Startseite
Icon Pfeil nach unten
Bayern
Icon Pfeil nach unten

Thomas Schlemmer: Historiker: „Eines eint alle: Die Ablehnung der Demokratie“

Thomas Schlemmer

Historiker: „Eines eint alle: Die Ablehnung der Demokratie“

    • |
    Corona-Demo in Berlin: Auch hier wurden Reichskriegsflaggen geschwenkt.
    Corona-Demo in Berlin: Auch hier wurden Reichskriegsflaggen geschwenkt. Foto: Kay Nietfeld, dpa

    Auf Demonstrationen von Gegnern der Corona-Maßnahmen sieht man derzeit immer wieder schwarz-weiß-rote Flaggen mit einem schwarzen Kreuz. Auf welche Zeit gehen sie zurück?

    Thomas Schlemmer: Diese Flaggen haben einen Hintergrund, der bis tief ins 19. Jahrhundert zurückreicht. Letztlich basieren sie auf Kriegsflaggen des Norddeutschen Bundes von 1866/67 und des Deutschen Kaiserreichs von 1870/71. Darauf zu sehen sind Symbole wie das Eiserne Kreuz oder der preußische Adler. In stark modifizierter Form war das auch die Grundsymbolik der nationalsozialistischen Reichskriegsflagge, wo der Adler in der Mitte durch das Hakenkreuz ersetzt worden ist. Insofern gibt es da eine ganz deutliche Kontinuität der Bildsprache. Das Hakenkreuz ist verboten, man darf es nicht mehr zeigen. Also nimmt man die Vorläuferflagge des Deutschen Kaiserreichs.

    Was drückt das Schwenken der Reichsflaggen ohne Kreuz und der Reichskriegsflaggen auf Demos aus?

    Schlemmer: Das hängt immer ein bisschen davon ab, wer die Fahne schwenkt. Wenn das ein Verfechter von Organisationen ist, die sich in der Nachfolge Adolf Hitlers und des Nationalsozialismus sehen, dann ist das ein ganz klarer Anklang an das nationalsozialistische Deutschland und seine Ideologie. Wenn Reichsbürger diese Flaggen schwenken, dann stehen verschwommene Reichsideologien im Hintergrund, die zwar auch Anklänge an das nationalsozialistische Gedankengut haben, aber nicht unbedingt damit identisch sein müssen. Aber eines eint alle: die Ablehnung der Demokratie und der Verfassungsordnung des Grundgesetzes.

    Macht es Ihrer Ansicht nach Sinn, diese Flaggen zu verbieten? Darüber wird ja gerade diskutiert.

    Schlemmer: Als Historiker bin ich natürlich immer für den Diskurs und die Auseinandersetzung mit dem historischen Gegenstand. Auf der anderen Seite ist es aber eben auch so, dass diese Reichskriegsflagge eindeutig besetzt ist. Eine kleine Geschichte dazu: In den Anfangsjahren der Weimarer Republik hat sich in Bayern ein sogenannter „Bund Reichskriegsflagge“ gegründet. Das waren militante Veteranen des Ersten Weltkriegs und Republikgegner, die mit anderen faschistischen Wehrverbänden eine Allianz eingegangen sind und sich der politischen Führung Adolf Hitlers unterstellt haben. Sie sind unter der Reichkriegsflagge auch beim Hitler-Putsch 1923 mitmarschiert. Insofern ist diese Reichskriegsflagge als Symbol ganz stark mit diesem völkisch-nationalistischen und nationalsozialistischen Lager verbunden.

    Wofür plädieren Sie also?

    Schlemmer: Wenn man das Hakenkreuz verbietet, dann kann man aufgrund dieser Geschichte auch seinen Ersatz, die Reichskriegsflagge, verbieten. Das heißt nicht, dass man die Geschichte des Kaiserreichs zwischen 1870 und 1918 als unmittelbare Vorgeschichte des Dritten Reiches begreift. Aber in dem Moment, wo Symbole missbraucht und in einen neuen Kontext gerückt werden, der demokratie- und verfassungsfeindlich ist, kann man über ihr Verbot durchaus nachdenken.

