Frau Professor Böhme, Sie haben im Ostallgäuer Pforzen eine Weltsensation gefunden: Knochen eines Primaten, der vor 11,6 Millionen Jahren lebte und aufrecht ging. Der aufrechte Gang hat sich womöglich also im Allgäu entwickelt – und nicht in Afrika. Damit ist diese neu entdeckte Art "Danuvius guggenmosi" fast sechs Millionen Jahre älter als bisherige vergleichbare Funde. Am Dienstag haben Sie Ihre Ergebnisse der Weltöffentlichkeit vorgestellt. Wie geht es Ihnen am Tag danach?
Prof. Dr. Madelaine Böhme: Ich habe keine Zeit nachzudenken oder zu essen. Gerade war der Deutschlandfunk dran, gleich kommt das ZDF. Aber ich habe mir extra zehn Tage genommen, die ich für die Medien reserviert habe. Mir war klar, dass es viele Nachfragen geben wird. Wissenschaftlich habe ich meine Arbeit in der renommierten Zeitschrift Nature publiziert.
Sie haben betont, dass der Menschenaffe sehr wahrscheinlich viele Geschlechtspartnerinnen hatte. Neben dem Männchen haben Sie ja auch noch die Überreste von zwei weiblichen und einem Jungtier gefunden. Sie erklären das polygame Verhalten damit, dass "Udo"– so haben Sie ja das Männchengenannt – einen deutlich längeren Ringfinger hatte als sein Zeigefinger lang ist. Wieso ist das so aussagekräftig?
Böhme: Man weiß definitiv, dass das Verhältnis zwischen Ring- und Zeigefinger bei den Primatenarten der Welt eine Aussage darüber zulässt, wie mono- oder polygam sie sind. Die monogamsten Primaten der Erde sind der Mensch und der Gibbon. Bei ihnen sind Zeige- und Ringfinger ungefähr gleich lang. Bei vielen anderen Primatenarten – wie etwa dem Gorilla – ist das Verhältnis viel ungleicher. Diese Arten pflegen viel mehr Polygamie. So ist es auch mit "Udo".
Gilt dann auch beim Menschen, dass jene mit längerem Ring- als Zeigefinger mehr zur Polygamie neigen?
Böhme: (lacht) Nein. Die Vorhersagekraft dieses Verhältnisses gilt nur auf Artniveau – und nicht auf Individualniveau. Insofern brauchen Sie jetzt nicht kritisch die Finger Ihres Partners anschauen.
Sie glauben, dass Sie auch künftig noch viel in der ehemaligen Tongrube in der Pforzener Hammerschmiede finden. Was meinen Sie damit konkret? Erwarten Sie noch ältere Funde?
Böhm: Nein, nicht ältere Funde. Wir graben ja weiter in der selben Schicht. Wir haben da nicht nur Danuvius guggenmosi gefunden, sondern Fossilien von insgesamt 115 Arten. Ich hoffe beispielsweise , dass wir vielleicht einen kompletten Schädel von Danuvius finden. Auch ein Fuß wäre super. Dann könnten wir noch mehr über die Biologie dieser Art herausfinden.
Namenspate für "Udo" war Udo Lindenberg, weil Sie Reste von "Udo" just am 70. Geburtstag des deutschen Sängers gefunden haben. Viel wichtiger ist aber der Artenname Danuvius guggenmosi, der auf den Ostallgäuer Hobby-Archäologen Sigulf Guggenmos zurückgeht. Er starb leider 2018. Kannten Sie ihn noch?
Böhme: Ja natürlich. Wir haben uns vor drei Jahren kennengelernt und er hat uns immer wieder mit leuchtenden Augen bei unseren Arbeiten besucht – auch wenn er selbst nicht mehr mitgegraben hat. Sein Hauptgebiet waren zwar die Römer, aber er hat sich auch für unsere Themen interessiert. Wir bedauern es so sehr, dass er nicht mehr da ist. Wir wollten Sigulf mit dem Artennamen ehren. Er hatte die Hammerschmiede als Fundort entdeckt.
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