Der Nebel hängt tief in die Kreisstadt Regen hinein. Es sieht fast so aus, als würde es in dem 12 000-Seelen-Ort im Bayerischen Wald keinen Himmel mehr geben. Es ist auch kalt und ungemütlich geworden in den letzten Tagen. Michael Adam könnte die Wetterlage persönlich nehmen. Für den erfolgsverwöhnten jüngsten Landrat Deutschlands ist seit knapp einer Woche eine Menge durcheinandergeraten. Man muss sagen: auch selbst verschuldet. Der 28-Jährige hat öffentlich eingeräumt, mehrmals Sex mit einem unbekannten 20-jährigen Liebhaber gehabt zu haben – im Landratsbüro.
Michael Adam wohl bekanntester SPD-Politiker Bayerns
Eigentlich wäre das nur eine Provinzaffäre. Wäre Adam nicht inzwischen der vermutlich bekannteste SPD-Politiker Bayerns. Und: Wäre er nicht schwul und evangelisch. Aber der Sohn eines Schweißers und einer Arzthelferin hat vor ziemlich genau zwei Jahren die politischen Naturgesetze im Bayerischen Wald außer Kraft gesetzt. Er wurde im bisher politisch pechschwarzen Kreis Regen zum Landrat gewählt. Die Süddeutsche Zeitung kommentierte damals: „Wer sein Milchbuben-Gesicht kennt, der traut es ihm nicht zu, aber Adam kann mit jungen Leuten in der Disko genauso umgehen wie mit Senioren.“
Die Leute mögen ihn, weil er ehrlich, geradeheraus und kompetent ist, hört man. Nicht wenige, selbst Mitglieder des politischen Gegners, prophezeien ihm eine große Karriere. Adam hat in seiner Heimat Beliebtheitsgrade erreicht, über die sich auch vom Erfolg verwöhnte CSU-Politiker freuen würden.
Nun haben am vergangenen Sonntag die Boulevardzeitung Bild am Sonntagund ein örtliches Werbeblatt, zwischen denen es personelle Verbindungen gibt, in daumengroßen Buchstaben auf den Titelseiten über seine Liebestreffen im Dienstzimmer berichtet. Und der Shootingstar ist in die Defensive geraten. Nicht nur, dass er seinem Lebenspartner, den er erst vor zwei Jahren geheiratet hat, einiges erklären muss. Auch die Karriere steht plötzlich auf dem Spiel. Die Frage ist: Kann einer in der erzkatholischen Provinz Landrat bleiben, der die Amtswürde verletzt hat?
Er hat versucht, die Risse in seiner Beziehung zu kitten
Adam fährt bisher eine kluge Kommunikationsstrategie. Erst räumt er alles ein und entschuldigt sich. Dann hält er es mit Hape Kerkeling. Nach dem Motto „Ich bin dann mal weg“ fährt er mit seinem Lebenspartner Tobias Eckert einige Tage in den Urlaub, um die Risse in der Beziehung wieder zu kitten. Und um über seine Zukunft nachzudenken. In der Heimat köcheln die Diskussionen weiter. Die „Sexaffäre Adam“ ist – wen wundert’s – das Stadtgespräch.
Thomas Weyermann, 43, gehört zu denen, die fest zum jungen Politiker halten. Obwohl er nach eigenem Bekunden weder ein Freund noch ein guter Bekannter von ihm ist, hat der verheiratete Familienvater (fünf Kinder) die Initiative ergriffen, die Seite „Wir sind Landrat“ auf der Internetplattform Facebook eröffnet und für den gestrigen Freitag eine Demonstration „Pro Adam“ am Stadtplatz organisiert.
„Der Erfolg ist erstaunlich“, sagt Weyermann. Schon nach wenigen Stunden haben sich mehrere tausend Adam-Freunde solidarisiert. Wie ein Lauffeuer spricht es sich im sozialen Netzwerk herum. Sogar der Liedermacher Konstantin Wecker meldet sich aus München: „Mir graust es vor den Spießern und Puritanern, vor einer selbst ernannten Sittenpolizei, die vor Verlogenheit trieft und im Jagdfieber sabbert, wenn sie einen prominenten Schwulen erlegen kann“, schreibt er.
Adam sei ein Segen für den Landkreis
Adam „erlegen“, wie Wecker das nennt, will an diesem Tag in Regen allerdings niemand – nicht mit offenem Visier. Das zumindest zeigt eine spontane Umfrage auf der Straße. „Es wird auch schwierig, jemanden zu finden, der gegen ihn ist“, sagen zwei ältere Männer. Denn Michael Adam sei politisch ein Segen für den Landkreis. Eine Bäckereiverkäuferin stimmt zu: „Der hat’s halt einfach drauf. Die Großen fürchten sich vor ihm. Alles andere ist seine Privatsache.“ Ein Gastwirt sagt breit grinsend: „Dumm ist er halt noch, der Bursch. Erst 28. So einen Fehler macht er aber sicher nicht mehr.“ Die Jüngeren sind sowieso für Adam: „Wenn um jede Sexaffäre eines bayerischen Landrates so viel Wind gemacht würde, wo kämen wir denn da hin?“, fragt ein Passant, der nicht älter als 20 ist.
