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Steuerskandal: Tiefschlaf im Amt? Türkheim fehlen Millionen an Steuern

Steuerskandal

Tiefschlaf im Amt? Türkheim fehlen Millionen an Steuern

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    Ein Mitarbeiter der Kämmerei der Verwaltungsgemeinschaft Türkheim soll rund 1,4 Millionen Euro veruntreut haben.
    Ein Mitarbeiter der Kämmerei der Verwaltungsgemeinschaft Türkheim soll rund 1,4 Millionen Euro veruntreut haben. Foto: Alf Geiger (Symbolbild)

    Wie kann es sein, dass ein einzelner leitender Mitarbeiter des Steueramtes der Verwaltungsgemeinschaft Türkheim (Landkreis Unterallgäu) über Jahre hinweg so wenige Steuerbescheide bearbeitet und verschickt hat, dass den vier Gemeinden Türkheim, Rammingen, Wiedergeltingen und Amberg Einnahmen von rund drei Millionen Euro flöten gegangen sind – und keiner hat davon etwas mitbekommen?

    Um die Klärung dieser Frage geht es beim Prozess gegen einen 63-Jährigen, der sich ab heute wegen Betrugs vor dem Amtsgericht Memmingen verantworten muss. Das Gericht folgte zu Prozessbeginn dem Antrag der Verteidigung, die Öffentlichkeit mit Rücksicht auf den Gesundheitszustand des Angeklagten von dem Prozess auszuschließen.

    Verwaltungsgemeinschaft Türkheim entgingen Steuern in Millionenhöhe

    Mit der Verhandlung beginnt nun die lange erwartete juristische Aufarbeitung des „Türkheimer Steuerskandals“, der die Gemeinde an der Wertach im Jahr 2016 bundesweit in die Schlagzeilen gebracht hatte. Die Verwaltungsgemeinschaft Türkheim war über Jahre hinweg eine kleine Steueroase für Unternehmer und Hauseigentümer. Den vier Gemeinden gingen durch nicht erlassene Steuerbescheide in den Jahren von 2001 bis 2014 fast drei Millionen an Gewerbe- und Grundsteuer verloren. Die Verantwortlichen im Türkheimer Rathaus haben auf den „Türkheimer Steuerskandal“ reagiert, zusätzliches Personal eingestellt und ein Vier-Augen-Prinzip eingeführt.

    Angeklagt werden jetzt vier Fälle, die sich auf die vier Steuerjahre 2007 bis 2010 beziehen: Da der Fall erst 2016 bekannt wurde, waren die Forderungen der VG an die Unternehmer aus den Jahren davor bereits verjährt. Dies wird dann juristisch für jedes angeklagte Jahr zu insgesamt vier Fällen der Untreue. Insgesamt sei der VG allein in diesen vier Jahren ein Gesamtschaden von rund 1,4 Millionen Euro entstanden, hat die Staatsanwaltschaft Memmingen zusammengerechnet. Dies müsse der Angeklagte auch gewusst haben, zumindest habe er den Schaden billigend in Kauf genommen.

    Chronologie des Steuerskandals in Türkheim

    Anfang Mai 2016

    Die Grünen legen einen Fragenkatalog vor und wollen, dass ihre Fragen zu den Vorfällen im Steueramt öffentlich behandelt werden. Der damalige CSU-Bürgermeister Sebastian Seemüller lehnt ab.

    14. Mai 2016

    Sebastian Seemüller nimmt Stellung in der MZ. Er sei Mitte April über die Rückstände informiert worden und es sei sofort ein Anwalt eingeschaltet worden. Der Schaden für die VG durch Verjährungen der Gewerbesteuer liege "bei mindestens einer Million Euro", so Seemüller.

    24. Mai 2016

    Der Kommunale Prüfungsverband stellt erhebliche Bearbeitungsverzögerungen und -rückstände bei der Festsetzung der Gewerbesteuer fest. Bürgermeister und Amtsleiter betonen, nichts werde unter den Teppich gekehrt.

    9. Juli 2016

    Die Bürgermeister der VG-Gemeinden wollen die Landesanwaltschaft München einschalten.

    29. Juli 2016

    Der Gesamtschaden ist höher als befürchtet: Über 2,7 Millionen Euro Gewerbesteuer sind der VG aufgrund von Verjährungen entgangen.

    12. September 2016

    Wechsel im Türkheimer Rathaus: Christian Kähler löst Sebastian Seemüller ab. Seemüller betont, seine Entscheidung, nicht mehr zu kandidieren, habe mit dem Steuerskandal nichts zu tun.

    10. Dezember 2016

    Dank des kommunalen Finanzausgleichs beträgt der tatsächliche Schaden aus 2,7 Millionen Euro nur unter 60 000 Euro.

    17. Januar 2017

    Die Staatsanwaltschaft Memmingen hat ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Laut dem leitenden Oberstaatsanwalt Christoph Ebert hat sich der Verdacht auf Untreue erhärtet.

    5. Mai 2017

    Die Staatsanwaltschaft Memmingen erhebt Anklage wegen des Verdachts der Untreue gegen einen ehemaligen Mitarbeiter der VG Türkheim. Der Schaden, der entstanden sei, beziffert sich auf 1,3 Millionen Euro. Dafür sei alleine der Mitarbeiter verantwortlich, so die Anklage.

    14. April 2018

    Es wird bekanntgegeben: Am Donnerstag, 5. Juli, soll der Prozess stattfinden.

    21. September 2018

    Das Amtsgericht Memmingen gibt den 25. Oktober als neuen Prozesstermin bekannt. Der erste Termin musste verschoben werden, da ein Gutachter terminlich verhindert war.

    25. Oktober 2018

    Die Verhandlung vor dem Amtsgericht beginnt - die Öffentlichkeit wird ausgeschlossen, nur Pressevertreter dürfen weiter am Prozess teilnehmen. Als Zeugen sagen mehrere Bürgermeister sowie der Türkheimer Kämmerer Claus-Dieter Hiemer aus. Sie hatten dem späteren Angeklagten lange geglaubt, dass er alles im Griff hatte. Eine mögliche Mitschuld von Dritten wird nicht im Prozess thematisiert, wie Richter Nicolai Braun ankündigte: "Dies hier ist kein Untersuchungsausschuss."

    27. November 2018

    Am vierten Verhandlungstag bietet der Staatsanwalt einen "Deal" an: Das könnte allen Prozessbeteiligten eine lange "Hängepartie" in diesem Verfahren ersparen, wenn jeder einzelne der nicht erlassenen Steuerbescheide genau unter die Lupe genommen werden muss.

    3. Dezember 2018

    Der ehemalige Leiter des Steueramts der VG Türkheim legt ein Geständnis ab und es kommt zum Deal. Er wird zu einer Gefängnisstrafe von elf Monaten auf Bewährung verurteilt und muss 2400 Euro an eine gemeinnützige Organisation zahlen. Der Schaden wird im Prozess auf drei Millionen Euro beziffert. Von 2001 bis 2015 hat der Beamte gut 1000 Steuerbescheide einfach verschwinden lassen, ein großer Teil der Fälle ist jedoch verjährt.

    Medizinisches Gutachten soll den Angeklagten entlasten

    Der heute 63-Jährige sitzt wegen Betrugs auf der Anklagebank, weil er seine Pflichten als Beamter nicht erfüllt und die ihm von Berufs wegen eingeräumten Befugnisse unterlassen habe. Die Anklage lautet auf Verdacht der Untreue – ein Vergehen, das mit einer Höchststrafe von bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft werden kann.

    Vor Gericht müssen der damalige Bürgermeister Türkheims, seine Amtskollegen aus Rammingen und Wiedergeltingen, der amtierende VG-Kämmerer sowie drei Kollegen aus dem Türkheimer Steueramt und ein Fahnder der Kripo Memmingen als Zeugen aussagen.

    Für den Rechtsanwalt des ehemaligen Mitarbeiters des Türkheimer Steueramtes geht die Memminger Staatsanwaltschaft mit diesem Vorwurf aber zu weit: Vor allem der von den Ermittlern unterstellte Vorsatz ist für Gregor Rose, Fachanwalt für Strafrecht aus München, problematisch: „Mein Mandant hat ganz sicher nicht vorsätzlich gehandelt. Auch wenn es schwierig zu erklären ist: Er konnte gar nicht anders handeln“, sagt der Jurist. Dies werde er im Prozess auch mit entsprechenden medizinischen Gutachten beweisen, so Rose.

    Er geht sogar noch weiter und glaubt, dass die Anklage gegen den Mitarbeiter auch von den wirklichen Verantwortlichen für den Steuerskandal ablenken soll: „Der Vorwurf der Staatsanwaltschaft hätte den Vorgesetzten wesentlich früher auffallen können und müssen“, sagte Rose gegenüber unserer Zeitung. Er sei daher schon überrascht, dass sich die Ermittler „nur auf eine Person fokussiert haben“. Für den Rechtsanwalt ist es völlig unverständlich, dass in den Jahren 2001 bis 2010 keiner im Rathaus oder in den Gemeinden der Verwaltungsgemeinschaft etwas davon mitbekommen haben will, dass viel zu wenig Steuerbescheide verschickt wurden.

    Prozess zum "Türkheimer Steuerskandal" wurde mehrfach verschoben

    Auch die Memminger Staatsanwaltschaft hält die Klärung der Frage auch nach dem Abschluss der Ermittlungen für „interessant“, so Chef-Ermittler Christoph Ebert. Nicht ausgeschlossen, dass es nach dem Prozess neue Ermittlungen geben könnte. Der Prozessauftakt war mehrfach verschoben worden, weil ein medizinisches Gutachten des Angeklagten mehr Zeit in Anspruch nahm als erwartet. Dass der Fall im Frühjahr 2016 überhaupt ins Rollen kam, geht wohl auf eine Anzeige eines Steuerberaters zurück, der angesichts der über Jahre hinweg ausstehenden Steuerbescheide keinen anderen Ausweg mehr sah, als die Justiz einzuschalten.

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