Die Deutsche Umwelthilfe weiß nur zu gut, wie sie auf sich aufmerksam machen kann. Da wird die schlechte Luft in deutschen Großstädten angeprangert – und mit Forderungen nach Fahrverboten für besonders schmutzige Abgasschleudern garniert. Da wird gegen Regierungen geklagt – und Zwangshaft für Politiker gefordert, die sich zu wenig um die Reduzierung der Abgase in der Luft bemühen. So geschehen auch in Bayern. Und so muss sich am Dienstag der Europäische Gerichtshof in Luxemburg – sehr zugespitzt formuliert – mit der Frage befassen, ob Ministerpräsident Markus Söder ein Gefängnisaufenthalt droht, wenn die Luft in der Landeshauptstadt nicht bald besser wird.
Bereits 2012 hat das Verwaltungsgericht München auf eine Klage der Umwelthilfe hin die Bayerische Staatsregierung dazu verdonnert, den sogenannten Luftreinhalteplan so zu ändern, dass die Grenzwerte von Stickstoffdioxid „schnellstmöglich“ eingehalten werden können. Und 2014 urteilte der Europäische Gerichtshof, dass die Gerichte der EU-Staaten verpflichtet sind, „jede erforderliche Maßnahme zu erlassen“, um die Einhaltung der europäischen Luftreinhalte-Richtlinie sicherzustellen. Doch in Bayern, speziell in München, ist seither zu wenig geschehen. An einigen Stellen in der Stadt werden immer noch zu hohe Abgaswerte gemessen, doch Freistaat und Stadt weigern sich beharrlich, Fahrverbote zu erlassen. Diese seien nicht zielführend, heißt es.
Jura-Professor: „Das ist ein Skandal“
„Es ist ein Skandal, mit welcher Wurstigkeit sich die Staatsregierung weigert, ein gerichtliches Urteil zu befolgen“, sagt Bernhard Wegener, Professor für Öffentliches Recht und Europarecht an der Friedrich Alexander Universität Erlangen-Nürnberg. „Ich halte gelegentlich Vorlesungen in Russland und werde dort öfter gefragt, warum eine Regierung überhaupt das Urteil eines Gerichtes befolgen sollte. Ich erkläre dann immer, dass genau das das Wesen eines Rechtsstaats ausmacht“, erzählt Wegener. Das Verhalten der Bayerischen Staatsregierung unter Ministerpräsident Markus Söder konterkariere das, sei „sehr ungewöhnlich“ und dürfe nicht folgenlos bleiben.
Er blickt daher gespannt nach Luxemburg, wo die 15 Richter der Großen Kammer des EuGH nun entscheiden sollen, wie die bayerischen Richter mit einer Missachtung der eigenen Entscheidungen umgehen sollen. Denn zur Zahlung eines sogenannten Zwangsgeldes wurde der Freistaat bereits zweimal verurteilt – woraufhin das Umweltministerium jeweils 4000 Euro an die Landesjustizkasse überwies.
„Das ist lediglich ein Linke-Tasche-rechte-Tasche-Spiel“, erklärt Jurist Wegener. Die Androhung einer Zwangshaft für verantwortliche Politiker oder Behördenleiter wäre da schon ein wesentlich wirksameres Druckmittel, glaubt er. Allerdings: „Es gibt unterschiedliche Auffassungen darüber, ob es eine solche Zwangshaft gegen Amtsträger in Deutschland gibt oder nicht“, sagt Wegener. Das sei ein Grund dafür, warum der Bayerische Verwaltungsgerichtshof nun die EU-Richter in Luxemburg bat, zu klären, ob die Verhängung einer Zwangshaft gegen politische Amtsträger nach Europarecht möglich, wenn nicht sogar zwingend ist.
Was gegen eine Haftstrafe für Söder spricht
Wegener will keine Prognose abgeben, wie die europäischen Richter entscheiden werden. Eines sei jedoch auszuschließen: Dass Ministerpräsident Söder tatsächlich ins Gefängnis müsse. Zum einen, weil er Immunität genieße. Zum anderen, weil eine Zwangshaft keine Strafhaft sei und allein deren Androhung schon dafür sorgen werde, dass Söder einlenken werde, bevor er einrücken müsse. Sobald die Staatsregierung die Entscheidungen der bayerischen Gerichte befolge, entfalle der Haftgrund.
„Das wäre wie ein Zellenbesuch mit dem Zellenschlüssel in der Hosentasche“, sagt auch Rechtsanwalt Remo Klinger, der die Deutsche Umwelthilfe am Dienstag in Luxemburg vertritt. Er brachte daher unlängst eine weitere Option ins Spiel. Statt der einmaligen Zahlung eines Zwangsgeldes könnte der Freistaat zu einer täglichen Zahlung von bis zu 10.000 Euro verdonnert werden. Das würde die Rechtsprechung seiner Meinung nach hergeben. Innerhalb eines Jahres würden so 3,65 Millionen Euro zusammenkommen. „Wenn das dann auch noch Herr Söder persönlich bezahlen müsste, dann wäre das Problem spätestens am zweiten Tag erledigt“, sagt Klinger.
Juraprofessor Wegener hält das für eine interessante Idee – die Umsetzung jedoch für schwierig: „Aber ich bin gespannt, wie das ausgeht.“ Eine Entscheidung fällen die EU-Richter voraussichtlich erst in einigen Wochen.