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Tödlicher Motorradunfall auf B17: Schmerzensgeld: Eine Frage der Gerechtigkeit

Tödlicher Motorradunfall auf B17

Schmerzensgeld: Eine Frage der Gerechtigkeit

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    Auf diesem Motorrad saß Carla G. als Sozia, bevor sie beim Sturz auf der B 17 gegen die Mittelleitplanke prallte und starb. Die Versicherung des Fahrers verweigert den Eltern ein Schmerzensgeld – weil die Tochter sofort tot gewesen sei.
    Auf diesem Motorrad saß Carla G. als Sozia, bevor sie beim Sturz auf der B 17 gegen die Mittelleitplanke prallte und starb. Die Versicherung des Fahrers verweigert den Eltern ein Schmerzensgeld – weil die Tochter sofort tot gewesen sei. Foto: Thorsten Jordan

    In juristischen Seminaren gibt es seit Langem diesen Spruch: Wenn man jemanden überfahren hat und im Rückspiegel sieht, dass er noch lebt – zurücksetzen, das kommt billiger. Widerlicher Zynismus? Nein. Es ist, vereinfacht gesprochen, die gültige Rechtslage in Deutschland. Wenn ein radelndes Kind von einem betrunkenen Lkw-Fahrer getötet wird, erhalten die Eltern Schadenersatz für das Fahrrad und die Beerdigung. Ein Schmerzensgeld steht ihnen nicht zu.

    Nun mehren sich die Stimmen von Juristen und Verkehrsrechtsexperten, diese Lücke im Bürgerlichen Gesetzbuch zu schließen. Die Familien von Unfallopfern sollen künftig Schmerzensgeld erhalten, so wie es in den meisten europäischen Ländern üblich ist. Das bayerische Justizministerium hat dazu einen Gesetzentwurf ausgearbeitet. Dass das bestehende Recht zwar „Schäden wie entgangene Urlaubsfreuden ersetzt, für den unendlichen Schmerz naher Angehöriger aber nur ein Schulterzucken übrig hat, ist nicht länger hinnehmbar“, sagt Justizministerin Beate Merk (CSU).

    Der bayerische Vorschlag wurde Ende Januar beim Deutschen Verkehrsgerichtstag in Goslar mit breiter Mehrheit unterstützt. Der Arbeitskreis I unter Leitung der Richterin am Bundesgerichtshof, Angela Diederichsen, empfahl eine solche Gesetzesinitiative. Schmerzensgeld für Angehörige von Unfallopfern könne als „Symbol für Mitgefühl mit dem seelischen Leid Genugtuung schaffen und ein Gefühl von Gerechtigkeit vermitteln“, heißt es.

    „Gefühl von Gerechtigkeit“

    Ein „Gefühl von Gerechtigkeit“ – das ist es, was die Eltern von Carla G. gut brauchen könnten. Ihre Tochter ist vergangenes Jahr im Alter von 40 Jahren bei einem Motorradunfall auf der B17 bei Igling (Kreis Landsberg) ums Leben gekommen. Sie war mit ihrem Lebensgefährten auf dem Weg in den Urlaub nach Italien. G. saß hinten auf der Honda, er fuhr. Und er fuhr sehr schnell. Etwa 200 Stundenkilometer, als das Motorrad von der Straße abkam und beide stürzten. Carla G. prallte gegen einen Pfosten der Mittelleitplanke und starb.

    Strafrechtlich nahm der Unfall seinen Gang. Der 47-jährige Fahrer erhielt einen Strafbefehl vom Amtsgericht Landsberg wegen fahrlässiger Tötung. Er muss 90 Tagessätze, insgesamt 6300 Euro Geldstrafe zahlen. Das ist exakt unterhalb der Grenze, ab der er als vorbestraft gelten würde. Die unschönen Querelen begannen für die Eltern der Getöteten mit der Entschädigungsfrage. Die Beerdigungskosten zahlte die Versicherung des Unfallverursachers noch.

    Doch als der Münchner Rechtsanwalt Andreas Waldschmidt 10000 Euro Schmerzensgeldvorschuss verlangte, kam kurz vor Weihnachten ein kurzes Antwortschreiben der Helvetia mit folgendem Inhalt: „...maßgeblich für die Gewährung eines Schmerzensgeldes ist, dass der Verstorbene noch eine gewisse Zeit gelebt hat, bei Bewusstsein war, Schmerzen hatte und Todesangst ausstehen musste. Hierfür ergeben sich aus der amtlichen Ermittlungsakte keine Anhaltspunkte. Aufgrund des erlittenen Genickbruchs ist vielmehr davon auszugehen, dass die genannten Voraussetzungen hier nicht vorgelegen haben. Ein Schmerzensgeld kann daher bislang nicht gewährt werden...“

    Kein Schmerzensgeld für die Verletzungen des Opfers

    Dieses Schreiben hat den Eltern nach dem Tod der Tochter ein zweites Mal den Boden unter den Füßen weggezogen. Anwalt Waldschmidt sagt: „Diese Behandlung, insbesondere die Begründung, mit der Helvetia das Schmerzensgeld verweigert, ist unsensibel und in hohem Maße geschmack- und pietätlos.“

    Die Helvetia will also kein Schmerzensgeld für die Verletzungen des Opfers bezahlen, weil diese so schwerwiegend waren, dass sie einen raschen Tod zur Folge hatten. Auf Anfrage unserer Zeitung teilt die zentrale Beschwerdestelle der Versicherung mit: „Wir bedauern, dass die Familie der Verstorbenen unser Schreiben vom 9.12.2011 als unangemessen empfindet.“ Die „abstrakte Betrachtung des Geschehens“ sei notwendig, „um den Fall juristisch korrekt zu beurteilen“.

    Allerdings seien bei der Bemessung des Schmerzensgeldanspruchs in Todesfällen nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung maßgebend „die Schwere der Verletzungen, das dadurch bedingte Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Verletzung durch den Verletzten und der Grad des Verschuldens des Schädigers“. Carla G. sei unmittelbar nach dem Unfall an einem Genickbruch gestorben. Daher bestehe kein Anspruch auf Schmerzensgeld.

    So ist die Rechtslage. Doch Justizministerin Merk sagt: „Es kann nicht sein, dass das Schmerzensgeld für die Angehörigen davon abhängt, ob das Opfer nach einem Unfall sofort tot war oder nicht. Das sind Defizite, die ich als Rechtspolitikerin so nicht hinnehme.“ Sie werde den Gesetzentwurf schnellstmöglich im Bund vorlegen.

    Übrigens: Ex-Bundespräsident Christian Wulff hat beim Verkehrsgerichtstag ein Schmerzensgeld für Angehörige von Unfallopfern befürwortet. Eine solche Regelung erweitere das Recht um eine „menschliche Dimension“. >> Kommentar

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