Die CSU hält trotz des Widerstands ihres Koalitionspartners FDP daran fest, eine Integrationspflicht für Migranten in der Bayerischen Verfassung festschreiben zu wollen. Wir haben uns über das Für und Wider dieser Pläne mit dem 82 Jahre alten Münchner Staats- und Verwaltungsrechtler Hans F. Zacher gesprochen.
Herr Professor Zacher, die CSU hat, wie es aussieht, im Landtag keine Verbündeten, um eine Verfassungsänderung herbeizuführen und dort beispielsweise Integrationspflichten von Migranten zu verankern. Könnte der Landtag denn umgangen werden – und direkt das Volk über den Verfassungseingriff entscheiden.
Zacher: Ja, das ist möglich. Parteien an sich können das nicht, aber Bürger können es im Wege des Volksbegehrens so organisieren, auch wenn sie ein und derselben Partei angehören sollten.
Dann ist selbst eine Verfassungsänderung letztlich nicht von der Zwei-Drittel-Mehrheit im Landtag, sondern vom bayerischen Volk abhängig?
Zacher: So ist es.
Wäre es politisch klug, wenn die CSU versucht, den Weg direkt über die Bürger zu wählen, weil es keine Lösung über den Landtag gibt?
Zacher: Die CSU könnte das schon für lohnend halten, weil sich damit die Chance eröffnet, unter Beweis zu stellen, dass sie die Mehrheit der Bayern hinter sich hat. Aber: Fällt sie damit durch, dann kann sie auch Spott ernten. Insofern wäre dies durchaus ein Risiko, weil die CSU in diesem Fall unbeabsichtigt den Beweis liefern würde: Sie kann nicht mehr genügend Menschen für ihre Sache gewinnen.
Was halten Sie überhaupt von dem Vorschlag, Integrationspflichten für Migranten in der Bayerischen Verfassung festzuschreiben?
Zacher: Es wäre eine der vielen Überfrachtungen der Verfassung mit Programmen, die von der Landespolitik nicht mehr erfüllt werden können. Längst wird doch vieles, was die Verfassung verspricht, vom Bund und von Europa aus reglementiert. Und ein Land wie Bayern kann nicht mehr darüber befinden oder sich darüberhinwegsetzen, egal was in der Verfassung steht. Die angestrebte Verfassungsänderung müsste kein Verstoß gegen das Grundgesetz sein. Das Bundesverfassungsgericht toleriert im Allgemeinen Vorschriften dieser Art. Aber nicht alles, was nicht grundgesetzwidrig ist, ist auch schon sinnvoll.
Sollte die Verfassung – auch um der Ehrlichkeit willen – nicht entrümpelt werden?
Zacher: Die Verfassung atmet die Wirklichkeit des Jahres 1946. Sie enthält noch immer Vorschriften, die nichts mehr mit den Realitäten der Gegenwart zu tun haben. Ein extremes Beispiel: Nach wie vor geht es im Artikel 155 um Bedarfsdeckungsgebiete, die gebildet werden sollten. Das hätte konkret bedeutet, dass Regionen, in denen etwa Kohle produziert wird, mit anderen Gebieten in Austausch treten sollten, in denen zum Beispiel Kartoffeln angebaut wurden. Nach dem Krieg war das verständlich. Heute ist es das nicht mehr.
Also weniger statt mehr Verfassung?
Zacher: Aus Anlass eines Verfassungsjubiläums wäre es sicher eine Aufgabe, die Illusion der Einzelheiten ein wenig zu reduzieren. Aber das lohnt sich offenbar nicht sehr. Auch bei Verfassungsrevisionen ist daran nichts geändert worden. Die Sprecher aller Parteien und Verbände greifen noch immer gerne in die Schatztruhe dieser Verfassungsversprechen. Man denke nur an das Beispiel Mindestlöhne.
Das, was Seehofer jetzt plant: Ist das nur Symbolpolitik?
Zacher: Symbolpolitik – das ist der richtige Ausdruck dafür. Aber es gäbe durchaus eine positive, konstruktive Möglichkeit: ein bayerisches Integrationsprogramm für Migranten. Auch wenn der Bund die Einwanderung an sich zu regeln hat, hat das Land genügend Pflichten und Möglichkeiten, um die Integration zu begleiten. Ein solches Verfassungsprogramm könnte durchaus eine Aussage auch darüber enthalten, was der Freistaat Bayern anbietet, um den Spracherwerb von Migranten zu fördern, und wie er diese Angebote verbindlich macht.
Können Sie mir zum Schluss noch ein Beispiel nennen, welche Verfassungsänderung Sie in der Vergangenheit für falsch gehalten haben?
Zacher: Die Abschaffung des Senats habe ich für einen großen Fehler gehalten. Der Senat als beratendes Gremium der Staatsregierung und des Landtags war nicht nur ein Beispiel bayerischer Originalität. In einer Zeit der Parteimüdigkeit wurde leichtfertig auf ein Verfassungsorgan verzichtet, das alternativ besetzt war. Ein reformierter Senat könnte, wenn es ihn noch gäbe, als weiser Ratgeber wirken, der der gesamten Landespolitik guttäte. Interview: Till Hofmann
Hans F. Zacher ist emeritierter Professor für Öffentliches Recht an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Seit mehr als 50 Jahren beschäftigt sich der frühere Direktor des Max-Planck-Instituts für internationales Sozialrecht mit der Verfassung des Freistaats. Sein Doktorvater Hans Nawiasky ist einer der Väter der Bayerischen Verfassung.