Ex-Präsident des FC Bayern München derzeit seine Haftstrafe wegen Steuerhinterziehung in Millionenhöhe verbüßt, saß S. in den 1980er Jahren wegen Betrugs ein. Es sollte die erste Haftstrafe in einer Reihe von weiteren werden.
In diesem Jahr dann kreuzten sich die Wege der beiden. S. schrieb am 8. Mai 2014 einen Erpresserbrief an Hoeneß, wie er am Montag vor dem Landgericht München einräumte. Als "Mister X" drohte er dem Ex-Fußball-Funktionär und Steuersünder Probleme während seiner Haftzeit in Landsberg an - und verlangte 215 000 Euro.
S. ist ein unscheinbarer Mann. Der 51-Jährige trägt einen beigen Pullover und eine weiße Hose und versteckt sein Gesicht hinter einem Schreibblock, als er in den Gerichtssaal kommt und in das Blitzlichtgewitter tritt. "Das Schlimmste haben wir hinter uns, Herr Angeklagter", sagt der Vorsitzende Richter Oliver Ottmann, als die Fotografen den Saal verlassen.
Ob das stimmt, ist allerdings fraglich. Dem Angeklagten drohen bis zu fünf Jahre Haft für die versuchte Erpressung. Weil er festgenommen wurde, als die Bewährungszeit für seine jüngste Strafe noch nicht einmal abgelaufen war, sitzt er derzeit schon in Haft.
Zu Beginn der Verhandlung legt er ein umfassendes Geständnis ab. "Ich befand mich damals in einer absolut verzweifelten Situation", gibt er in einer von seinem Anwalt verlesenen Erklärung an. Die Übernahme eines Lotto-Geschäftes habe ihn und seine Freundin finanziell ruiniert. Er selbst habe rund 340 000 Euro Schulden - und habe auch seine Partnerin in den Schulden-Sumpf gezogen. "Die Schulden häuften sich, es kam zu Pfändungen bei meiner Lebensgefährtin." Der an Diabetes erkrankte Mann habe sich die Krankenversicherung nicht mehr leisten können.
Und dann habe er die Berichterstattung über den Fall Hoeneß verfolgt und die Verurteilung des Steuersünders zu dreieinhalb Jahren Haft. Das sei ihm im Vergleich zu einer seiner eigenen Strafen "ungeheuer" vorgekommen. Hoeneß war im März wegen Steuerhinterziehung von 28,5 Millionen Euro verurteilt worden.
Uli Hoeneß: Die Geschichte der Steueraffäre
Uli Hoeneß: Vor vielen Jahren begann er an der Börse eine Zockerei, die ihn 2013 ins Visier der Justiz brachte.
2001: Der damalige Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus überweist Hoeneß in Form eines Kredits und einer Bürgschaft 20 Millionen D-Mark (10,23 Millionen Euro) auf ein Konto in der Schweiz.
2002 bis 2006: In diesen Jahren handelt Hoeneß nach eigenen Worten teilweise Tag und Nacht an der Börse und macht weltweit Geschäfte.
2008: Hoeneß machte nach eigenen Angaben schon in den Vorjahren zu viele Verluste. Mit dem Ausbruch der weltweiten Finanzkrise sei es «endgültig in den Keller» gegangen, und er habe seine Geschäfte stark reduziert.
August 2011: Nach langen Verhandlungen einigen sich Deutschland und die Schweiz darauf, dass in der Schweiz gebunkerte unversteuerte deutsche Vermögen nachversteuert werden. Das Abkommen, das später noch präzisiert wird, soll am 1. Januar 2013 in Kraft treten.
November 2012: Die von SPD und Grünen regierten Länder lassen das Abkommen im Bundesrat scheitern - damit kann Hoeneß seine Gewinne nicht nachträglich steuerrechtlich legalisieren.
Am 17. Januar 2013 reicht Hoeneß nach eigenen Angaben Selbstanzeige bei der Bußgeld- und Strafsachenstelle in Rosenheim ein.
