Startseite
Icon Pfeil nach unten
Bayern
Icon Pfeil nach unten

Steuerhinterziehung: Goldfinger-Prozess: Neue Schlappe für die Staatsanwaltschaft

Steuerhinterziehung

Goldfinger-Prozess: Neue Schlappe für die Staatsanwaltschaft

    • |
    Der Goldfinger-Prozess bleibt voller spannender Entwicklungen. Das Landgericht Augsburg hat nun den Befangenheitsantrag der Staatsanwaltschaft gegen den Vorsitzenden Richter als unzulässig verworfen.
    Der Goldfinger-Prozess bleibt voller spannender Entwicklungen. Das Landgericht Augsburg hat nun den Befangenheitsantrag der Staatsanwaltschaft gegen den Vorsitzenden Richter als unzulässig verworfen. Foto: Bas Czerwinski, dpa

    Der spektakuläre Goldfinger-Prozess um womöglich milliardenschwere Steuerhinterziehung kann weitergehen. Das Landgericht Augsburg hat den Befangenheitsantrag der Staatsanwaltschaft gegen den Vorsitzenden Richter der 10. Strafkammer als unzulässig verworfen, weil er zu spät gestellt worden sei. Zudem sei der Antrag unbegründet. Das teilte das Landgericht am Dienstagnachmittag mit. Extrem spannend bleibt es trotzdem. Schon am Mittwoch stehen weitere Entscheidungen an.

    Der Gerichtsbeschluss ist eine doppelte Niederlage für die Staatsanwaltschaft. Zum einen haben die Richter entschieden, dass die Anklagebehörde ihren Antrag verspätet gestellt hat. Nach der Strafprozessordnung muss ein sogenanntes Ablehnungsgesuch „unverzüglich“ gestellt werden. Es gelten strenge Maßstäbe. Die Staatsanwaltschaft hatte sich dafür zwei Tage Zeit gelassen. Zu lange, befand das Landgericht nun. Der Befangenheitsantrag hätte nach Ansicht der Richter spätestens am Tag nach den umstrittenen Äußerungen von Johannes Ballis gestellt werden müssen. Daher sei der Antrag unzulässig.

    Goldfinger-Prozess: Staatsanwaltschaft hat sich für den Antrag zu viel Zeit gelassen

    Doch die Richter beschäftigten sich außerdem mit der Frage, ob eine „Besorgnis der Befangenheit“ beim Vorsitzenden Richter der 10. Strafkammer vorliegt. Und auch hier kommen sie zu einem anderen Schluss als die Staatsanwaltschaft. Richter Ballis sei nicht befangen. Seine Ausführungen seien vorläufige Einschätzungen, seien „ersichtlich abgewogen“ und gingen nicht erkennbar nur zu Lasten der Staatsanwaltschaft. Zudem sei die Beweisaufnahme bereits weit fortgeschritten. Die Richter kritisieren zudem, dass die Staatsanwaltschaft in ihrem Befangenheitsantrag wesentliche Passagen der Stellungnahme unberücksichtigt gelassen habe. Beziehe man diese mit ein, werde klar, dass Richter Ballis eine „ausgewogene“ und „neutrale“ Haltung gegenüber allen Prozessbeteiligten habe. Verteidiger Richard Beyer kommentierte den Gerichtsbeschluss auf Anfrage mit den deftigen Worten: „Die Staatsanwaltschaft ist nicht mal in der Lage, einen richtigen Befangenheitsantrag zu stellen.“

    Über den Antrag haben die beiden Beisitzer der 10. Strafkammer mit einem Richter aus einer anderen Kammer entschieden. Die drei Berufsrichter sind mehrheitlich der Ansicht, dass sich ihr Kollege Ballis mit einem 30-seitigen Statement und einer vorläufigen Einschätzung des Verfahrens nicht befangen gemacht hat. Ballis hatte darin vorgeschlagen, das Verfahren gegen zwei Münchner Rechtsanwälte gegen Auflagen einzustellen. Die Staatsanwaltschaft hatte ihm daraufhin in einem Befangenheitsantrag vorgeworfen, seine Neutralität verletzt zu haben und nicht mehr unvoreingenommen zu sein. Obwohl die Beweisaufnahme noch lange nicht abgeschlossen sei, habe sich der Richter beim Schuldgehalt und zu erwartenden Strafen bereits festgelegt. Selbst zu Ermittlungsverfahren, die noch gar nicht angeklagt seien, habe er Position bezogen. Ein Befangenheitsantrag der Staatsanwaltschaft gegen Richter ist höchst selten. Normalerweise kommen solche Befangenheitsanträge von Verteidigern.

    Die scharfe Wortwahl der Ankläger im Befangenheitsantrag war ungewöhnlich

    Ungewöhnlich war auch die scharfe Wortwahl in dem Antrag der Augsburger Staatsanwaltschaft. Es sei nicht im Ansatz erkennbar, auf welcher tatsächlichen Grundlage Ballis seine Entscheidung getroffen habe; es sei offensichtlich, dass er falsche Maßstäbe ansetze; er lasse seine zu bildende Rechtsauffassung von persönlichen Erwägungen leiten; er erwecke den Eindruck, ihm fehle gegenüber der Staatsanwaltschaft das gebotene und unverzichtbare Maß an Distanz und Neutralität; und schließlich: „Das Vertrauen der Staatsanwaltschaft in die Unvoreingenommenheit des Vorsitzenden ist durch dieses Vorgehen zerstört ...“ So schreibt es die Leiterin der Wirtschaftsabteilung der Augsburger Staatsanwaltschaft, Brigitta Baur. Sie ist zwar weder Sachbearbeiterin im Goldfinger-Fall noch Sitzungsvertreterin im Prozess. In einer hierarchisch gegliederten Behörde wie der Staatsanwaltschaft kann sich aber jederzeit ein Vorgesetzter einmischen. Das ist ein erheblicher Unterschied zum Gericht: Jeder Richter kann frei und unabhängig entscheiden.

    Das Augsburger Goldfinger-Verfahren macht seit Monaten bundesweit Schlagzeilen. Das liegt zum einen an der Summe, die im Raum steht: Mehr als eine Milliarde Euro könnte dem Fiskus vorenthalten worden sein. Steuergeld, das vor allem vermögende Bürger hätten zahlen müssen – vorausgesetzt, die Justiz würde das umstrittene Steuersparmodell als illegal einstufen. Und es liegt zum anderen an der hohen Zahl der Beschuldigten: Gegen mehr als 100 wird ermittelt, 20 wurden angeklagt. Mehrere Anwälte saßen in Untersuchungshaft.

    Machtprobe bei der Augsburger Justiz hinter den Kulissen des Goldfinger-Prozess

    Zwei von ihnen müssen sich seit Mitte November 2019 vor der 10. Strafkammer des Augsburger Landgerichts verantworten. Es handelt sich um die Anwälte Martin H., 48, und Diethard G., 46, aus München. Die Staatsanwaltschaft wirft ihnen vor, mit „Goldfinger“ ein illegales Steuersparmodell entwickelt zu haben. Die Verteidigung bestreitet das vehement. Und nach den jüngsten Ausführungen des Vorsitzenden Richters Ballis bezweifelt auch das Gericht, dass es sich eindeutig um ein illegales Modell gehandelt hat. Jedenfalls habe das die bisherige Beweisaufnahme nicht ergeben. Stattdessen müsse man von einer „Steuergestaltung im ‘Grenzbereich’“ ausgehen – und davon, dass möglicherweise Grenzen „teilweise überschritten“ worden seien. Vor diesem Hintergrund sei eine Verurteilung der beiden Angeklagten „zwar möglich, aber alles andere als sicher“. So hatte es Ballis gesagt.

    So funktioniert der "Goldfinger"-Steuertrick

    Der "Goldfinger"-Steuertrick kurz erklärt

    Vereinfacht ausgedrückt funktioniert „Goldfinger“ so: Die Goldhandelsfirma musste in einem Land gegründet werden, mit dem Deutschland ein Doppelbesteuerungsabkommen hat. Auf diese Weise konnten Verluste beim Ankauf von Gold in Deutschland steuerlich geltend gemacht werden.