    Zurück zum Anfang. Zu welchem Zweck wurde die Reichskriegsflagge denn damals eingesetzt?

    Schlemmer: Schiffe auf hoher See haben sich vor der flächendeckenden Einführung des Funkverkehrs durch Flaggen verständigt und identifiziert. Es war es nach der Gründung des Norddeutschen Bundes und des Deutschen Reiches notwendig, solche Symbole zu schaffen. Man hat die Flagge zu verschiedenen Zwecken gebraucht, vor allem zur Repräsentation von Formationen und militärischen Einrichtungen. Die Fürstenhäuser der Bundesstaaten wie Bayern hatten eigene Fahnen und Flaggen in Gebrauch. Und so war diese Reichskriegsflagge des Deutschen Kaiserreichs eine Art Symbol der gesamten Nation, die sehr heterogen zusammengesetzt war.

    Wie lange wurde die Reichskriegsflagge verwendet?

    Schlemmer: Mehr oder weniger bis zur Novemberrevolution 1918/19, sie war allerdings aus praktischen Gründen auf Schiffen als auch in der neuen Reichswehr bis Anfang der 1920er Jahre im Gebrauch, weil man in der Weimarer Republik relativ lange brauchte, sich auf eigene Symbole zu verständigen. Das hat damit zu tun, dass die Weimarer Republik sehr umkämpft war. Und die Frage, welche Symbole für diese neue Republik stehen sollten, war eben auch eine Frage ihrer Legitimation. Schwarz-Weiß-Rot war letztlich das Symbol derer, die die demokratische Republik ablehnten. Schwarz, Rot und Gold waren dagegen die Farben der Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, die auf dem Boden der Weimarer Reichsverfassung standen.

    Wofür haben die Menschen im 19. Jahrhundert mit Schwarz-Rot-Gold demonstriert?

    Schlemmer: Schwarz-Rot-Gold geht zurück auf die Revolution von 1848, den Versuch einer Einigung der deutschsprachigen Territorien. Das erste frei gewählte deutsche Parlament in der Frankfurter Paulskirche wählte eben diese Farben als Symbol für den neuen Nationalstaat. Zurück geht das auf die liberale Bewegung in den 1830er und 1840er Jahren, oft von studentischen Burschenschaften getragen. Und diese Verwendung der Farben geht wiederum auf die Uniformen zurück, die ein Freikorps in den sogenannten Befreiungskriegen gegen das napoleonische Frankreich getragen hat.

    Die Revolution scheiterte, das Bürgertum konnte sich nicht gegen die Fürsten durchsetzen. Schwarz-Rot-Gold verschwand, erst die Weimarer Republik griff die Farben wieder auf. Was passierte in der Zwischenzeit?

    Schlemmer: In der Zwischenzeit regierte die preußische Symbolik. Das sind zum einen die Farben Preußens, Weiß und Schwarz. Und das sind der Adler und das Eiserne Kreuz, das auf den Deutschen Orden aus dem 12. Jahrhundert zurückgeht. Hinzu kam dann noch das Rot. Und diese schwarz-weiß-rote Fahne des Norddeutschen Bundes ging dann ins Kaiserreich über.

    Die Nationalsozialisten haben diese Farben dann neu belebt?

    Schlemmer: Bei den Nationalsozialisten dominierte vor allem die Farbe Rot. Das hat sowohl mit dem revolutionären Anspruch der Nationalsozialisten zu tun als auch mit dem Bekenntnis, für die sogenannte nationale Revolution mit dem eigenen Blut einzustehen. Martialischer geht es kaum.

    Zur Person: Dr. Thomas Schlemmer arbeitet am Institut für Zeitgeschichte in München. Er lehrt zudem als Privatdozent an der LMU.

    Lesen Sie dazu auch:

    Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden