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Themenwoche Macht: Häusliche Gewalt: Wenn die Liebe zur Hölle wird

Es gibt viele Gründe, warum sich die Opfer gegen eine Anzeige entscheiden – so wie Fiona, die vor ihrem gewalttätigen Partner in ein Frauenhaus geflohen ist.
Themenwoche Macht

Häusliche Gewalt: Wenn die Liebe zur Hölle wird

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    Es begann schleichend, sie merkte erst viel später, dass etwas nicht stimmte. Einmal war sie in der Küche, bereitete gerade das Essen zu. Er ging auf die Toilette, ließ das Licht dort brennen und kam zurück. Er ging auf den Herd zu, an dem sie stand. Er sah sie an, sie sah zurück und wusste, was kommen würde. „Du hast das Licht angelassen“, sagt er, seine Stimme ist vorwurfsvoll. „Ich habe das Licht nicht angelassen“, sagt sie. „Du warst doch als Letzter im Bad“, fügt sie noch hinzu, als hätten ihre Worte irgendeinen Einfluss darauf, was gleich passieren wird. „Ich würde nie vergessen, das Licht auszuschalten“, sagt er und schlägt zu. Einmal, zweimal, dreimal, bis er irgendwann wieder von ihr ablässt.

    So spielte sich eine typische Szene ab, die Fiona dazu brachte, Anfang Juni dieses Jahres Schutz in einem Frauenhaus zu suchen. Wie ihr geht es seit 2015 jedes Jahr mehr als 16.000 Menschen in Bayern, rund 80 Prozent davon sind Frauen. Sie werden Opfer häuslicher Gewalt. Wie ist es, wenn sich die Machtverhältnisse innerhalb einer Beziehung verschieben? Und wie gehen Betroffene damit um?

    Fiona ist nicht der wahre Name der Frau, die am anderen Ende der Leitung ist. Im Gespräch wirkt sie jetzt, nachdem sie fünf Monate in einem Frauenhaus verbracht hat, eher wütend als verängstigt. Ihre Stimme wird zwischenzeitlich laut, die Worte sprudeln nur so aus ihr heraus. Ihren Namen mag sie trotzdem nicht in der Zeitung lesen, aus Angst, dass ihr Mann sie finden könnte. Denn Fiona glaubt, dass er noch immer auf der Suche nach ihr ist. Sie will weder preisgeben, wie alt sie ist, noch woher sie kommt – und schon gar nicht, wie sie aussieht. Diese Angst werde Fiona ihr ganzes Leben begleiten, fürchtet sie, eine Beziehung will sie erst einmal nicht mehr eingehen.

    Für Opfer häuslicher Gewalt ist es nicht einfach, sich die Lage einzugestehen

    Dabei ist sie eine der wenigen, die sich überhaupt eingestanden haben, dass sie in einer toxischen Beziehung leben, also einer Beziehung, in der ein Partner den anderen stark dominiert und die von Kontrolle und Abhängigkeit geprägt ist. Das sei der erste Schritt, sagt Marie-Jeanette Gillmann. Die Leiterin des Augsburger Frauenhauses Via betont, dass viele bereits daran scheitern. Mit ihren Kolleginnen und Kollegen ist sie dafür zuständig, so viele Frauen wie möglich zum Hinterfragen ihrer Beziehung zu ermutigen. „Wenn ich mir die positiven und die negativen Dinge nebeneinander aufschreibe und die negative Seite länger ist, sollte ich mir definitiv Gedanken machen“, sagt die Traumatherapeutin.

    „Ich fühle Hass gegen meinen damaligen Lebensgefährten.“

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    Gedanken hat sich auch Fiona gemacht. Seit 2014 war sie in einer Beziehung mit ihrem Partner. Alles lief gut, sie waren glücklich, sprachen über die Liebe, zogen zusammen, waren eine Einheit. Irgendwann begann er alles kontrollieren zu wollen, erst ihre Aktivitäten, irgendwann auch ihre Finanzen. Am Ende konnte sie kaum mehr einen Schritt ohne ihren Mann gehen. Das ist typisch für solche Partnerschaften. In der Psychologie gelten die sich langsam, fast unmerklich verschiebenden Machtverhältnisse als Paradebeispiel toxischer Beziehungen. Mit der nächsten Stufe kamen die Anschuldigungen. Für alles war Fiona verantwortlich, alles mache sie falsch. Einmal war sein Sohn aus einer früheren Beziehung zu Besuch. Er spielte in der Nähe eines Spiegels, berührte ihn immer wieder mit seinen Fingern und hinterließ Abdrücke darauf. Später sagte sein Vater, das liege daran, dass Fiona nicht richtig geputzt habe. Allein, dass sie ihm Contra gab, machte Fionas Mann wütend. Sie versicherte ihm, es besser zu machen, er schlug wieder zu.

    In anonymen Frauenhäusern finden Opfer häuslicher Gewalt Zuflucht

    Solche Geschichten kennt auch Bettina Maruhn zur Genüge. Sie ist Einrichtungsleiterin des AWO Frauenhauses Neu-Ulm und arbeitet täglich mit Opfern häuslicher Gewalt zusammen. Dabei hat sie schon viel Leid gesehen. Besonders berühre sie, dass die Frauen mit ihren Kindern oft sehr viele Jahre in den Gewaltbeziehungen lebten, bevor sie sich Hilfe und Unterstützung suchten, erzählt sie. „Sie ertragen über viele Jahre hinweg nicht nur körperliche Gewalt, sondern die Einschränkung ihrer Selbstbestimmung, ständige Kontrolle in allen Lebensbereichen, verbale Attacken und Erniedrigungen.“ Vor der Aufnahme wird jedoch telefonisch abgeklärt, ob eine Aufnahme der Frauen denkbar ist. „Ausschlusskriterien von unserer Seite wären zum Beispiel akute Suchterkrankungen und schwere psychische Erkrankungen – oder, wenn der Gewalttäter in unmittelbarer Nähe des Frauenhauses arbeitet“, sagt Maruhn. Denn Sicherheit steht an oberster Stelle. Darum ist auch die genau Anschrift des Frauenhauses anonym.

    Zwischen 2015 und 2019 wurden im Regierungsbezirk Schwaben insgesamt 12.861 Fälle von häuslicher Gewalt bei der Polizei gemeldet. In 317 Fällen handelte es sich um Straftaten gegen die sexuelle Eigenbestimmung, in 52 Fällen waren es Straftaten gegen das Leben. Das Erschreckendste an diesen Zahlen ist jedoch, dass die

    Gewalt in Beziehungen: Die Polizei vermutet eine hohe Dunkelziffer

    Gerade deshalb ist es wichtig, dass Opfer, die sich für eine Anzeige entscheiden, gut geschützt werden. Es gebe weitreichende Möglichkeiten des Gewaltenschutzgesetzes. Das Opfer könne ein gerichtliches Kontaktverbot und Wohnungsüberlassung beim zuständigen Amtsgericht beantragen.

    Wie so viele andere wollte Fiona nie zur Polizei gehen. Sie hat das auch jetzt nicht vor. „Ich fühle Hass gegen meinen damaligen Lebensgefährten, aber viel weniger als früher“, sagt sie. Jetzt sei es vielmehr das Mitleid, das überwiege. Das hängt auch damit zusammen, dass er womöglich krank ist. Aber das sind beileibe nicht alle Täter. Zwar kann sich eine krankhafte Abhängigkeit entwickeln, eine psychische Störung ist dafür aber nicht zwingend erforderlich. Manchmal versuchen Männer auch, ihre Frauen im Frauenhaus zu erreichen, wollen sich entschuldigen, bitten um eine weitere Chance. In Augsburg werden sie dann an die Täterberatung weitergeleitet.

    Die Schuld bei sich selbst zu suchen, sei ein typisches Merkmal bei toxischen Beziehungen. Obwohl die Machtverhältnisse im Ungleichgewicht liegen, gaukelt der dominante Part dem unterdrückten vor, dass er an allem schuld sei. So war es auch bei Fiona.

    Besonders für Männer ist Machtverlust schwer zu akzeptieren

    Doch nicht nur Frauen sind betroffen. Laut Schätzungen sind etwa 20 Prozent der Betroffenen Männer, bei der AWO Augsburg gibt es deshalb seit gut einem Jahr eine extra Anlaufstelle. Denn Männer haben zusätzlich den „Nachteil“ ihrer körperlichen Überlegenheit, der es schwierig macht, sich die eigene unterlegene Position in der Beziehung einzugestehen und zu verbalisieren.

    Der Verantwortliche der Stelle, Paul Schenk, kennt das. Ein Fall sei ihm besonders in Erinnerung geblieben. Darin sei ein Mann an der psychischen Gewalt fast zerbrochen, habe vor allem Angst gehabt, das gemeinsame Kind zu verlieren. In der Männerberatung sei ihm dann endlich zugehört worden, er wurde ernst genommen.

    Auch Fiona befindet sich auf dem Weg der Besserung. Wie genau es für sie weitergeht, weiß sie noch nicht. Als Erstes will sie eine Wohnung finden und sich Schritt für Schritt ein neues Leben aufbauen.

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