    So wurden Einkünfte aus dem Verkauf des Goldes im Jahr darauf steuerlich kompensiert. Die Steuerlast konnte massiv gedrückt werden.

    Im besten Fall konnte im ersten Jahr der Steuersatz auf null Prozent gesenkt werden. Im nächsten Jahr erhöhte sich der Steuersatz nur minimal, weil der Betroffene ohnehin nahe am Spitzensteuersatz lag.

    Beim „Goldfinger“-Modell hat der Gesetzgeber über Jahre ein Schlupfloch gelassen. Vor allem bei Einkommensmillionären war dieser Trick beliebt, sie konnten ihre Steuerlast massiv reduzieren. Doch seit 2013 ist die Steuervermeidung über dieses Modell gesetzlich verboten.

    Der Bundesfinanzhof in München, das höchste deutsche Finanzgericht, hatte 2017 allerdings zwei spezielle „Goldfinger“-Modelle unter bestimmten Voraussetzungen als zulässig akzeptiert. Hier stellt sich aber die Gerechtigkeitsfrage. Denn dieses Modell können sich nur Reiche leisten, weil dafür hohe Summen und teure Top-Steuerberater nötig sind. (hogs)

    Der Entscheidung des Landgerichts ging nach Informationen unserer Redaktion eine wochenlange Machtprobe hinter den Kulissen der Augsburger Justiz voraus. Grob eingeteilt, gibt es zwei Lager: Die einen stützen die Argumentation der Staatsanwaltschaft zum Goldfinger-Modell und sind der Ansicht, dass sich Richter Ballis mit seiner Ansage zu weit aus dem Fenster gelehnt hat. Die anderen finden, dass die Staatsanwaltschaft in diesem Verfahren deutlich über die Stränge geschlagen hat und ihre Beweise für eine strafrechtlich relevante Steuerhinterziehung dürftig sind.

    Goldfinger-Prozess: Welche Rolle spielt der Generalstaatsanwalt?

    Die Dimension und der öffentliche Widerhall des Goldfinger-Prozesses führen außerdem dazu, dass es sich um eine sogenannte „Berichtssache“ handelt. Das bedeutet, dass der Generalstaatsanwalt in München und das bayerische Justizministerium jederzeit auf dem Laufenden gehalten werden über die Vorkommnisse im Prozess. Nach Recherchen unserer Redaktion war man an höherer Stelle zuletzt sehr unglücklich über den Verlauf des Goldfinger-Prozesses in Augsburg.

    Mit der Entscheidung des Gerichts kann das Verfahren nun aber weitergehen. Und bereits am Mittwoch wird es wieder sehr spannend. Denn dann müssen sich Staatsanwaltschaft und Verteidigung zu dem Vorschlag von Richter Ballis äußern, das Verfahren gegen eine Geldauflage einzustellen. Diese Lösung wäre nur möglich, wenn beide Seiten zustimmen. Für die Verteidigung, die eigentlich auf einen Freispruch herauswollte, wäre es unter bestimmten Umständen eine Option, erklärt Rechtsanwalt Richard Beyer: Eine Geldauflage dürfe nur „symbolischen Wert“ haben. Zudem müssten mit der Einstellung die Vorwürfe aus anderen Ermittlungsverfahren gegen die beiden Anwälte vom Tisch sein. Und schließlich müsste das Gericht in der Einstellung eine grundsätzliche Entschädigungspflicht für Martin H. und Diethard G. festhalten. Denn die beiden Angeklagten und ihre Verteidiger planen eine große Entschädigungsklage mit Forderungen in Millionenhöhe gegen den Freistaat Bayern.

    Lesen Sie dazu auch:

    Wir wollen wissen, was Sie denken: Die Augsburger Allgemeine arbeitet daher mit dem Meinungsforschungsinstitut Civey zusammen. Was es mit den repräsentativen Umfragen auf sich hat und warum Sie sich registrieren sollten, lesen Sie hier.

    Diskutieren Sie mit
    0 Kommentare
    Dieser Artikel kann nicht mehr kommentiert werden