Neun Stufen sind es bis zur Entspannung. Neun Stufen vom Autolärm auf der viel befahrenen Münchner Corneliusbrücke hinunter zu deren Isarbalkon. Dort sorgen 60 Tonnen Sand, etliche Palmen und Hibisken sowie zahlreiche Liegestühle dafür, dass sich Großstädter und Touristen wie im sonnigen Süden fühlen, während unter ihnen die Isar gemächlich vorbeifließt.
Seit inzwischen sechs Jahren zieht der Münchner "Kulturstrand" die Menschen an: Im vergangenen Jahr kamen nach Angaben der Veranstalter um die 100.000 Kultur- und Strandbegeisterte dorthin. Und auch heuer läuft das Projekt der "Urbanauten" weiter. Vor knapp zwei Wochen gaben die Behörden nach langem Hin und Her ihr endgültiges Einverständnis. Seitdem wird am Isarbalkon geschraubt und gehämmert: Die Bar samt Treppen, Bühne und Dekoration musste aufgebaut werden. Rund um die Büste des Märchenkönigs Ludwig II. wurde der Sand aufgeschüttet und Liegestühle aufgestellt. Pünktlich zur Wiedereröffnung am Sonntag musste alles fertig sein.
Anders als bei den meisten deutschen Stadtstränden sind in München keine Profis am Werk. Die "Urbanauten" sehen sich als eine Art Debattierklub zu öffentlichen Räumen und deren Wiederbelebung. Technik, Gastronomie, Veranstaltungsplanung - all das haben sich die jungen Leute über die Jahre hinweg selbst beigebracht.
"Vielleicht macht das auch den Charme dieses Strandes aus", sagt Urbanaut Mark Stabel. "Hier ist nicht alles durchgestylt." Fast an jedem Abend steht Kultur auf dem Programm: Theater, Musik, Filme. Doch auch tagsüber zieht der Kulturstrand die Besucher an. "Da kommen die jungen Mütter mit ihren Kindern scharenweise", erzählt Stabel. "Die Kleinen lieben es, im Sand zu spielen."
Ein Ersatz für die Daheimgebliebenen, die sich einen Urlaub unter Palmen nicht leisten können - das war die ursprüngliche Idee hinter solchen Stadtstränden (siehe Infokasten). Doch auch diejenigen, die Erinnerungen an vergangene Fernreisen wecken wollen, besuchen die aufgeschütteten Sandlandschaften inmitten der Großstädte. "Intensives Kurzerholen" nennt Stefanie Kahls, die ein Buch über Stadtstrände geschrieben hat, das Phänomen.
Sie glaubt, dass der Boom der künstlichen Strände in den vergangenen Jahren vor allem mit der wirtschaftlichen Lage zu tun hatte. "Die Leute sparen an ihrem Urlaub, aber das Bedürfnis nach Erholung bleibt." Entspannung sei der Hauptgrund, warum Menschen Stadtstrände besuchen, das haben wissenschaftliche Studien ergeben.
Und jedes Jahr werden es mehr, sagt Mark Stabel. "Es ist die Kombination von Sonne, Sand und Wasser, das die Leute hierher zieht", glaubt er. Eine Bereicherung für jede Stadt seien die künstlichen Strände - "und wer weiß, vielleicht sind wir ja der Biergarten der Zukunft?"
Davon ist Sigmund Maier nicht überzeugt. "Palmen am Strand, das ist doch nichts typisch Bayerisches", sagt der Betriebsleiter des Biergartens "Zum Flaucher", der mit dem Kulturstrand eine Gemeinsamkeit hat: Auch er liegt an der Isar. Jeder Gastronom versuche, sich vom Kuchen des Marktes ein Stück abzuschneiden, ist Maier überzeugt. "Und die Leute gehen dorthin, wo es angesagt ist." Eine direkte Konkurrenz sieht er dennoch nicht in Stadtstränden: Eine andere Szene sei das, als diejenige, die zu ihm in den Biergarten komme - Jugendliche seien das, Partygänger, Kölschtrinker. Das kann Mark Stabel nicht bestätigen: "Das Publikum bei uns ist bunt gemischt und ändert sich je nach Veranstaltung." Wird Jazz gespielt, kommen die Älteren, legt ein House-DJ auf, seien die Jüngeren am Start. Doch eines hätten sie alle gemeinsam: das Bedürfnis nach Erholung; ein bisschen Entspannen inmitten des Großstadtalltags. Von