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Silberdistel im Juli: Der Lebensmittelpunkt

Silberdistel im Juli

Der Lebensmittelpunkt

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    Der Dorfladen in Jedesheim ist ungleich mehr als ein Geschäft, er ist der Lebensmittelpunkt dieses Illertisser Stadtteils. Und zum Ratschen hat Kassiererin Helga Hörmann auch immer Zeit.
    Der Dorfladen in Jedesheim ist ungleich mehr als ein Geschäft, er ist der Lebensmittelpunkt dieses Illertisser Stadtteils. Und zum Ratschen hat Kassiererin Helga Hörmann auch immer Zeit. Foto: Foto: Regina Langhans

    Illertissen-Jedesheim Natürlich war das Dorfgespräch: Der „Sarossi“ macht zu. Und dann? Würde Jedesheim keinen Lebensmittelladen mehr haben. Weil das nicht passieren durfte, hockten sich sechs Frauen nach der Kirchenchorprobe zusammen und beratschlagten. Sie wollten auf eigene Faust einen neuen Pächter suchen. Sie fanden jemanden: sich selbst. Vor zehn Jahren gründete sich der Dorfladen in

    Die etwas ältliche Computerkasse ist unbestechlich. 485000 Kunden sind in dem gerade mal 91 Quadratmeter kleinen Geschäft aus und ein gegangen. Siegfried Schwab, Vorstandsvorsitzender der Genossenschaft, hätte zwar zum Jubiläum gerne die halbe Million vollgemacht, doch dafür langt es nicht mehr ganz. Das wäre aber nur noch das Tüpfelchen auf dem „i“, denn der eigentliche, von niemandem erwartete Erfolg ist schließlich, zehn Jahre lang durchgehalten und dem Dorf einen „Lebensmittelpunkt“ gegeben zu haben, wo so vieles zusammenläuft.

    Gerade in diesen Wochen ist das Lädle noch wichtiger geworden, denn die Dorfwirtschaft hat mangels Pächter dichtgemacht. Hier wird „manchmal mehr geratscht, als gekauft“, sagt Ruth Du Hommet. Sie ist eine von 20 Frauen und Männern, die das Geschäft umtreiben – mit viel Herzblut natürlich, denn dieses Kind des ausgeprägten Jedesheimer Gemein- aber auch Eigensinns hat zwar laufen gelernt, braucht aber immer noch viel Betreuung, Zuneigung, Liebe.

    Als der „Sarrosi“ tatsächlich geschlossen wurde und sich kein geeigneter Pächter fand, standen die Dörfler vor der schweren Entscheidung, den Laden in Eigenregie weiter zu betreiben. Sicher, die heutige Ladenchefin Helga Hörmann ist zwar gelernte Verkäuferin, aber auch sie war bis dahin noch nie ihre eigene Arbeitgeberin gewesen. Die Chor-Frauen und ihre männlichen Unterstützer schauten erst einmal, wie es andere machten, denn gemeinschaftlich betriebene Dorfläden gab es bereits damals. Sie entschieden sich, eine Genossenschaft zu gründen und wurden tatsächlich von einer Woge der Begeisterung im Dorf weiter getragen. Mittlerweile besitzen 267 Jedesheimer, aber auch einige Illertisser Anteilsscheine im Wert von je 130 Euro.

    Nach einer umfangreichen Fragebogenaktion machte der Laden auf – und musste im Jahr darauf wieder schließen: In der darübergelegenen Wohnung war ein Wasserrohr geplatzt und hatte das komplette Sortiment durchnässt. Es sah aus wie in einer Tropfsteinhöhle. Helga Hörmann: „Wir standen ernsthaft vor der Frage, ob wir wieder aufhören sollten. Aber das ging doch nicht, wir hatten doch den Auftrag der Genossen.“ Und stillschweigend auch von vielen Dorfbewohnern.

    Drei Jahre später drohte erneut Gefahr. Eines Tages schaute sich im Laden ein Mann um, der das Gebäude, eine ehemalige Molkerei, kaufen wollte. Den Laden, den würde es danach nicht mehr geben, behauptete er, denn er wollte eine Werkstatt einrichten. Damit war der Genossenschaft klar, dass sie nach dem Auslaufen des Pachtvertrages die Immobilie würde kaufen müssen, um sie für sich zu retten. Sie tat es, unter erheblichen Schmerzen, die sie immer noch plagen.

    Sicher, das Geschäft geht ordentlich, fast alle Kunden sind mit den Verkäuferinnen per du, aber dennoch bleibt wenig hängen, das Geschäft braucht wirklich jeden Kunden. Nicht jeder Jedesheimer fühlt sich dem Projekt solidarisch verbunden und fährt lieber ein paar Kilometer, um sich woanders einzudecken, zumal die Warenpreise zwar fair kalkuliert sind, aber eben kein Discountniveau erreichen. Dafür legen sie im „Lebensmittelpunkt“ Wert auf Qualität, versuchen, das Angebot so regional wie möglich zu gestalten und sehen sich vielleicht auch ein wenig als Botschafter des guten Geschmacks aufzutreten.

    Kompromisse wollen sie nicht eingehen – und sie sind stolz, dass sie bisher ohne einen Euro fremder Hilfe ausgekommen sind. Dass der Laden läuft und läuft und läuft, hat auch etwas damit zu tun, was Ulrich Häutle. Gründungsvorsitzender der Genossenschaft, so formuliert: „All die Jahre waren zufälligerweise die richtigen Leute an der richtigen Stelle, bei allen Problemen.“

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