Die Bild-Zeitung hat sich wieder einmal mit einer äußerst umstrittenen Berichterstattung selbst ins Zentrum einer scharfen Debatte gestellt. Das Boulevardblatt hatte am Montag auf seiner Titelseite unverpixelte Fotos mehrerer Teilnehmer an den G20-Protesten in Hamburg gezeigt und seine Leser aufgerufen: „Gesucht! Wer kennt diese G20-Verbrecher?“ Sie sollten die Abgebildeten identifizieren. Bild unterstütze die Polizei. Seit Tagen tobt eine Debatte.
Die Polizei hat die "Bild" nie um Hilfe gebeten
Das Problem: Die Hamburger Polizei erklärte, sie habe die Zeitung nie um Hilfe gebeten. Im Zusammenhang mit einem anderen Fahndungsaufruf im Internet sprach die Polizei gar von einer „Online-Hetzjagd“. Und das war nur der Anfang.
Der Deutsche Presserat beschäftigt sich nun mit der Aktion. Und viele Juristen kritisieren die Bild scharf, unter anderem der bekannte Medienanwalt Ralf Höcker im Interview mit dem Branchendienst Meedia. Die Berichterstattung sei „Selbstjustiz“, sie sei „vorverurteilend und eindeutig ein rechtswidriger Pranger“, so Höcker. „In was für einem Land leben wir, in dem ein privates Unternehmen, eine Zeitung damit anfängt, Fahndungen einzuleiten? Das ist ein Handwerkszeug von Ermittlungsbehörden“, sagt der renommierte Medienrechtler.
Bayerns Justizminister Winfried Bausback (CSU) hat offensichtlich keine Bedenken gegen diese private Öffentlichkeitsfahndung. In seinem Facebook-Profil schreibt er: „Der Fahndungsaufruf von Bild ist meiner Meinung nach zu begrüßen und nicht zu kritisieren!“ Es bestehe ein hohes Interesse der Gesellschaft, die linksradikalen Extremisten zu finden. Warum solle die freie Presse „hier nicht zur Aufklärung beitragen?“, fragt der Juraprofessor.
Dieses Statement bringt wiederum den Rechtsexperten der bayerischen SPD, Franz Schindler, in Rage. Schindler ist Rechtsanwalt. Er sagt: „Ich frage mich, ob beim Justizminister die Sicherungen durchgebrannt sind.“ Was die Bild-Zeitung sich anmaße, sei ein „schwerer Eingriff ins Persönlichkeitsrecht“ – unabhängig davon, ob es sich um Straftäter handle oder nicht. „Ob die gezeigten Personen Straftäter sind oder nicht, das entscheidet nicht die Bild und nicht die Stimmung im Internet“, so Schindler. Das werde in einem fairen Verfahren geprüft, in dem sich ein Beschuldigter verteidigen darf. „Das muss doch auch der Herr Justizminister wissen.“ Er halte diese reißerische Berichterstattung und das öffentliche Anprangern für brandgefährlich, sagt Schindler.
Auf Anfrage unserer Redaktion sagte Justizminister Bausback am Mittwoch, er sei wie viele Bürgerinnen und Bürger empört über die Ausschreitungen von Hamburg. Es sei deshalb sehr wichtig, dass unsere gesamte Gesellschaft – auch die Medien – ein glasklares Signal setze: In Deutschland ist kein Platz für Extremisten, egal ob links, rechts oder islamistisch geprägt. „Darum geht es mir! Das ist es, was ich begrüße!“, so Bausback.
Auf die Frage, ob die Bild-Zeitung mit ihrem Vorgehen nicht Persönlichkeitsrechte breche, sagte der Justizminister: „Bei solch massiven Ausschreitungen, wie wir sie in Hamburg leider erleben mussten, spricht aus meiner Sicht einiges für ein gewichtiges Informationsinteresse der Öffentlichkeit.“
Die Frage, ob künftig jedes Medium ohne Absprache mit Polizei und Justiz nach Belieben Fahndungsfotos von vermeintlichen Straftätern veröffentlichen dürfe, beantwortet Bausback ausweichend: „Strafverfolgung und Ahndung von Straftaten sind alleine Aufgaben des Staates! Das war so, das ist so und daran wird sich auch nichts ändern.“
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