Wer in den 80er Jahren der Faszination Tennis erlegen ist, begeisterte sich im Wesentlichen für drei Spieler. Vorneweg natürlich Boris Becker, den 17-jährigen Leimener, Beckerhecht-Erfinder und jüngsten Wimbledon-Sieger aller Zeiten. Wer Rebellen liebte, Tiraden gegen Schiedsrichter genoss und neben allem Ungebärdeten ein filigranes Händchen schätzte, schwärmte für John McEnroe. Die meisten Fans hatte damals aber der Hollywood-taugliche Jimmy Connors – die wenigsten Ivan Lendl. Wer den Tschechen verehrte, sah das Leben als Mischung aus Arbeit, Kampf und Leiden. Freude und Genuss kamen da nicht vor.
Ivan Lendl - "Der Champion, den niemand interessiert"
1985 titelte Sports Illustrated „The Champion that nobody cares about“. Zu unnahbar war der Typ, zu kühl sein Spiel. Die 1,88 Meter große Ballmaschine aus Ostrau servierte humorlos – und wer das Service überstand, zerbröselte an der wuchtigen Vorhand des hageren Asketen. Ivan der Schreckliche, wie ihn die Öffentlichkeit getauft hatte, kannte kein Erbarmen, schon gar nicht mit sich selbst. Er war der fitteste Spieler seiner Zeit. Den sportlichen Ehrgeiz hatte er von seinen tennisbegeisterten Eltern geerbt. Mutter Olga, Nummer zwei der damaligen Tschechoslowakei, Vater Jiri, Tennispräsident des Landes. Sohn Ivan, ein Frühvollendeter, den damals kaum einer öffentlich lächeln sah.
Dabei hätte er mit einem Dauergrinsen seine Karriere durchlaufen können. Ein Jahrzehnt hat er das Welttennis geprägt. Er war der Beständigste unter den Großen. Von 1978 bis 1994 gewann er 94 Titel und 21 Millionen Dollar Preisgeld, war 270 Wochen lang die Nummer eins der Welt und feierte acht Grand-Slam-Siege. Nur Wimbledon hat sich seinem Ehrgeiz verweigert. In Connecticut, wo er mit seiner Frau lebt, hat er sich einen Rasenplatz im Wimbledon-Format auf sein Grundstück bauen lassen. Zweimal stand er im Endspiel. 1986 unterlag er Becker, ein Jahr später Pat Cash. „Gras ist nur was für Kühe“, kommentierte er seine Hassliebe zum bedeutendsten Tennis-Turnier der Welt.
Ein Tennis-Comeback schien für Ivan Lendl unvorstellbar
1986 sagte der Wahl-Amerikaner und Vater von fünf Töchtern dem Tennis-Zirkus goodbye. Er mied ihn regelrecht, wechselte zum Golfspiel und trieb hier seine Töchter an. Daneben hat er sein Vermögen auf 100 Millionen Dollar vergrößert. Lendls Rückehr in die Tenniswelt – unvorstellbar! Schon gar nicht als Trainer.
2012 aber tauchte der Stoiker – deutlich fülliger – an der Seite des Briten Andy Murray auf, der unter dem Trainer Lendl seine größten Erfolge feierte. Nun soll ihm dasselbe mit Alexander Zverev gelingen. Der deutsche Jungstar bleibt bei großen Turnieren noch unter seinen Möglichkeiten. Gelegenheit, das zu ändern, hat der 21-jährige Hamburger nun bei den US Open in New York. Der 58-Jährige hat sie dreimal gewonnen. Ein Triumph seines Schützlings – und man sähe ihn möglicherweise lächeln.