Das Anliegen des älteren Herrn am anderen Ende der Telefonleitung lässt zunächst zurückschrecken: „Wissen Sie, ich will einfach nur sterben“, berichtet der 86-Jährige unserer Redaktion und teilt das mit sehr klaren Worten mit. Er sei nicht depressiv, nicht krank, er habe sich das genau überlegt, er fühle sich am Ende seines Lebens. Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe habe ja unlängst erst klar gesagt, dass es jedem erlaubt sei, selbst zu bestimmen, wann er sterben wolle. Und er, der 86-Jährige, habe dies sogar schwarz auf weiß. Das habe ihm ein Amtsrichter in einem Beschluss mitgeteilt. „Doch mein Problem ist: Ich finde keinen Arzt, der mir bei meinem Vorhaben helfen will.“ Was man denn in dieser Situation nun tun könne?
Da ist man als Redakteur erst einmal etwas baff. Jemand will nicht mehr leben. Darf man darauf als Journalist – rein moralisch gesehen – überhaupt eingehen? Ist dieser ältere Herr, der verständlicherweise anonym bleiben will, womöglich doch voller psychischer Probleme? Bei denen man ihm vielleicht doch noch helfen könnte? Wie soll man das am Telefon erkennen?
Viele Ärzte wollen aus moralischen Gründen keine Sterbehilfe leisten
Der Senior ist so freundlich und schickt das Schreiben eines oberbayerischen Amtsgerichtes, in dessen Zuständigkeitsbereich der 86-Jährige bis vor kurzem lebte. Und tatsächlich steht es dort schwarz auf weiß: „Nicht Ärzte oder Richter entscheiden, wann der Betroffene sein Leben lebenswert oder nicht mehr lebenswert zu halten hat.“ Und der Amtsrichter befindet weiter: „Die Entscheidung des Einzelnen, dem eigenen Leben entsprechend seinem Verständnis von Lebensqualität und Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz ein Ende zu setzen, ist im Ausgangspunkt als Akt autonomer Selbstbestimmung von Staat und Gesellschaft zu respektieren.“
Anlass des Richters und auch eines ärztlichen Gutachters für diese Zeilen war, zu beurteilen, ob der ältere Herr wegen Suizidalität in der Psychiatrie unterzubringen sei. Doch die Begutachtung ergab: Nein. Der 86-Jährige darf zu recht aus dem Leben scheiden wollen. Wie der Mann in einem weiteren Gespräch schildert, sei seine Frau vor vielen Jahren gestorben, und nun auch noch seine Lebensgefährtin – er wolle einfach nicht mehr. Alle Ärzte, die er fragte, hätten aber abgewinkt, ihm zu helfen. Aus moralischen Gründen.
Bei der Landesärztekammer in München verweist Pressesprecherin Dagmar Nedbal auf die Berufsordnung der Ärzte. In den meisten Berufsordnungen der Ärzte – diese sind nach Bundesländern organisiert – fänden sich Verweise, dass Sterbehilfe keine ärztliche Aufgabe sei. Dieser Hinweis fehle zwar in der bayerischen Berufsordnung. Aber: „Es gibt auch hier keinerlei Verpflichtung für einen Arzt, Sterbehilfe zu leisten.“ Und viele Ärzte in Bayern möchten dies aus moralischen Gründen nicht.
Das Bundesverfassungsgericht hat Sterbehilfe vor kurzem erlaubt
Wie etwa Dr. Jakob Berger, Sprecher der Hausärzte in Bayerisch-Schwaben. „Als Christ lehne ich Sterbehilfe ab“, sagt der 70-Jährige. „Stattdessen sollte man versuchen, dem Betreffenden Hilfestellung zu geben.“ Er ist sich sicher, dass es ihm in 45 Jahren als Arzt immer gelungen sei, Sterbende derart bis zum Tod zu begleiten, dass es für sie würdig war.“ Und wenn dies erfordert habe, dass er als Hausarzt bis zu drei- oder viermal am Tag zu eben einem solchen Patienten hinfahren musste. Überdies kenne er tatsächlich keinen ärztlichen Kollegen in der Region, der dem 86-Jährigen helfen würde.