März 2013: Das Finanzamt hat die Selbstanzeige schnell an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet. Am 20. März kommt es zur Hausdurchsuchung in Hoeneß' Anwesen am Tegernsee. Ihm wird der Haftbefehl eröffnet, dieser wird gegen eine Kaution und Auflagen außer Vollzug gesetzt.
April 2013: Der «Focus» macht den Fall öffentlich.
Juli 2013: Die Staatsanwaltschaft erhebt am 30. Juli Anklage gegen Hoeneß. Diese wird im November vom Landgericht München II unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen.
März 2014: Hoeneß wird wegen Steuerhinterziehung zu drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt.
Juni 2014: Hoeneß tritt seine Haft in der JVA Landsberg an.
September 2014: Erster Ausgang - für einige Stunden kann Hoeneß das Gefängnis verlassen, um sich mit seiner Familie zu treffen.
Januar 2015: Hoeneß wird Freigänger. Er muss jetzt nur noch zum Übernachten in die JVA, tagsüber arbeitet er in der Jugendabteilung des FC Bayern.
Januar 2016: Die zuständige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Augsburg entscheidet, dass die Haftstrafe zum 29. Februar zur Bewährung ausgesetzt wird. Die Münchner Staatsanwaltschaft verzichtet auf eine Beschwerde.
Februar 2016: Ex-Bayern-Präsident Uli Hoeneß kommt mit 64 Jahren vorzeitig aus der Haft frei.
Am 8. August 2016 teilt der FC Bayern auf seiner Homepage mit, dass Hoeneß wieder für das Präsidentenamt kandidieren wird. Sein Nachfolger Karl Hopfner verzichtet auf eine weitere Amtszeit. Im November wird Hoeneß wiedergewählt.
"Es fällt Ihnen mit Sicherheit nicht schwer, sich von einem Betrag von 215 000 Euro zu trennen", heißt es in dem Drohbrief an Hoeneß, den das Gericht am Montag verliest. "Sollte es nicht dazu kommen, können Sie versichert sein, dass ihre Haftzeit kein Zuckerschlecken wird." Das Schreiben schließt mit den Worten: "Ich wünsche Ihnen und uns alles Gutes. Möge dieses Scheißgeschäft so ruhig wie möglich über die Bühne gehen." Hoeneß' Frau Susanne brachte den Brief sofort zur Polizei. "Ich habe das Schreiben sehr ernst genommen", zitiert der Vorsitzende Richter Ottmann aus ihrer Zeugenvernehmung.
"Die Idee kam spontan, ausgelöst durch meine völlig desolate Lage", heißt es in der Erklärung des Angeklagten. Er habe völlig allein gehandelt und gar nicht ernsthaft damit gerechnet, die Summe auch wirklich zu bekommen. "Es war wie die Abgabe eines Lottoscheins", sagt der 51-Jährige, der bei der fingierten Geldübergabe in München am 10. Mai festgenommen wurde. Er fiel dabei vom Fahrrad und brach sich das Schlüsselbein.
Für Hoeneß und seine Frau war der Brief offenbar ein harter Schlag. "Das hat bei mir ein Gefühl der Hilflosigkeit ausgelöst", zitiert das Gericht aus der Zeugenvernehmung des 62-Jährigen, der diesmal nicht erscheinen muss. "Ich habe ich den Nächten danach nicht ruhig geschlafen." Und Ehefrau Susanne betonte damals: "Ich habe mich persönlich sehr bedroht gefühlt - insbesondere in Bezug auf meine Kinder und Enkelkinder."
Thomas S. hat Hoeneß, der zu Weihnachten Ausgang bekommt, mit seiner Familie feiern darf und schon im Januar auf Freigang hoffen kann, inzwischen in einem Brief um Verzeihung gebeten. "Ich hab mich bei der Familie und dem Herrn Hoeneß entschuldigt", betont er. Doch der Ex-Nationalspieler betonte bereits zuvor: "Für mich ist diese Straftat ein schwerer Vorwurf und kein Kavaliersdelikt". Er habe nicht einfach zur Tagesordnung übergehen wollen. dpa