Allerdings gibt es auch die anderen, die ziemlich getarnt im Internet gegen Adam hetzen. „Wir mussten schon diverse solcher Einträge auf unserer Seite löschen“, erzählt Thomas Weyermann. Sprüche vom Kaliber: „Hau ab, du schwule Sau“ oder „Arschf . . . – du musst weg!“ kämen immer wieder vor.
Es geht auch noch eine Spur heftiger. Ein Unbekannter mit tiefer Männerstimme hat den Immobilienmakler schon telefonisch bedroht: „Wenn du so weitermachst, bist du der Nächste!“ Weyermanns Haus liegt da, wo sich normalerweise Fuchs und Hase Gute Nacht sagen – am Waldrand außerhalb der Stadt, in der Nähe der Bayerwaldkaserne. Der Familienvater macht sich Sorgen: „Am Ende brennt so ein Verrückter noch mein Haus ab.“
Üble Schmutzkampagne gegen Michael Adam vermutet
Klein beigeben will er aber auch nicht, zumal er eine üble Schmutzkampagne gegen den Landrat vermutet. Die Geschichte, die er dazu erzählt, klingt plausibel. Weyermann spricht vom „Rachefeldzug eines Diskobesitzers“. Auch in der Stadt erzählt man sich das. Die Türsteher des Gastronomen sollen im Wortsinne öfters mal über die Stränge schlagen und Besucher brutal verprügeln. Weyermann sagt: „Mein eigener Sohn wurde von den Security-Leuten schon grün und blau geschlagen.“ Adam hat von dem Problem gehört, dagegen protestiert und mit Kontrollen gedroht.
Der Diskobetreiber bestreitet bisher jeden Zusammenhang. Doch nach Informationen unserer Zeitung existieren E-Mails, die vermuten lassen, dass sich er und Adams junger Liebhaber kennen. Mancher Regener hält es auch nicht für ausgeschlossen, dass die Landes-SPD um ihren Vorsitzenden Florian Pronold, so etwas wie Adams politischer Lieblingsfeind, die pikante Geschichte an die Presse weitergegeben haben könnte.
Hell erleuchtet ist das Landratsamt, ein moderner Bau am Stadtrand, an diesem trüben Tag schon am frühen Nachmittag. Vor dem Sekretariat des Landrats stehen zwei große hölzerne Figuren. Man könnte meinen, sie wollten weiteres Unheil von Adam abhalten. Der ist zu diesem Zeitpunkt noch im Urlaub. Wo er denn sei? Die Dame im Vorzimmer antwortet freundlich, aber wortkarg: „Ich weiß es nicht.“ Landratsamts-Sprecher Heiko Langer, der ebenfalls die Stellung hält, lächelt: „Ich weiß es schon, aber ich sage es Ihnen nicht.“
Langer, gelernter Journalist, ist stinksauer auf die Kollegen
Langer hält die Affäre derzeit in Atem. Auf seinem Schreibtisch liegt ein Berg Zeitungen. Immer lautet die Schlagzeile: „Sexskandal um Landrat“ oder so ähnlich. Langer, ein gelernter Journalist, ist stinksauer auf die Kollegen – vor allem die der Boulevardpresse. „Mit welchem Recht berichten die auf der Titelseite darüber?“, fragt er. Die Antwort gibt er sich selbst: „Mit keinem!“
„Unterste Schublade“ sei das – und fügt mit ernstem Gesichtsausdruck hinzu: „So macht man Menschen kaputt.“ Langer ist nicht der Einzige, der das sagt. In Regen reagieren viele Leute empfindlich auf „Rufmord“, wie es heißt. Adams Vorgänger Heinz Wölfl, ein Christsozialer, hat sich 2011 das Leben genommen. Er hatte Spielschulden, es wurde wegen Korruption ermittelt.
In diesem Zusammenhang ist die Aufregung Langers zu verstehen. Nachdem er sich etwas beruhigt hat, räumt der Sprecher ein, dass auch Adam kein Unschuldsengel sei. Politisch schieße er mit seinen Aussagen bisweilen übers Ziel hinaus. Natürlich habe er darum nicht nur Freunde. Die Art und Weise aber, wie er nun diskreditiert werde, findet Langer unwürdig.
Der Sprecher sagt, Adam halte „sich in seiner Amtsführung an alle Gesetze und Vorschriften“. Die private Nutzung seines Dienstwagens sei ihm erlaubt. Mit dem hat er den jungen Mann abgeholt. Und: „Herr Landrat Adam konsumiert keinerlei Drogen.“ Das hatte der Liebhaber behauptet. Inzwischen hat Michael Adam eingeräumt, das Rauschmittel "Poppers" konsumiert zu haben, wobei der Stoff für ihn keine Drogen seien, wie er in einer Pressemitteilung verlauten ließ.
Seit Donnerstag ist Michael Adam, im Volksmund nach Berlins Bürgermeister Klaus Wowereit auch der „Wald-Wowi“ genannt, wieder zurück in Regen. Auf der gestrigen Demonstration ließ er sich allerdings nicht sehen. Sein Sprecher kündigt aber an: „Am Montag ist der Landrat wieder im Büro.“ Dass er den Schreibtisch dort wegen der Sexaffäre räumen muss, daran glauben in Regen nicht einmal seine politischen Gegner.