Den Mediziner Professor Georg Marckmann, Vorstand des Institutes für Ethik, Geschichte und Theorie der Medizin an der Ludwig-Maximilians-Universität, wundert das nicht. „Solange das Ganze nicht in der Berufsordnung der Ärzte geändert wird, werden sich viele Mediziner zurückhaltend zeigen“, sagt der Wissenschaftler.
Oder der Gesetzgeber verabschiedet eine konkrete Sterbehilferegelung, nach der sich die Ärzte richten müssen. Doch die gebe es noch nicht. „Es handelt sich derzeit tatsächlich um eine für diesen Menschen unbefriedigende Situation“, sagt Marckmann. Sterbehilfe ist laut Bundesverfassungsgericht nun erlaubt. Aber es findet sich kaum jemand, der einem Sterbewilligen fachlich helfen möchte.
Keine Sterbehilfe in Deutschland: Ein Verein in der Schweiz kann helfen
Marckmann verweist allerdings auf den Verein „Sterbehilfe“, der zwar aus entstehungsgeschichtlichen Gründen seinen Sitz in Zürich hat, aber eigentlich eher ein deutscher Verein ist, der zudem eine Geschäftsstelle in Hamburg betreibt. Dieser Verein ist bereit, Sterbewilligen zu helfen. Schaut man sich auf der Website des Vereins um, stellt man fest, dass das keine ganz billige Leistung ist. Sie kostet nämlich 7000 Euro. Obwohl der Verein nach eigener Auskunft gemeinnützig tätig ist.
Mitarbeiterin Meike Hoffmanns erklärt bereitwillig, wie der Verein vorgeht und woher die hohen Kosten kommen. Zur Zeit hat er bundesweit 497 Mitglieder. Man muss Mitglied werden, wenn man die Suizidhilfe in Anspruch nehmen will. Je länger man Mitglied ist, desto mehr sinken die Kosten dafür. 7000 Euro fallen nur dann an, wenn man beitritt und sogleich die Hilfe in Anspruch nehmen will. Dafür schaltet der Verein einen Anwalt ein, der unter anderem eine juristisch wasserdichte Patientenverfügung erstellt.
Des Weiteren fertigt ein Arzt ein Gutachten an, inwieweit der Sterbewillige festen Willens ist – oder am Ende vielleicht doch eher jemand ist, dem man diesen Wunsch nicht erfüllen sollte, weil er sich vielleicht gerade in einer Lebenskrise befindet, die sich aber lösen lässt. „Dadurch entstehen natürlich Kosten für die Honorare“, erklärt Hoffmanns.
Tödlicher Cocktail: Schlafmittel, Arznei gegen Erbrechen und tödlich wirkendes Mittel
Liegt grünes Licht vor, entscheidet die Vereinsführung darüber, ob dem Wunsch des Sterbewilligen entsprochen wird. Wenn ja, wird diesem ein Kombipräparat verschrieben und verabreicht, bestehend aus einem Schlafmittel, einem Mittel gegen Erbrechen und einem tödlich wirkenden Mittel. Was genau verabreicht wird, will der Verein nicht öffentlich sagen, weil er unprofessionelles Nachahmen befürchtet.
Was ist nun, wenn man das Geld nicht hat? „Wir haben in vielen Fällen auch dann immer eine Lösung gefunden“, sagt Hoffmanns. Der Beitrag könne nach individueller Abstimmung geringer und den Lebensverhältnissen der Sterbewilligen angemessen ausfallen. Der Verein engagiert sich seit über zehn Jahren für die Selbstbestimmung am Lebensende. „In dieser Zeit haben wir über 1500 Mitglieder in schwierigen Lebensphasen beraten und über 250 Mitglieder im Sterben begleitet“, heißt es.
Wir landen wieder telefonisch bei dem 86-Jährigen. „Ich werde mich nun erkundigen, ob dieser Verein auch etwas für mich ist“, sagt er dankbar. Und dann verabschiedet er sich freundlich am Telefon.
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